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Die Droge Alkohol: Eine junge Frau über Sucht und Gefahr

Marie Schwarz
Sieht aus wie Spaß, fühlte sich wie Spaß an, doch in Wirklichkeit trank Marie sich vor allem ihre Sorgen schön, resümiert sie heute.Bild: privat
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Jung, weiblich, Alkoholikerin – Marie über die Sucht mit Anfang 20: "Ich eskalierte komplett"

01.08.2022, 11:03
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Alkohol und Cannabis sind weit verbreitet unter Jugendlichen. Doch: Die eine Droge ist legal, die andere (noch) nicht. Unlogisch, findet die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und fordert, Cannabis zu legalisieren, Alkohol zu verteuern und für beide Drogen umfangreiche Aufklärung zu betreiben.

Die Statistik zeigt, dass der Konsum so oder so nicht verhindert wird. Auch nicht durch "deutsche Prohibitionspolitik", so die BPtK in ihrer Stellungnahme. Doch weder Cannabis noch Alkohol seien zu verharmlosen, warnen die Psychotherapeuten besonders mit Blick auf psychische Erkrankungen. Der Meinung ist auch Marie Schwarz.

"Cannabis ist zwar als Medizin von Nutzen, doch nicht so harmlos, wie oft dargestellt. Auch Kiffen hat Auswirkungen", so die 33-Jährige, die Soziale Arbeit studierte und sich in der Suchthilfe engagiert. "Oft entgleitet Kiffern die Schule, das Studium oder die Ausbildung. Sie laufen Gefahr, sich die Zukunft zu verbauen. Indirekt wurden durch Cannabis schon zahlreiche Biografien zerstört. Aber es gibt nun mal keine Cannabis-Toten. Das ist bei Alkohol anders. Alkohol ist als Droge absolut unterschätzt."

Marie Schwarz
Marie Schwarz schrieb über ihren Alkoholismus ein Buch (Ausgetrunken: 31 Gründe für ein Leben ohne Alkohol).Bild: privat

Sie muss es wissen. Denn Marie verbrachte etwa die Hälfte ihres Lebens mit Alkohol als ständigem Wegbegleiter. Seit drei Jahren ist sie trocken. Doch bis dahin war es ein steiniger Weg.

"Viele sind erstaunt, wenn ich mich als Alkoholikerin oute, denn immer noch schwirrt in den Köpfen das Klischee des männlichen, alten Alkis herum, der sein Leben nicht im Griff hat. Ich war eine funktionierende Alkoholikerin. Ich war jung, weiblich und ging meiner Arbeit nach. Ein Problem hatte ich trotzdem, denn ich trank, um Schmerzen zu übertönen, zu funktionieren, fröhlicher zu sein. Ich brauchte den Alkohol dafür, ich war abhängig."

Für watson berichtet die Bloggerin, wie sie sich von Hauspartys, übers Clubbing bis ins Krankenhaus soff – und warum es trotzdem so lange dauerte, bis sie erkannte, dass sie ein Problem hat.

Sie sagt:

"Ich hörte erst auf, wenn ich gekotzt hatte. Irgendwann nicht einmal mehr dann."

Baileys. Das ist das erste alkoholische Getränk, an das ich mich bewusst erinnere. Ich war auf einer Hausparty etwa in der sechsten Klasse, als ich davon probierte.

Richtig los ging es dann mit 13 Jahren. Meine Freundin hatte oft sturmfrei. Ich sagte meiner Mutter, dass ich dort übernachten würde und dann tranken wir Vodka-O bis zur Alkoholvergiftung. Dort übergab ich mich auch zum ersten Mal, hing die ganze Nacht auf dem Balkon und fühlte mich elend. Obwohl das meine erste schlimme Alkoholerfahrung war, schreckte es mich nicht ab. Im Gegenteil: Ab diesem Moment hatte ich keine Berührungsängste mehr.

"Warst du fertig", lachten alle danach. Und ich fand den Absturz auch irgendwie cool. So ging es weiter: Wir tranken Alkopops und machten Witze darüber, wie durch wir an diesem und jenem Abend waren. Der Suff sorgte für lustige Anekdoten. Ich schüttete immer größere Mengen in mich rein und trank selbst die Jungs unter den Tisch.

Alles war ein guter Anlass fürs Saufen: Ein Trip an den See, Stress zu Hause, der Ferienstart... Verabredungen, bei denen nicht getrunken wurde, fand ich langweilig. Menschen, die keinen Alkohol anrührten: Megalangweilig. Ich hörte erst auf, wenn ich gekotzt hatte. Irgendwann nicht einmal mehr dann: Ich trank, übergab mich auf der Toilette und setzte mich zurück in die Runde, um weiterzumachen.

Meine Mutter sagte zwar: "Warum kannst du nicht mal nüchtern nach Hause kommen?", aber das ganze Ausmaß erkannte sie nicht. Selbst als ich an meinem 17. Geburtstag zum ersten Mal im Krankenhaus landete, wurde ein Auge zugedrückt. Damals musste die Toilettentür in einem Club aufgebrochen werden, weil ich bewusstlos über der Schüssel hing. Die Ärzte sagten, meine Rettung sei knapp gewesen. "Nie mehr!", schwor ich und meine Familie glaubte mir, dass so etwas nicht mehr vorkäme.

Das war natürlich gelogen.

Vier Mal brachte mich mein Alkoholkonsum ins Krankenhaus. Einmal stürzte ich betrunken in Glasscherben und die Ärzte mussten mich beim Nähen der Hand nicht einmal betäuben – so voll war ich. Am nächsten Tag wachte ich am Tropf auf. Stoppen konnte es mich nicht.

Das Trinken lenkte mich vom Streit ab, den ich zuhause oft hatte und von den ständigen Kopfschmerzen, unter denen ich seit meiner Kindheit litt. Im Rausch war ich extrovertiert und fröhlich. Dieses neue "Ich" hat mir gut gefallen. Alle kannten mich als die Laute, die Lustige. Erst später wurde mir klar, dass ich eigentlich eher zurückhaltend und ruhiger bin...

"Verabredungen, bei denen nicht getrunken wurde, fand ich langweilig. Menschen, die keinen Alkohol anrührten: Megalangweilig."

Nach dem Abitur ging ich so gut wie jeden Abend feiern. Wenn ein Rave anstand, eskalierte ich komplett und machte drei Tage durch. Ich empfand das als unbeschwerte Zeit, aber im Nachhinein war es ganz schön traurig. Wie viele Nummern ich damals im Handy hatte! Und trotzdem hatten meine Bekannten und ich uns kaum etwas zu sagen – uns verband nichts, außer das Partyleben. Ich war rast- und orientierungslos und hatte nur einen ständigen Begleiter: Den Alkohol.

Marie Schwarz
Marie beim Clubbing. Bild: privat

Ich denke manchmal, hätte ich meinen Mann damals nicht kennengelernt, wäre ich früher oder später an diesem Lebensstil umgekommen.

Ich traf ihn in einem Club nach meiner sechsten Maß Bier auf dem Oktoberfest. Der ganze Abend war, wie üblich, ziemlich verschwommen. Er aber blieb mir in Erinnerung, weil er so anders war. Er trank zwar auch regelmäßig, aber eher gemütlich zu Hause mit Freunden.

Trafen wir uns nach der Arbeit, gab es ein Feierabendgetränk zur Belohnung, danach einen Wein zum Essen und im Nachklang einen Longdrink zum Entspannen. Ich jobbte als Dog-Walkerin und schnappte mir gerne ein Bier, wenn ich mit den Hunden spazieren ging. Auch wenn ich fürs Studium lernen musste, genehmigte ich mir ein Getränk dazu. Der Alkohol zog sich durch meinen gesamten Alltag.

Ende 2015 ging es mir immer schlechter. Das Pfeiffersche Drüsenfieber, das ich bereits in der Kindheit hatte, wurde reaktiviert – das hob mich komplett aus den Latschen. Ich war monatelang so erschöpft, dass ich kaum zur Toilette gehen konnte. Die Ärzte erklärten mir, dass mein schwaches Immunsystem mich anfällig für diese Wiederausbrüche machte. Natürlich war mein Alkoholkonsum für diese Schwächung mit verantwortlich, aber das kapierte ich damals nicht.

Stattdessen googelte ich fleißig, wie ich meinem Körper etwas Gutes tun könnte, trank aber selbst im Bett noch weiter. Ich bestellte schwefelfreien Wein und glutenfreies Bier, in der Hoffnung, dass es mir ohne diese Stoffe besser gehen würde – aber es blieb ein gesundheitliches Auf und Ab.

Anfang 2017 wurde ich erneut durchgecheckt. "Wenn Sie so weitermachen, bekommen Sie Krebs", sagte die Ärztin. "Es gibt keine Heilung. Das Einzige, was Sie jetzt machen können, ist, ihren Lebensstil deutlich zu ändern."

"Mein Mann sah, wie ich litt und wir entschieden uns für einen klaren Cut."

Ich hatte mega Angst und versuchte, auf Alkohol zu verzichten. Doch immer wieder riefen alte Bekannte an und schon saß ich wieder auf Grillpartys und in Biergärten und hob das Glas.

Mein Mann sah, wie ich litt und wir entschieden uns für einen klaren Cut: Wir zogen zeitweise um nach Österreich. Ich ging in Parks spazieren, legte eine Social-Media-Pause ein und las sogar in der Bibel – ich suchte auf allen Wegen nach Rückendeckung.

Marie Schwarz
Marie an ihrem 30ten Geburtstag. An diesem Tag hatte sie ihr letztes alkoholisches Getränk.Bild: privat

Der letzte Drink, den ich zu mir nahm, das war an meinem 30. Geburtstag. Mein Mann lud mich zum Essen ein, es gab Wiener Schnitzel und der Abend war herrlich. "Jetzt stoßen wir doch mal an", sagte ich und bestellte ein Glas Champagner und ein Glas Wein. Danach ging meine Migräne los. Wir mussten abbrechen und nach Hause fahren.

Es war ein Schlüsselmoment für mich, weil ich dachte: "Warum habe ich mir diesen wunderschönen Tag kaputt gemacht? Einfach dämlich." Seitdem habe ich keinen Tropfen mehr angerührt.

"Es ist nicht komisch, auf Alkohol zu verzichten. Komisch ist, dass wir es für normal halten, eine lebensgefährliche Droge zu konsumieren."

Wenn ich heute unter Freunden sitze und alle trinken zur Pasta ein Glas Wein, ist das völlig okay. Keiner muss sich dafür schämen, wenn es ihm schmeckt und er seine Limits kennt. Trotzdem frage ich mich oft: Wieso ist Alkohol derart gesellschaftlich verankert? Zum Fußballschauen gehört ein Bier. Vor Business-Events lockert ein Sekt-Empfang die Stimmung...

Allen, die sich in meiner Geschichte wiederfinden, will ich daher Mut zusprechen. Es ist nicht komisch, auf Alkohol zu verzichten. Komisch ist, dass wir es für normal halten, eine lebensgefährliche Droge zu konsumieren.

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