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Glück als Schulfach: Ein Lehrer erzählt aus seinem Unterricht

Teacher involved with students at college sitting on his desk while giving an interactive class. High quality photo
Beim Glücksunterricht stehen die Schüler und Schülerinnen als Menschen im Vordergrund.Bild: iStockphoto / Ginnet Delgado
Nah dran

Das Leben nicht erdulden, sondern gestalten: So lehrt ein Lehrer seinen Schülern das Glücklichsein

08.01.2023, 15:3608.01.2023, 15:42
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Krieg, Inflation und Corona belasten die Menschen in Deutschland auch im Jahr 2023. Vor allem die junge Generation ist unglücklich. Das bestätigte die Studie "Jugend in Deutschland" im Herbst 2022. Demnach leiden Kinder und Jugendliche aktuell besonders unter einer hohen psychischen Belastung und Unsicherheit, verspüren Zukunftsangst und sind häufig depressiv.

Nicht nur, weil die Schüler:innen unglücklich sind, sondern weil sich mentale Gesundheit auch lernen lässt, wird in vielen Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit einiger Zeit mithilfe des Unterrichtsfachs Glück versucht, der jungen Generation zu helfen.

Zentrale Themen im Fach Glück sind: Wie entwickle ich Stabilität aus mir selbst heraus? Und wie baue ich eine positive Beziehung zu mir auf? Damit lassen sich auch aktuelle und künftige Krisen besser überstehen.

Martin Textor, 45 Jahre, Lehrer für Glück in Berlin
Martin Textor ist 45 Jahre alt und Lehrer. Das Ziel seines Unterrichts lautet: Wohlbefinden.bild: privat/ Martin Textor

Glück, oder vielmehr Zufriedenheit, kann man also lernen. Doch wie funktioniert das? watson hat den Berliner Lehrer Martin Textor gefragt, wie er das Fach Glück in seiner Schule unterrichtet.

"Es geht nicht darum, ständig glücklich, sondern mit seinem eigenen Leben zufrieden zu sein, dadurch, dass man es gestaltet."
Martin Textor, 45 Jahre, Glückslehrer

"Im Schulfach Glück geht es darum, den Schülern und Schülerinnen, die dort teilnehmen, auf Augenhöhe als Mensch zu begegnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Lebenskompetenz zu entwickeln. Das heißt, das Entdecken der eigenen Persönlichkeit mit all den Stärken und Schwächen zu ermöglichen.

Schüler denkt nach
Das Fach Glück regt zum Nachdenken an, über sich selbst und die eigenen Ziele und Bedürfnisse.bild: pexels / Katerina Holmes

Die Kernfragen, die hinter dem Fach Glück stehen, lauten: Wer bist du? Was brauchst du? Was willst und was kannst du? Oder, anders formuliert, dreht es sich um diese Faktoren: persönliche Entwicklung, Selbstakzeptanz und die Bewältigung äußerer Einflüsse. Es geht um Autonomie und Bedeutsamkeit.

Ich unterrichte Glück einmal 90 Minuten pro Woche. Manche Schulen integrieren Glück-Unterricht aber auch in andere Fächer. Das ist den Schulen freigestellt. Man kann Glück gar nicht so komplett nach Plan lehren.

Es geht nicht darum, den Schülern beizubringen, ständig glücklich zu sein, sondern einfach, sich selbst kennenzulernen und mit seinem eigenen Leben zufrieden zu sein, dadurch, dass man es gestaltet. Heißt: Vom Erdulder zum Gestalter zu werden, um damit Potenziale freizusetzen.

Übungen aus der psychologischen Praxis

Das erreichen wir dadurch, dass wir viele Übungen machen, die aus dem psychologischen oder psychotherapeutischen Bereich kommen oder der Theaterpädagogik. Die Schüler und Schülerinnen 'coachen' sich untereinander, tauschen sich aus und ermitteln auch ihre eigenen Werte.

Die Lebenspizza – eine Übung aus Martins Unterricht
Passend zum neuen Jahr: Auf einem runden Stück Papier werden Stücke aus unserem Leben eingezeichnet, und zwar so groß, je nachdem, wie viel "Raum" diese beispielsweise im Jahr 2022 eingenommen haben.

Dabei kann es sein, dass "Gesundheit und Körper" mit einem großen Stück eine halbe Pizza vereinnahmt, weil ich von einer langen Krankheit genesen bin, eine Operation hatte oder viel im Fitnessstudio war.

Die gesamte Pizza entspricht 100 Prozent meines vergangenen Lebensjahres mit folgenden fünf Kategorien oder "Stücken": Gesundheit und Körper, Leistung und Arbeit (mit Ergebnissen), materielle Sicherheit, soziale Beziehungen, Selbstverwirklichung.

Wer mag, malt diese in unterschiedlichen Farben aus, zur besseren Visualisierung.

Anschließend kann man dies mit einer zweiten Pizza für 2023 machen, bei der man sich fragt: Was wünsche ich mir, wie diese Anteile im neuen Jahr aussehen sollen?

Es geht im Glücks-Unterricht darum, wie plane ich etwas? Wie setze ich mir ein Ziel und wie setze ich das auch um? Es geht darum, zu scheitern und wie man erfolgreich scheitern kann. Weil aus Fehlern lernt man bekanntermaßen. Es geht also um eine positive Fehlerkultur.

"Der Inhalt des Schulfachs 'Glück' ist immer der Mensch, und nicht irgendeine fachliche Thematik."

Als Lehrer möchte ich zusammen mit meinen Schülern herausarbeiten, was der Einzelne, so wie er ist, mit einbringt. Und dass wir uns mit uns selbst auseinandersetzen, was in der Schule ja sonst nie Teil eines Faches ist. Da geht es immer nur um fachliche Inhalte. Der Inhalt des Schulfachs 'Glück' ist immer der Mensch, die Schüler:innen, und nicht irgendeine fachliche Thematik. Ich als Lehrkraft bin eher Wegbegleiter und gebe nur den Rahmen und den Raum für Übung oder Austausch, vielleicht noch eine Projektionsfläche, damit die Schüler:innen sich dort austoben können.

Wir fangen den Unterricht meist an mit der Frage: Was ist überhaupt Glück? Es gibt verschiedene Arten: Es gibt subjektives, objektives und psychologisches Wohlbefinden und das, was sich daraus ergibt: kurz- oder langfristiges Glück. Wir schauen uns gemeinsam mit den Schülern ihre Stärken und Schwächen an. Wir sehen uns ihre Werte an, erarbeiten Visionen und wie man etwas plant. Das ist ein riesiges Portfolio.

Meistens erarbeiten die Schüler allein etwas, oder reflektieren in psychodynamischen Dreiergruppen das Erarbeitete und setzen sich damit auseinander. Wir machen oft Übungen, in welchen man einfach sagen kann, wie es einem gerade geht, ohne das zuerst reflektieren oder sich erklären zu müssen. Dazu mache ich gerne eine kurze Blitz-Abfrage in der Runde:

Wie geht es mir heute? Entweder auf einer Skala von Eins bis Zehn, oder mit Daumen hoch, Mitte, runter oder mit grünen, gelben und roten Karten. Dies kann, muss aber nicht kommentiert werden. Dabei teile ich natürlich auch meine ehrliche momentane Stimmung. Es geht darum, bewusst in sich rein zu fühlen, was gerade los ist. Sich mitzuteilen ist oft schon schwer genug, es darf dann einfach so sein, ohne tausend Worte darüber zu verlieren.

Dass die Schüler:innen einfach authentisch sie selbst sein dürfen, ist ganz wichtig. Denn sie sind die Profis, die Experten für ihr eigenes Leben. Das ist niemals die Lehrkraft oder sonst wer.

Das Ganze wird begleitet mit 'Energizern', also kleinen, spielerischen Einheiten, um Energie zu haben für die Stunde. Ein bisschen Theorie kommt manchmal mit rein. Im Großen und Ganzen geht es um eine Erfahrung und darum, Erlebnisse zu schaffen. Natürlich auch um die Entwicklung der Persönlichkeit und um die Beziehung zu uns selbst.

Ein besserer Klassenverbund durch Glück-Unterricht

Wichtig ist, dass die Schüler:innen sich besser im Klassenverband verstehen, kennenlernen, und lernen, sich zu öffnen. Das habe ich in meinem Unterricht schon erfahren, und auch von anderen Lehrkräften gehört: Wie sich durch den Glück-Unterricht ein ganz anderer Klassenverband ergeben hat, die Klasse viel mehr zusammenwächst durch gemeinsame Erfahrungen und durch die Anerkennung der Identität des Anderen.

Schüler und Schülerinnen in der Gruppe
Sich der Gruppe öffnen, sich selbst und die anderen besser zu verstehen sind Ziele des Schulfachs Glück.bild: pexels / Ivan Samkov

Dadurch entsteht ein Klassenverbund, der einzigartig ist und so schnell auf anderem Weg nicht zu erreichen wäre. Das ist natürlich auch dem geschuldet, dass wir als Glück-Lehrer dem Prozess, egal wie er stattfindet, den Raum geben und nicht an irgendwelchen Ergebnissen interessiert sind. Da gibt es nichts falsch zu machen. Selbst wenn sich Schüler entziehen und eine Übung nicht machen wollen – was ihnen immer zugestanden wird.

"Das Lernziel heißt Wohlbefinden. Nicht: Ich renne den ganzen Tag mit einem Grinsen durch die Gegend."

Eine ganz wichtige Erkenntnis ist, dass es eben nicht darum geht, immer nur glücklich zu sein. Sondern sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das Lernziel heißt Wohlbefinden. Nicht: Ich renne den ganzen Tag mit einem Grinsen durch die Gegend.

Die Schüler realisieren, was ihnen wichtig ist und wie und wer sie sind, mit all ihren Fehlern, Stärken und Wünschen, ihren Werten und Zielen. Im Idealfall gehen sie mit einem persönlichen Ziel aus dem Unterricht raus. Mit einem Plan, wie sie das erreichen können – oder auch erfolgreich scheitern."

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