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Trainieren für den Blackout: Was bei einem Stromausfall wirklich wichtig ist

Wasserkochen beim Blackout: Mit einem Gas- oder Spirituskocher lässt sich Wasser auch ohne Strom aufkochen.
Im Blackout-Training: Wasserkochen klappt auch mit einem Gas- oder Spirituskocher, nur langsamer.Bild: watson / miriam meyer
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Trainieren für den Blackout: "Wie Spinner bei den Vorräten hocken, geht nicht"

16.10.2022, 15:22
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Gunda liegt reglos auf dem feuchten Waldboden. Ihre Arme baumeln schlaff am Oberkörper, als ich versuche, ihren Rumpf aufzurichten und sie über den Boden zu ziehen – weg von der Gefahrenquelle. Sie wiegt nicht mehr als 60 Kilogramm, trotzdem ächze ich unter dem Gewicht. Meine Beine zittern, während ich sie um gerade mal zwei Meter verrutsche. Dann brauche ich eine Pause.

Drei Stunden vorher brettere ich mit einem E-Scooter über einen Schotterweg, in der Ferne läuten Kirchenglocken zum Sonntagsgottesdienst. Die S-Bahn ist ausgefallen. Also muss ich anders Richtung Plötzensee im Berliner Norden kommen, wo ich heute um mein Überleben kämpfen werde.

Genauer: Wo ich mich in einem "Survivalcamp" auf einen deutschlandweiten Blackout vorbereiten werde.

Das Survivalcamp: Unter Anleitung eines Coach werden wir hier auf einen Blackout vorbereitet.
Das Survivalcamp: Unter Anleitung eines Coach werden wir hier auf einen Blackout vorbereitet.Bild: watson / miriam meyer

Als ich endlich ankomme, finde ich meine Gruppe für heute in einem kleinen Waldstück unter einer Zeltplane, die zwischen den Bäumen aufgespannt wurde. Darunter Holzbänke, ein Tisch und eine Schultafel. Insgesamt haben sich an diesem Oktobermorgen zehn Teilnehmende versammelt. Unter ihnen ein Pärchen Mitte zwanzig, ein Familienvater, eine Frau Anfang sechzig und ein Mann mit Schirmmütze und Hornbrille.

Trainer appelliert an Gemeinschaftsgedanken

Vor der Tafel steht breitbeinig in schwarzer Cargohose, Rollpulli und Trekkingschuhen unser Überlebenstrainer: Tom. Er sagt:

"Ich bin mir sicher, dass die meisten von euch heute gekommen sind, weil euch die aktuelle Energiekrise verunsichert und sich jeder einzelne von euch richtig auf einen Blackout vorbereiten will."

"Erste Sache: Bei der Krisenvorsorge geht's ums Gemeinsame. Also nicht losrennen, Oma Frida das Klopapier wegkaufen und zur Ellbogengesellschaft werden", stellt er klar. "Ich werde euch keine Hamster-Tipps geben! Sondern Skills und Verhaltensweisen beibringen, mit denen ihr einen Gas- und Stromausfall gut zu Hause übersteht."

Zur Einstimmung soll die Gruppe zwischen einer Krise und Katastrophe unterscheiden.

Im Blackouttraining soll die eigene Reaktionsfähigkeit in einer Krise trainiert werden.
Im Blackout-Training soll die eigene Reaktionsfähigkeit während einer Krise trainiert werden.Bild: watson / miriam meyer

"Nach einer Krise ist man gestärkter, bei einer Katastrophe aber schnell Opfer", ruft der Familienvater in die Runde. Gunda, die Frau Anfang sechzig in blauem Parka und mit Lesebrille im Haar, fragt in breitem Berliner Dialekt: "Die Gasmangellage, is dit nüscht beides?"

Survival-Coach Tom widerspricht: "Ich spiele verschiedene Szenarios mit euch durch, das heißt nicht, dass die Apokalypse vor der Tür steht." Wir hätten in Deutschland eine gute Hilfsinfrastruktur. Rund 2,5 Millionen Einsatzkräfte könnten bei einem Blackout aktiv werden. Die würden sich allerdings zuerst um die kritische Infrastruktur kümmern. "Nicht um euch", sagt Tom.

Er fährt fort:

"Wie Spinner bei euren Vorräten zu hocken und auf den Untergang zu warten, geht dann nicht – wir sollten dann mit trainierter Selbsthilfe uns und auch anderen helfen."

Zur Vorsorge gehöre dabei, sich so gut wie möglich um die sieben Grundbedürfnisse zu kümmern:

  1. Unterkunft
  2. Wärme
  3. Wasser
  4. Unversehrtheit
  5. Orientierung
  6. Rettung
  7. Nahrung

Wichtig ist, zunächst in der eigenen Wohnung zu bleiben, meint der Survival-Coach. Die werde erst verlassen, wenn es dort zu gefährlich würde – oder Wasser und Nahrung ausgingen. "Dann müsst ihr auf der Straße klarkommen", sagt Tom.

Als erste praktische Übung sollen wir jetzt aus einer Zeltplane mit Löchern, Seilen und ein paar Heringen einen Unterschlupf bauen. Gunda und ich spannen eine Plane zwischen zwei Bäume, die in der Stadt auch Straßenlaternen sein könnten.

Was uns dabei auffällt: Wir können keine festen Knoten knüpfen, damit die Plane hält. "Hier drunter würdet ihr nass werden", meint Tom im Anschluss, "einfache Kreuzknoten hätten hier gereicht und spannt für mehr Liegefläche die Plane etwas flacher."

Zeltplane im Wald
Unter dieser Plane wären wir besser von mehreren Seiten vor Wind und Wetter geschützt gewesen.Bild: watson / miriam meyer

Mit verschiedenen Tricks für Wärme sorgen

Nächster Programmpunkt: Wärme. "Mein Thema! Ich bin immer eine Frostbeule", stöhnt Gunda. "Die beste Heizung ist immer noch Körperwärme. Wir müssen fluffiger werden, also zieht euch lange Unterwäsche an oder schmeißt eine Übernachtungsparty", sagt Tom. Ansonsten helfe ein Schokoriegel zur Energiezufuhr oder ein Taschenwärmer mit Kohlestäbchen. Genauso wie den Alltag in einen einzigen beheizten Raum zu verlagern oder, wer kann, Feuer im Kamin machen.

"Euer bestes Survivaltool bleibt aber die Rettungsdecke."
Survival-Coach Tom

Als nächste Übung sollen wir uns auch direkt selbst ans Zündeln begeben. Wir hocken auf dem Boden, bewaffnet mit Feuerstahl und Wattepads. Die fangen erst dann Feuer, wenn sie aufgezupft wurden. Dann sollen wir zum Wasserkochen Gas- und Spiritusofen entzünden. "Falls euch der Spiritus ausgeht, könnt ihr auch 'Stroh 80' verheizen oder halt trinken", sagt Tom und grinst. Auch das helfe gegen die Kälte.

"Euer bestes Survivaltool bleibt aber die Rettungsdecke", verkündet er anschließend und wickelt die Decke – Gold innen, Silber außen – um sich. "So habt ihr unterwegs auch Schutz vor Regen und Wind", tönt es aus dem Inneren der Alurolle.

Rettungsdecke anlegen
Eine Rettungsdecke isoliert und reflektiert die eigene Körperwärme.Bild: watson / miriam meyer

Im Krisenmodus: Badewanne volllaufen lassen

Inzwischen fällt etwas Mittagssonne auf uns, für eine kurze Pause packt Gunda ihre Trinkflasche aus. "Wichtiger als Essen zu hamstern, ist ausreichend Wasser zu lagern, wenn sich eine Krise abzeichnet", rät Tom und lässt ein Fläschchen durch die Runde wandern. Es ist Mikropur. Ein Mittel gegen Bakterien in abgestandenem Wasser. Tom hat einen weiteren Tipp für den Ernstfall: "Lasst so lange es geht eure Badewanne voll laufen und füllt Wasser im Voraus in lichtdichte Wasserbehälter ab."

Der Mensch überlebe im Extremfall drei Wochen ohne Nahrung, jedoch nur drei Tage ohne Trinkwasser – was bei einem Stromausfall aber schnell knapp werde, erzählt Tom: Allein eine Klospülung verbrauche schon 15 Liter Wasser. "In dem Fall müsst ihr auf dem Klo dann Fest von Flüssig trennen", entgegnet Tom trocken. "Und das regelmäßig entsorgen, sonst wird das Bad zum Infektionsherd."

Der Familienvater nickt zustimmend. Er will im Fall der Fälle seine Frau und Tochter versorgen können. Als Vorbereitung für den Blackout hat er seinen Sanitätshelfer absolviert. Er kennt die Standorte der Anlaufpunkte für Notfallversorgung im Stadtgebiet. Gunda's Erste-Hilfe-Kurs dagegen liegt schon vierzig Jahre zurück. Zur Auffrischung sollen wir uns gegenseitig Wundwickel anlegen, ich schnüre ihren Arm zu fest ein. Dabei ist mein Kurs gerade einmal fünf Jahre her.

"Na, noch bin ick nüscht tot. Ick spür noch meinen Puls."
Kursteilnehmerin Gunda

Tom bewertet meine Versorgungskünste so: "Wenn's blöd läuft, müsste der hier sonst amputiert werden." Um einen Blutfluss zu stillen, reiche leichter Druck auf die Wunde. Abschnüren muss ich nur, wenn die Wunde richtig spritzt – also eine Arterie durchtrennt ist.

Ich schlucke, Gunda lacht: "Na, noch bin ick nüscht tot. Ick spür noch meinen Puls."

Mentale Gesundheit als Schlüssel zum Erfolg

Dann weist Tom uns an, uns gegenseitig "bewusstlos abzuschleppen" – als das nicht ohne große Anstrengung klappt, binden wir unsere Jacken zwischen zwei dicken Wanderstöcken fest, um so eine Krankentrage zu bauen.

Improvisierte Krankentrage.
Auf einer improvisierten Krankentrage lässt sich Gunda deutlich leichter transportieren.Bild: watson / miriam meyer

"Zuletzt bleibt noch eine der mächtigsten Stellschrauben: unsere Mental Health", erklärt Tom. Als Beispiel nimmt er Robinson Crusoe:

"Der konnte sich mit allem Lebensnotwendigem versorgen und so 28 Jahre lang alleine auf einer Insel überleben. Durch die Isolation hat er aber schon nach Kurzem seine Zivilisation und dann den Verstand verloren."

Auch ein Blackout könnte so manchen psychisch fertig machen. "Das beste Mittel dagegen ist, euren Geist beschäftigen: mit Büchern, Musikinstrumenten oder Spielen, bei denen ihr nicht verlieren könnt", sagt er. Denn das Letzte, das bei einer ohnehin angespannten Lage förderlich ist, sind schlechte Verlierer, die wegen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Stress in die Gruppe bringen.

*Transparenzhinweis: Auf Wunsch der Protagonisten wurden nur Vornamen genannt.

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