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Analyse

Eisschmelze in Sibirien: Studie beweist menschengemachte Klimakrise

YAKUTSK, SAKHA REPUBLIC YAKUTIA, RUSSIA - OCTOBER 7, 2021: A researcher of the Melnikov Permafrost Institute is at work at an underground lab of the Museum of History of Permafrost Studying at the Mel ...
In Sibirien schmilzt der Permafrostboden aktuell am schnellsten im Vergleich zu den letzten 7000 Jahren.Bild: www.imago-images.de / imago images
Analyse

Studie beweist menschengemachten Effekt: "Eisschmelze in Sibirien bedroht weltweites Klimasystem"

26.08.2022, 19:5126.08.2022, 19:52
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Der Klimaeffekt von menschengemachten Emissionen haben einen mehrtausendjährigen globalen Abkühlungstrend unterbrochen. Diesen Zusammenhang konnte eine am Donnerstag veröffentlichte Studie nun klar nachweisen.

Mithilfe von aufgelösten Baumringaufzeichnungen konnte ein Team von Forschenden erstmals die Temperaturvariabilität über die vergangenen 7638 Jahre auf der Jamal-Halbinsel in Sibirien, Russland rekonstruieren – einem Hotspot der jüngsten Erderwärmung. Damit beweisen die neuen Daten, dass die aktuelle Eisschmelze in Sibirien beispiellos für die vergangenen 7000 Jahren ist, wie die Wissenschaftler:innen in ihrer Studie festhalten:

"Wir stellen fest, dass die Erwärmung im Industriezeitalter in ihrer Geschwindigkeit beispiellos war und die Sommertemperatur auf Werte angehoben hat, die über den Rekonstruktionen der letzten sieben Jahrtausende liegen. Sowohl im 30-Jahres-Mittel als auch in Bezug auf die Häufigkeit extremer Sommer."

Die Daten und Auswertungen der Klimastudie sind der Nachweis für ein Phänomen, das unter Klimaforschenden als "Arctic Amplification" bekannt ist:

Der Effekt der "Arctic Amplification" (dt. Arktischer Klimazusammenhang)
Während der Globus heute etwa 1,2 Grad wärmer ist als in der vorindustriellen Zeit (1850 bis circa 1900), haben sich die oberflächennahen Regionen der hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre fast doppelt so schnell erwärmt als die niedrigeren Breiten.

Austritt von jahrtausendealtem Kohlendioxid und Methan

Durch die starke Erderwärmung kommt es zum verstärkten Tauen des Permafrosts. Sibirien eignete sich für die Studie also besonders. Dort macht der Permafrostboden, sowohl an Land als auch unter Seen und Flüssen, immerhin 75 Prozent der Landesfläche aus.

Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut (AWI), ordnet die Ergebnisse für watson ein: "Der Treibhausgasgehalt in der Atmosphäre dürfte hierdurch ansteigen, da vor allem alter Kohlenstoff, der teils für Jahrtausende eingefroren war, nun mikrobiell umgesetzt wird", sagt er.

Konkret bedeutet das, dass die bisher in Permafrost eingefrorenen alten Pflanzen- und Tierreste nun nach dem Tauen durch Mikroben zersetzt werden und bei diesen Zersetzungsprozessen Kohlendioxid und Methan entstehen. Diese zwei sehr "wirksamen Treibhausgase" kurbeln die Klimaerhitzung mit Nachdruck an.

Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut.
Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut.Bild: Pressestelle Alfred-Wegener-Institut

Heftigere Erosionen ohne Permafrost

Eine weitere, nicht zu unterschätzende direkte Folge der Permafrostschmelze ist, dass die organische Substanz und die Sedimentkörner im Boden zurückbleiben, sie aber nach dem Tauen nicht mehr durch das Eis zementiert sind. Die Folge: verstärkte Erosion. "Entsprechend beschleunigt das Auftauen die Erosion von Küsten, Flussufern, und Seeufern deutlich", erklärt Grosse.

Das lässt Straßen, Gebäude, Pipelines, Bahnlinien und Landebahnen auf ehemaligem Permafrostboden wackeln, instabil werden und einsinken.

Schmelzen des Permafrosts verstärkt sich selbst

Doch lässt sich das Auftauen noch verhindern? Der Ausblick des Permafrost-Experten fällt ernüchternd aus: "Das Auftauen lässt sich in den meisten Regionen nicht mehr verhindern, da die Erwärmung bereits so schnell voranschreitet, dass die Auswirkungen auf Permafrost noch gar nicht voll wirksam sind, sondern sich erst entfalten."

Das besonders schnelle Tauen sorge für eine Verselbstständigung der Tauprozesse. Denn: ist einmal Thermokarst, also die Landschaftsverformung durch das Schmelzen des Permafrostbodens, entstanden, führten weitere Rückkopplungsmechanismen unweigerlich zu einer weiteren Verstärkung des Tauens. "Das geschieht auch, wenn das Klima unerwarteterweise wieder kühler werden sollte, was wir aber nicht erwarten, da eine weitere starke Erwärmung vor sich geht", erklärt Grosse.

Den einzigen Ausweg sieht er in der sofortigen Reduktion sämtlicher CO₂-Emissionen:

"Der einzige (!) Hebel, den wir haben, ist, eine schnelle und starke Reduzierung anthropogener fossiler Treibhausgas-Emissionen umzusetzen. Dies hilft dabei, die weitere Erwärmung zu verlangsamen und damit auch die Erwärmung von Permafrost und das Freisetzen zusätzlicher Treibhausgase aus tauendem Permafrost zu verlangsamen."

(mit Material der dpa)

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