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Klimakrise verschärft weltweite Hungersnot – Experten erklären, was jetzt passieren muss

MOGADISHU, SOMALIA - AUGUST 14: Women and children receive food aid on August 14, 2011 in Mogadishu, Somalia. A local Somali agency distributes cooked porridge from World Food Progam to hundreds of wo ...
Die Zahl der hungernden Menschen ist weltweit auf über 811 Millionen gestiegen.Bild: Getty Images Europe / John Moore
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Klimakrise verschärft weltweite Hungersnot – Experten erklären, was jetzt passieren muss

15.10.2021, 18:23
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Die Lage ist ernst: Schon jetzt verschärft die Klimakrise weltweit das Hungerleiden. Kriege, aber auch die Corona-Pandemie, verschlimmern die Zustände weiter. Die Zahl hungernder Menschen ist weltweit auf über 811 Millionen angestiegen, dabei werden mehr Nahrungsmittel produziert als je zuvor. Das spiegeln Erkenntnisse des am Donnerstag veröffentlichten Welthunger-Index 2021 wider. Mit Blick auf das Ziel, bis 2030 keinen Menschen mehr Hunger leiden zu lassen, sei die Weltgemeinschaft "dramatisch" vom Kurs abgekommen.

"Der Klimawandel gehört zu den größten Hungertreibern", sagt Simone Pott, Sprecherin der Welthungerhilfe auf Anfrage von watson. Kleinbauern würden in vielen Weltregionen den größten Anteil der Nahrungsmittel und bis zu 80 Prozent der elementaren Nährstoffe liefern, "aber gerade sie sind besonders von Armut und Unterernährung betroffen".

Die Produktion von Grundnahrungsmitteln geht zurück, der Export steigt an

Wetterextreme wie Dürren, Überschwemmungen oder starke Stürme zerstören die Existenz von Millionen Familien im Globalen Süden, die ohnehin ums tägliche Überleben kämpfen würden. "Es leiden diejenigen am stärksten, die den Klimawandel nicht verursacht haben", so Pott. "Deshalb ist die Klimakrise eine Frage der Gerechtigkeit."

Die Problematik: Die Produktion von Grundnahrungsmitteln, Obst und Gemüse geht in vielen Ländern zurück. Stattdessen werden vor allem Exportprodukte wie Soja, Mais oder Palmöl angebaut. "Diese dienen aber nicht der dortigen Bevölkerung, oftmals dienen sie gar nicht der Ernährung", sagt Philipp Mimkes, Geschäftsführer vom FIAN, dem internationalen Netzwerk für das Menschenrecht auf Nahrung.

Weniger als die Hälfte der Weltgetreideernte landet direkt auf dem Teller

Laut der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) landen nur noch 43 Prozent der Weltgetreideernte direkt auf dem Teller. Ein wachsender Anteil hingegen werde anderweitig verwertet: 36 Prozent für Futtermittel, elf Prozent für die industrielle Nutzung, zehn Prozent zur Energieverwendung. "Insofern ist eine Verringerung des Fleischkonsums und eine verstärkte Nutzung von Lebensmitteln, die im eigenen Land angebaut werden, für die weltweite Ernährung essentiell", betont Mimkes.

Simone Pott von der Welthungerhilfe teilt diese Ansicht: "Unsere Art der Ernährung hat nicht nur Auswirkungen auf unsere Gesundheit, sondern auch auf die unseres Planeten und die Ernährungssicherheit der Menschen im Globalen Süden." Dennoch sei ein Umdenken der Ernährung hin zu weniger Fleischkonsum und mehr regionalen Produkten nur ein Teil der Lösung. "Kriege und Konflikte tragen maßgeblich zur Unterernährung bei. Wo Krieg herrscht, werden Ernten, Felder und wichtige Infrastruktur zerstört" – und davon sei mehr als die Hälfte aller unterernährten Menschen betroffen.

"Das heutige System ist nicht gerecht, nicht nachhaltig und nicht krisenfest. Dabei ist das Recht auf gesunde Nahrung ein Menschenrecht."
Simone Pott welthungerhilfe

Dafür bräuchte es eine konsequente Reform: "Wir brauchen zukünftig Rahmenbedingungen, mit denen es auch zehn Milliarden Menschen schaffen, sich gesund zu ernähren, ohne die Natur und das Klima zu zerstören", so Pott. Dazu gehören auch Agrarsubventionen, die an Umwelt- und Klimaauflagen geknüpft sind. "Das heutige System ist nicht gerecht, nicht nachhaltig und nicht krisenfest. Dabei ist das Recht auf gesunde Nahrung ein Menschenrecht."

Die Weltbank erwartet, dass rund 216 Millionen Menschen ihre Heimatgebiete bis 2050 aufgrund des Klimawandels verlassen müssen. Aus diesem Grund müssten die Industriestaaten die Hauptverantwortung tragen und "sich verstärkt mit dem Bereich Loss and Damages befassen und entsprechende Mittel bereitstellen", wie Uwe Kekeritz (Grüne), stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, auf Anfrage von watson erklärt. "Am besten über international getragene Fonds."

Es gibt Möglichkeiten, die Hungersnot zu stoppen und das Klima zu schonen

Problematisch ist für ihn besonders, dass die Überlebensfähigkeit von bäuerlichen Strukturen "massiv" durch hoch subventionierte Landwirtschaft und unfaire Handelsverträge bedroht werde. Viele Länder müssten ihre Grenzen für landwirtschaftliche Produkte öffnen und würden ihre Existenzgrundlage verlieren, da sie schlicht nicht konkurrenzfähig seien. "Eine nachhaltige Qualitäts- und Produktionssteigerung von Lebensmitteln kann nur über agrarökologische Ansätze erreicht werden", betont Kekeritz. "So können Klima und Umwelt geschont und Arbeitsplätze geschaffen werden."

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