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CO2-Kompensation: Gut für die Umwelt, gut fürs Gewissen?

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Beim Fliegen kann es durchaus Sinn machen, Emissionen auszugleichen – zumal hier besonders viele davon entstehen. In manchen Fällen ist die CO2-Kompensation aber auch völlig unsinnig.Bild: iStockphoto / Nutthaseth Vanchaichana
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CO2-Kompensation: Gut für die Umwelt – oder nur fürs Gewissen?

06.09.2020, 11:1302.10.2020, 09:00
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Der Flug nach Gran Canaria, die Bestellung bei Zalando, das Pendeln zur Arbeit, das Heizen im Winter: all das verursacht CO2, viel CO2. Durchschnittlich ist jeder Deutsche im Jahr für rund elf Tonnen davon verantwortlich – klimaverträglich wären ein bis zwei Tonnen pro Person und Jahr. Das Erreichen der Klimaziele rückt so in weite Ferne.

Doch wie verringern wir unseren CO2-Fußabdruck? Unser Verhalten in sämtlichen Lebensbereichen radikal zu ändern, ist umständlich und unbequem. CO2-Kompensationen, mit denen die Emissionen eines Flugs, einer Zugfahrt oder eines Onlineshoppingrauschs ausgeglichen werden, kommen da gerade recht. Man berechnet die entstandenen Emissionen, bezahlt so viel Geld, wie nötig ist, um diese durch Klimaschutzprojekte wieder auszugleichen, und schon ist das Problem behoben – zumindest auf den ersten Blick. Immer mehr Hersteller werben zudem von vorneherein mit klimaneutralen Produkten.

Aber tut die CO2-Kompensation tatsächlich etwas fürs Klima, oder ist sie vielmehr ein moderner Ablasshandel, der lediglich unser Gewissen beruhigt, wenn wir zum dritten Mal im Jahr in den Flieger steigen oder uns das fünfte Paar Sneaker kaufen?

Die Antwort lautet: kommt darauf an. Beim Fliegen kann es durchaus Sinn machen, Emissionen auszugleichen – zumal hier besonders viele davon entstehen. Bei einem Flug von Frankfurt nach Sydney und zurück entsteht so viel CO2, wie der Durchschnittsdeutsche im Jahr verursacht. "Wenn man in jedem Fall fliegen will oder muss, ist es besser zu kompensieren als nicht zu kompensieren", sagt Lambert Schneider gegnüber watson. Er ist Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik beim Öko-Institut, einem Verein, der zu dauerhaftem Umwelt- und Klimaschutz beitragen will. "Allerdings ist immer die beste Lösung, die Emissionen von vorneherein zu vermeiden", so der Experte.

Vermeidung und Reduktion von Emissionen müssen immer vor der Kompensation kommen, das gilt nicht nur beim Fliegen.

Kompensation darf kein Freifahrtschein sein

Atmosfair, einer der führenden Anbieter für CO2-Kompensation in Deutschland, zeigt auf seiner Webseite deshalb nachhaltige Alternativen zum Fliegen auf. Wer beispielsweise einen Flug von Berlin nach München kompensieren möchte, wird darauf hingewiesen, dass es besser wäre, mit dem Zug zu fahren. Den Flug zu kompensieren, ist dann schlicht und ergreifend nicht möglich.

Denn als Freifahrtschein darf die CO2-Kompensation auf keinen Fall begriffen werden. "Es gibt Leute, die sich einreden, durch die Kompensation bedenkenlos um die Welt fliegen zu können und dadurch vielleicht sogar mehr fliegen", sagt Juliette de Grandpré von WWF Deutschland zu watson. "Das ist natürlich katastrophal." Der Anteil dieser Menschen ist offenbar aber verschwindend gering. Eine Studie der Uni Kassel zeigte: Nutzer von Kompensationsangeboten sind vor allem Menschen mit hohem Umweltbewusstsein, denen Klimaschutz wichtig ist.

"CO2-neutral" kann alles und nichts bedeuten

Die CO2-Kompensation ist aber nicht nur im Transportbereich angekommen. Auch Sneaker, Laptops oder Klamotten werden immer häufiger mit dem Label "CO2-neutral" versehen. Doch was bedeutet das konkret? Wurden tatsächlich Emissionen bei Produktion und Lieferung gesenkt, auf Umweltschutz und Sozialstandards geachtet? Oder wurde einfach ein billiges Zertifikat zum Ausgleich der Emissionen gekauft?

"Da ist sehr viel Greenwashing dabei, und der Begriff ist irreführend", sagt de Grandpré. Ihr Kritikpunkt: Es entsteht der Eindruck, dass das Produkt überhaupt keine Emissionen verursacht hat – "und das ist falsch". Hinzu kommt, dass der Begriff "klimaneutral" in Europa nicht geschützt ist. Er kann folglich alles und nichts bedeuten.

Lambert Schneider vom Öko-Institut sieht das pragmatischer: "Wenn ich ein Produkt ohnehin kaufen muss, wie zum Beispiel Waschmittel, und es gibt ein klimaneutrales und ein nicht klimaneutrales, ist es besser, das klimaneutrale zu nehmen, wenn dadurch wirklich gute Projekte unterstützt werden." Ob das der Fall ist, wird für den Kunden allerdings oftmals kaum ersichtlich.

Tatsächlich gibt es auf dem Markt unzählige Anbieter, die versprechen, in Klimaschutzprojekte zu investieren – aber mit ganz unterschiedlichen Standards und Projekten arbeiten. Da werden Wälder aufgeforstet, in Solar- oder Biogasanlagen investiert, Windparks hochgezogen oder effizientere Öfen in Entwicklungsländern gebaut. Alles mit dem Ziel, CO2 einzusparen und dadurch unsere zusätzlichen Emissionen auszugleichen.

Projekte müssen zusätzlich sein

Als Faustregel gilt, dass sinnvolle Kompensationsprojekte zwei Kriterien erfüllen müssen: Sie müssen zusätzlich sein, also nur durch die Kompensation entstehen – und sie sollen neben dem Klimaschutz auch in den Projektländern nachhaltig wirken. Lambert Schneider sagt:

"Bei der Qualität der Kompensationszertifikate ist die größte Gefahr, dass einige Projekte ohnehin profitabel sind, wie etwa viele Wind- oder Wasserkraftanlagen, und somit auch ohne Zertifikate umgesetzt worden wären – doch das bringt nichts für den Klimaschutz."

Auch Aufforstungsprojekte werden immer wieder kritisiert, weil sie nur Sinn ergeben, wenn der Wald mindestens 50 bis 100 Jahre bestehen bleibt, was oft nicht garantiert werden kann. Nachhaltiger wirken da etwa effizientere Öfen. "In vielen Ländern des globalen Südens ist Holz nach wie vor der wichtigste Energieträger. Die ineffiziente Verbrennung im offenen Feuer führt nicht nur zu hohen Treibhausgasemissionen, sondern auch zu Entwaldung", sagt Karolin Hornfischer von Atmosfair.

Positiver Nebeneffekt der klimaschonenden Öfen, die durch unsere Ausgleichszahlungen gebaut werden: Die Luftqualität vor Ort wird besser, die Verschmutzung in den Hütten weniger. Wenn weniger Holz gebraucht wird, fallen zudem dessen Preise, und Frauen müssen weniger Zeit aufwenden, dieses zu sammeln.

Um sinnvolle Projekte und Kompensationsanbieter zu kennzeichnen, gibt es allerdings wiederum unzählige Siegel und Zertifikate, durch die sich kaum jemand durcharbeiten möchte. Der WWF hat deshalb mit anderen Organisationen den Gold-Standard entwickelt. Schneider empfiehlt einen Blick in den Leitfaden des Umweltbundesamts, die Seite offsetguide.org oder das Urteil von Stiftung Warentest zu werfen. Letztere vergab die Note "sehr gut" für die Kompensationsanbieter Atmosfair, Klima-Kollekte und Prima-Klima.

Manche Dinge sind nicht kompensierbar

In manchen Fällen ist die CO2-Kompensation aber auch völlig unsinnig. In den Niederlanden etwa verkauft Shell für einen Cent Aufpreis "klimaneutrales" Benzin. "Das kann nach hinten losgehen, wenn die Konsumenten denken, dass sie dann weiter Auto fahren können und wir nicht den Verkehr so transformieren, wie wir das müssen, um unsere Klimaziele zu erreichen", sagt Schneider. Auch de Grandpré hält Benzin oder Kohlestrom für nicht kompensierbar – mit den erneuerbaren Energien gibt es schließlich schon eine nachhaltige Alternative. "Auch das Konzept der 'CO2-neutralen Lieferung' beim Onlineshopping halten wir für falsch, denn die Lieferung per Straßenverkehr ist aus unserer Sicht nicht kompensierbar."

An anderen Stellen kann die CO2-Kompensation aber sinnvoll sein, vorausgesetzt wir wählen die Projekte sorgfältig aus und versuchen Emissionen an anderer Stelle von vorneherein zu vermeiden. In Umfragen zeigten sich zuletzt bis zu zwei Drittel der Konsumenten bereit, für einen CO2-Ausgleich zum Beispiel beim Shoppen mehr Geld in die Hand zu nehmen. Doch das ist die Theorie. In der Praxis kompensiert bislang ein verschwindend geringer Prozentsatz seine CO2-Emissionen. Beim Fliegen ist es gerade mal ein Prozent.

Wir brauchen mehr als freiwillige Kompensation

Einfach darauf zu hoffen, dass die Menschen schon freiwillig auf die Idee kommen, die Welt zu retten, wird also vermutlich nicht funktionieren. "Ich glaube nicht, dass wir die Klimakrise allein mit Freiwilligkeit bewältigen können", sagt auch Schneider.

"Das kann ein gutes zusätzliches Instrument sein, aber gerade der Flugverkehr wird sehr stark subventioniert, es gibt keine Kerosinsteuer und auf internationale Flüge keine Mehrwertsteuer – wir sollten unbedingt diese Steuerbefreiung aufheben, um nicht länger klimaschädliche Verkehrsträger zu subventionieren."

Beim WWF will man ganz weg vom Kompensationsansatz, hin zu einem Klimafinanzierungsansatz. "Die Sektoren, die CO2-Emissionen ausstoßen, müssen durch verschiedene Instrumente verpflichtet sein, ihre Emissionen zu reduzieren. Darüber hinaus – und nicht stattdessen – sollen sie in Minderungsprojekten in Entwicklungsländern investieren", sagt de Grandpré. Ab dem kommenden Jahr, wenn auch Entwicklungsländer verpflichtet sind, ihre Emissionen zu senken, würde ohnehin ein Streit darum entstehen, wem die CO2-Kompensation, die ein deutsches Unternehmen im globalen Süden erreicht, denn zugeschrieben werden.

Am Ende wird also weder uns, noch Unternehmen oder Politik etwas anderes übrig bleiben, als unser Verhalten zu ändern. Auch, wenn es unbequem ist.

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