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Tierwohlkennzeichnung: Was sich mit einem staatlichen Label ändert

Schweine liegen in der Bucht eines Tierwohl-Schweinestalls. Der Stall ist einer von mehreren neuen, besonders tiergerechten Schweineställen im Landkreis Göppingen, aus denen Schweine über mehrere regi ...
Unter welchen Bedingungen werden Nutztiere in Deutschland tatsächlich gehalten? Mit einem neuen Stufensystem will Landwirtschaftsminister Özdemir mehr Transparenz beim Einkaufen tierfreundlicher Produkte schaffen.Bild: dpa / Marijan Murat
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Neue Eckpunkte für ein Tierwohl-Label: Was sich mit einem staatlichen Label ändert

07.06.2022, 19:5808.06.2022, 17:46
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Nachhaltigere Ernährung und Lebensmittelproduktion bedeutet auch mehr Tierschutz für Schweine, Rinder und Geflügel. Doch bisher ist es für Verbraucherinnen und Verbraucher im Supermarkt oft noch schwer zu erkennen, ob ihr Schnitzel oder Steak von Tieren aus wirklich artgerechter Haltung stammt – oder eben nicht. Um hier anzusetzen, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Dienstag ein neues Konzept für ein fünfstufiges staatliches Label zur Tierwohlkennzeichnung auf Lebensmitteln vorgestellt. Dieses soll nun auch rechtlich verpflichtend werden für alle in Deutschland erzeugten Produkte.

Neue gesetzliche Haltungsstufen für mehr Transparenz zur Tierhaltung

Seit 2019 gibt es eine Kennzeichnung der Supermarktketten mit dem Aufdruck "Haltungsform", die Fleisch von Schweinen, Geflügel und Rindern umfasst. Diese hat vier Stufen: vom gesetzlichen Standard in Stufe 1 namens "Stallhaltung", über Stufe 2 "Stallhaltung plus" und Stufe 3 "Außenklima" bis Stufe 4 "Premium" mit Auslauf im Freien, zu der auch Biofleisch gehört. Diese Kennzeichnung dürfte auch noch einige Zeit parallel zur staatlichen bestehen bleiben, zumal sie bereits für mehrere Tierarten existiert. Allerdings waren diese Angaben bisher nicht verpflichtend, so entstanden unterschiedliche Labels wie das der "Initiative Tierwohl" und das wesentlich striktere Label "Für mehr Tierschutz" vom Deutschen Tierschutzbund – undurchsichtig für Verbraucher.

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In der konventionellen Landwirtschaft ist der Platz im Stall für die Tiere oft noch sehr beschränkt.Bild: Countrypixel / FRP

Das soll jetzt mit einer einheitlichen, gesetzlichen und verbindlichen Systematik anders gemacht werden: Eingeführt werden sollen dazu verschiedene Haltungsstufen, deren Zahlencode zur Haltungsform auf die Produkte gedruckt werden, ähnlich wie es schon bei Eiern passiert. Die Fleischkennzeichnung des Handels, die nicht staatlich geregelt ist, hat auf den Etiketten dafür die Zahlen 1 bis 4 für die vier verschiedenen Stufen und dazu die jeweiligen Farben rot, hellblau, orange und grün.

Neues System als "zentraler Baustein einer zukunftsfesten landwirtschaftlichen Tierhaltung"

Konkret soll ein System kommen, das mehrere Haltungsformen unterscheidet und anzeigt – die Spanne reicht von den gesetzlichen Mindestanforderungen über mehr Platz und Beschäftigungsmaterial im Stall bis zu Auslauf ins Freie und Bio-Tierhaltung:

  1. Stall
  2. Stall + Platz
  3. Frischluftstall
  4. Auslauf/Freiland
  5. Bio soll als Extra-Kategorie geführt werden

Die Verpflichtung soll laut Özdemir zunächst für Schweinefleisch gelten und danach auch auf weitere Tierarten ausgeweitet werden. Die verbindliche staatliche Haltungskennzeichnung sei damit ein "zentraler Baustein einer zukunftsfesten landwirtschaftlichen Tierhaltung", sagte der Minister. "Unsere tierhaltenden Betriebe brauchen dringend eine verlässliche und langfristige Perspektive, damit sich Investitionen in Tierwohl und Klimaschutz lohnen", begründete Özdemir das Vorhaben im Interview mit dem ARD Hauptstadtstudio am Dienstag.

Finanzhilfen für den Stallumbau sind an neues Stufensystem gebunden

Neu an diesem Entwurf ist dabei die Kategorie "Stall + Platz", die der Handelsverband Lebensmittel (BVLH) begrüßt. Im Gespräch mit watson erklärt Christian Böttcher, Pressesprecher beim BVLH:

"Ohne die Stufe ‚Stall plus Platz‘ wären all die Betriebe auf die Einstiegsstufe ‚Stall‘ zurückgefallen, die die Kriterien der Stufe ‚Frischluftstall‘ zwar nicht erfüllen, aber dennoch einen merklich höheren Tierwohlstandard bieten, als es der gesetzliche Standard vorsieht."

Durch den Zusatz werden nun also auch die landwirtschaftlichen Betrieben in die Kennzeichnung inkludiert, die durch eine Umgestaltung ihrer Stallinnenräume mehr Platz und Qualität für ihre Tiere schaffen und damit zwar bereits auf dem Weg hin zu mehr Tierwohl seien, die sich aber einen flächenmäßigen Ausbau nicht leisten könnten. Ohne Kennzeichnung wären diese Betriebe aber nicht berechtigt, auch staatliche Fördergelder zum Umbau zu beziehen, wie Böttcher erklärt:

"Wäre bei der staatlichen Kennzeichnung so eine Stufe weggefallen, gäbe es erheblich weniger Anreiz für viele Tierhalter, sich an der Initiative Tierwohl zu beteiligen. Wenn der Mehraufwand in der Kennzeichnung nicht sichtbar wird, den die Landwirte bei der Haltungsform ‚Stall plus Platz‘ im Gegensatz zur Haltungsform ‚Stall‘ haben, stellt sich für viele die Frage: ‚Warum betreibe ich diesen Aufwand überhaupt‘. Die Gefahr wäre groß, dass sie wieder zum gesetzlichen Standard zurückgekehrt wären."
Christian Böttcherpressesprecher BVLH

Als Anschubfinanzierung für den Stallumbau ist bis zum Jahr 2026 im Bundeshaushalt eine Summe von einer Milliarde Euro vorgesehen, wobei Cem Özdemir am Dienstag bereits einräumte, dass dieser Betrag nicht ausreichen werde. Für die weitergehende Finanzierung gebe es innerhalb der Koalition aber noch "Klärungsbedarf", sagte der Minister dazu. Vorschläge wie eine höhere Mehrwertsteuer oder eine "Tierwohlabgabe" stoßen bislang vor allem bei der FDP auf Ablehnung.

Deutscher Tierschutzbund sieht deutlichen Nachbesserungsbedarf

Umwelt- und Verbraucherschützer kritisieren mangelnden Tierschutz am neuen Entwurf des BMEL. Wie der Deutsche Tierschutzbund am Dienstag in einer Pressemitteilung mitteilte, sei der Gesetzentwurf bislang "unzureichend, da er nur eine Kennzeichnung von Schweinefleisch vorsieht und die Gastronomie außen vor lässt". Besonders kritisch sieht Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, dass die Bereiche Transport und Schlachtung entgegen Ankündigungen im Koalitionsvertrag nicht Teil des Kennzeichens sein sollen: "Hier erwarten wir Vertragstreue."

Die stattdessen geplante Verschärfung der Kontrollen sei zwar eine notwendige Verbesserung, die allen Tieren zu Gute komme, jedoch befürchten die Tierschützer einen Verhandlungsmarathon, der sich über Jahre ziehen könnte. "Wir erwarten daher sofort zumindest verbindliche Eckpunkte für die Bereiche Transport und Schlachtung", so Schröder.

Zudem brauche ein für die Verbraucher vertrauenswürdiges Kennzeichen ein engmaschiges und sicheres Kontroll- und Sanktionssystem. Kritisiert wird auch das Fehlen tierbezogener Kriterien als Bewertungsmaßstab: "Das gewollte Mehr an Tierschutz muss beleg- und messbar sein", so Schröder.

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