Das Meer rauscht, die Gischt spritzt, wenn sich die "Seekuh" gemächlich ihren Weg entlang der Küste bahnt. Auf einem Förderband wird Plastik aus dem Meer auf das Deck des Katamarans geholt: Cola-Dosen, Plastiktüten, Strohhalme. Und vieles mehr. An Bord der "Seekuh" sortieren Mitarbeitende den eingeholten Müll. Sobald sie wieder an Land anlegen, holen Lkw oder Tuktuks diesen ab und bringen ihn zu Sammelstellen, wo er nochmals sortiert und anschließend gelagert wird.
In elf Müll-Hotspots – von Brasilien über Uganda, Malaysia, Indonesien und die Philippinen – sind Müll-Sammelaktionen wie diese bereits Realität. Der "Seehamster", die "Seekuh" und der "Seeelefant" – sie alle sind Teil der Maritimen Müllabfuhr, dem ganzen Stolz von Günther Bonin.
Bonin hat 30 Jahre lang in der IT gearbeitet. Bis er eines Nachts bei einer Segeltour im Jahr 2008 in einen Müllhaufen fuhr, den ein Tanker über Bord geworfen hatte. Der IT-ler ist verärgert und schockiert darüber, dass dies gang und gäbe zu sein scheint.
Er will das ändern, unbedingt.
Denn Jahr für Jahr gelangen über zehn Millionen Tonnen Müll in die Ozeane, bis zu 80 Prozent davon haben ihren Ursprung an Land. Schon heute befinden sich mehr als 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren – Tendenz steigend. Bis 2050, so sagen es Studien der Vereinten Nationen voraus, wird mehr Müll in den Ozeanen schwimmen als Fische.
Das birgt diverse Gefahren: Für das Meer. Für die Fische und Lebewesen, die in ihm beheimatet sind. Für uns Menschen.
Das kann und will Günther Bonin nicht länger hinnehmen. Kaum ist Bonin von seinem Segel-Trip zurück, fängt er an zu recherchieren. Irgendeine Möglichkeit, die Meere von den Müllteppichen zu befreien, muss es doch geben!
Er recherchiert und findet – nichts.
Nur punktuelle Forschungsprojekte. Keine Technologien, mithilfe derer man flächendeckend Müll aus dem Meer fischen könnte. Nichts.
Er überlegt – und hat plötzlich eine Idee: Was wäre, wenn eine maritime Müllabfuhr den Müll einsammelt? Was an Land funktioniert, muss schließlich auch auf den Meeren klappen.
Das war 2009.
2023, 14 Jahre später, ist die maritime Müllentsorgung längst keine Utopie mehr. Lange schon ist sie etabliert in den schmutzigsten Regionen der Welt und fischt Tag für Tag hunderte Kilo Müll aus den Meeren.
Und trotzdem: Die Menge an Müll in den Meeren scheint schier unendlich. "Wenn wir in Kambodscha oder Indonesien unterwegs sind, dann sehen wir manchmal Stellen, wo die Konzentration an Müll so hoch ist, dass man glaubt, wir schaffen das nicht", erzählt Günther Bonin im Gespräch mit watson. "Man kennt die Bilder ja."
Aber dann fahren sie mit dem Katamaran raus, das Förderband läuft, die Mitarbeitenden sortieren – und binnen zwei, drei Stunden holen sie ein paar hundert Kilo Müll aus dem Wasser. "Was ist dann erst in zehn Stunden möglich?", fragt Bonin und ergänzt sogleich: "Man sieht – es ist alles eine Frage der Skalierbarkeit. Je mehr Leute wir einsetzen können, umso mehr schaffen wir auch."
Die Pack-an-Mentalität zieht sich durch das Leben Bonins. Selbst schier unlösbare Probleme, wie die zugemüllten Meere vom Kunststoff zu befreien, geht Bonin strategisch an: Er gründete die Organisation "One Earth One Ocean", suchte sich ein Expertenteam zusammen: Biolog:innen, Schiffskonstrukteur:innen, Metallbauer:innen und freiwillige Helfer:innen. Sein Credo: "Wir müssen optimistisch bleiben. Wenn wir alle Pessimisten sind, können wir ja gleich aufgeben."
Um die Meere bestmöglich zu reinigen, hat der Verein verschiedene Schiffstypen entwickelt:
Jeder dieser Schiffstypen wird in speziellen Regionen eingesetzt, auf die er genauestens zugeschnitten ist. Das Gute ist: "Wir wissen genau, wann der Müll kommt und wir die Barrieren einsetzen müssen, um dann den ganzen Müll einzuholen", erklärt Bonin. Dafür setzt sein internationales Team Kameras und Satelliten ein.
Da 80 Prozent des in den Ozeanen schwimmenden Mülls von Land stammen, sammelt der Verein allem voran an den Ufern und in Flussmündungen. Er sagt:
Anders als viele andere Organisationen fischt "One Earth One Ocean" nicht nur den Plastikmüll aus den Meeren, den sie später verkaufen können – sondern alles.
"Wir sagen uns, die Fische brauchen kein Spielzeug von den Menschen, das ihnen schadet, oder überhaupt irgendwelchen Müll", erläutert Bonin. Denn davon finde man in den Meeren und Flüssen eine ganze Menge – und nur bei einem Bruchteil davon handele es sich um Plastik. "Von 100 Kilo Müll sind vielleicht zehn Kilo Plastik, der Rest sind Fahrräder, Waschmaschinen, Decken oder so."
Wie viel Müll der Verein seit Beginn seiner Aktionen 2016 aus Flüssen und Meeren gefischt hat, kann Bonin nicht genau beziffern. "Aber ich sage mal so: Wir haben schon tausende Tonnen von Müll rausgeholt. Wenn man das jetzt auf den Plastikmüll beschränkt, waren es vielleicht ein paar hundert Tonnen."
Zwar sei das aufs Ganze bezogen natürlich nicht allzu viel. "Aber die Zahlen zeigen, dass man es schaffen kann. Wir haben die entsprechenden Technologien und wir können effektiv gegen diese Berge an Müll in den Gewässern vorgehen", sagt Bonin.
Allein mit dem Seeelefanten, der 2025 in Betrieb genommen werden soll, könnten 200 Tonnen Müll in Öl umgewandelt werden. Pro Tag. Bonin ergänzt:
Denn wenn die Wasseroberfläche der Meere mit Kunststoffen verdeckt ist, scheint die Sonne nicht mehr tief genug herein. Die Folge: Die Sauerstoffproduktion lässt nach. "Wenn wir also unser Leben und unsere schöne Erde erhalten wollen, dann ist es unsere Aufgabe, die Gewässer sauber zu halten."
Und zwar nicht nur die Meere.
Und nicht nur die Flüsse, sondern alle Gewässer.
Günther Bonin betont: