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"Berlin 2030 klimaneutral": Alle Infos zum Klima-Volksentscheid

PRODUKTION - 20.03.2023, Berlin: Ein Plakat mit der Aufschrift "Berlin 2030: G
In Berlin und bundesweit wird das Ergebnis des Klima-Volksentscheids mit Spannung erwartet. Bild: dpa / Christophe Gateau
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Wird Berlin bis 2030 klimaneutral? Was du über den Klima-Volksentscheid wissen musst

23.03.2023, 08:26
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Am Sonntag, dem 26. März, wird es in Berlin eine Klima-Abstimmung geben, die bei einem positiven Ergebnis eine Signalwirkung haben dürfte. Berliner Bürger:innen dürfen an diesem Tag darüber entscheiden, ob sie von ihrer Regierung erwarten, die Stadt bis 2030 klimaneutral zu gestalten. Der ursprüngliche Plan der Politik wäre, dies bis 2045 umzusetzen.

Ist der Volksentscheid "Berlin 2030 Klimaneutral" des Bündnisses Klimaneustart erfolgreich, müsste das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz geändert werden. Der Berliner Senat wäre folglich verpflichtet, klimaschädlichen Emissionen bis 2030 um 95 Prozent zu senken – und zwar sozial gerecht.

Doch ist diese Forderung realistisch? Was bedeutet Klimaneutralität bei einer Stadt eigentlich? Und welche Auswirkungen kann es für mich haben, wenn Berlin schneller klimaneutral wird? Watson beantwortet die wichtigsten Fragen zum Volksentscheid.

Was bedeutet klimaneutral?

Klimaneutral bedeutet nicht, wie das Wort vermuten lässt, dass Berlin nun gar keine schädlichen Emissionen mehr ausstoßen darf. Das wäre auch vollkommen utopisch. Klimaneutralität bedeutet laut IPPC-Glossary, dass "durch menschliche Aktivität in Summe das Klima nicht beeinflusst wird". Es dürfen also aus Industrie, Verkehr, Landwirtschaft oder Wohnraum nicht mehr Treibhausgase wie CO₂ oder Methan in die Luft entweichen, als wieder daraus gebunden werden können.

Für Berlin bedeutet Klimaneutralität laut der Novelle Klimaneustart konkret:

"Im Land Berlin ist die Gesamtsumme der Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2025 um mindestens 70 Prozent und bis zum Jahr 2030 um mindestens 95 Prozent im Vergleich zu der Gesamtsumme der Kohlendioxidemissionen des Jahres 1990 zu verringern. Dies gilt für alle sonstigen Treibhausgasemissionen entsprechend."
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Was müsste passieren, damit Berlin bis 2030 klimaneutral wird?

Der Gesetzentwurf des Bündnis Klimaneustart schreibt selbst keine genauen Maßnahmen vor, wie das Ziel erreicht werden soll. So soll Entscheidungsspielraum für die jeweils besten Lösungen gelassen werden. Vorschläge für die Politik gebe es aber schon.

Dazu gehört beispielsweise, die Empfehlungen des Klima-Bürger:innenrates umzusetzen. Dort diskutierten 100 zufällig ausgeloste Menschen aus Berlin zwischen April und Juli 2022 mit Unterstützung wissenschaftlicher Expertise Maßnahmen für mehr Klimaschutz. Der Berliner Senat hat zwar inzwischen viele Maßnahmen im Energie- und Klimaschutzprogramm berücksichtigt. Jedoch fehlen messbare Kennzahlen bei den größten Hebeln, um die Zielerreichung zu kontrollieren, kritisiert das Bündnis Klimaneustart.

Ragnhild Sørensen, Sprecher vom Verein Changing Cities, setzt für die Klimaneutralität auf die Reduzierung der Autos und verweist auf das Umweltbundesamt: Dieses fordert, dass die Motorisierungsrate in Berlin mehr als halbiert werden müsste – von knapp 340 auf rund 150 Autos pro tausend Einwohner. Stattdessen sollte es einen Ausbau des ÖPNVs, ein Verbrennerverbot in der Innenstadt, Verkehrsberuhigung und Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur geben.

Berlin braucht immer noch eine bessere Infrastruktur für Radfahrer.
Berlin braucht immer noch eine bessere Infrastruktur für Radfahrer.Bild: iStockphoto / jacoblund

Wichtig zu wissen: Der Flughafen BER würde nicht gleich geschlossen, wenn der Volksentscheid erfolgreich wäre. Stattdessen soll der Flugverkehr klimafreundlich gestaltet werden. Dies zumindest plant Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group. Sein Vorschlag: Kurzstrecken auf elektrische Antriebe umstellen und Biokerosin verwenden.

Arnold Drewer vom Institut für preisoptimierte energetische Gebäudemodernisierung fordert zudem eine bessere Dämmung der Häuser. Mit Investitionen von 3,8 Milliarden Euro könne Berlin jährlich 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen, rechnete er vor. Ein guter, aber teurer Schritt zu mehr Klimaneutralität.

Was sind die Argumente der Befürworter?

Die Berliner Bürgermeisterin und Umweltsenatorin Bettina Jarrasch (Grüne) kündigte bereits an, beim Volksentscheid "Berlin 2030 Klimaneutral" mit Ja zu stimmen.

Die Befürworter des Volksentscheids verweisen auf die Warnungen und Erkenntnisse der Klimaforscher: Die Klimaneutralität bis Mitte des 21. Jahrhunderts ist notwendig, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen – ein Schwellenwert, der vom Weltklimarat als sicher eingestuft wird.

Experten sind sicher: Es kommt auf dieses Jahrzehnt an. Nur jetzt gibt es noch die Chance, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, um zukünftigen Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Auch der neueste IPCC-Bericht, der am 20. März veröffentlicht wurde, warnt eindringlich, mehr und schneller zu handeln. Watson hat die fünf wichtigsten Punkte daraus zusammengefasst.

Was sind die Argumente der Gegner?

Die Mehrheit der Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus sind skeptisch, ob sich das Ziel Klimaneutralität 2030 erreichen lässt. Auch die Wirtschaft sperrt sich. Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB), sagt: "Das Ziel ist schlicht nicht erreichbar."

Der UVB-Chef begründet dies damit, dass Berlins Primärenergie noch zu über 90 Prozent aus fossilen Quellen stammt. Eine Umstellung auf grüne Energie in sieben Jahren sei seiner Meinung nach unmöglich. Bei der energetischen Sanierung aller Berliner Immobilien, der klimaneutralen Umrüstung von Wärmeversorgung und Stromerzeugung, der Dekarbonisierung der Industrie und der Umstellung des Verkehrs auf Elektromobilität läge man grob geschätzt bei "Investitionen von mehreren Hundert Milliarden Euro, von den fehlenden Fachkräften ganz zu schweigen", sagt er auf der Website des UVB.

Welche Auswirkungen hätte ein klimaneutrales Berlin 2030 auf mich?

Kann ich bei einem Erfolg des Volksentscheids noch mit dem Auto durch die Stadt fahren oder vom BER in den Urlaub fliegen? Beziehungsweise: Werde ich es mir noch leisten können?

Viele befürchten, dass durch Maßnahmen wie Gebäudesanierungen und Umstellung auf Biosprit das Leben noch teurer wird: wahrscheinlich schon. Doch auch Klimaschäden – jetzt und in der Zukunft – werden für die Gesellschaft hohe Kosten verursachen. Der Volksentscheid fordert außerdem: "Sozial- und Klimapolitik müssen Hand in Hand gehen." So sieht er beispielsweise einen Ausgleich von Mietsteigerungen aus dem Senatshaushalt vor.

Auch sollen Autos oder Flüge nicht verboten werden, um Berlin klimaneutral zu machen. "Das Problem ist der Privatbesitz am Auto", will Ragnhild Sørensen die Bürger:innen in der Berliner Zeitung beschwichtigen. Dies führe dazu, dass Fahrzeuge im Schnitt 96 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen. Denkbar wären stattdessen Share-Modelle.

Ist die Umsetzung realistisch?

Nur weil ein Volksentscheid erfolgreich ist, heißt es noch lange nicht, dass er auch umgesetzt wird. Machbar sei die klimafreundliche Umgestaltung Berlins laut Studien aber.

Die Energy Watch Group hat zum Beispiel eine Machbarkeitsstudie erstellt, die zeigt, wie Berlin zusammen mit Brandenburg eine klimaneutrale Energieversorgung (Strom und Wärme) bis 2030 erreichen kann. Auf der Website von Berlin Klimaneutral 2030 gibt es noch weitere Studien.

Was aber bringt der Volksentscheid, wenn die Maßnahmen nicht umgesetzt werden? Klimaschutz sollte in jeder politischen Diskussion und bei jeder politischen Entscheidung eine Rolle spielen. Sørensen will dabei einen konstruktiven Ansatz: "Warum setzen wir uns nicht an einen Tisch, um darüber zu sprechen, was möglich ist – anstatt immer nur zu sagen: Es geht nicht?", fragte er laut "Berliner Zeitung".

Berlin will außerdem die Verbindlichkeit verschärfen: Klimaschutzziele sollen zu Klimaschutzverpflichtungen werden. Damit das novellierte Klimaschutz- und Energiewendegesetz nach einem erfolgreichen Volksentscheid auch umgesetzt wird, soll es juristische Wege geben. Beispielsweise sollen neue Landesgesetze nur in Kraft treten, wenn sie die Anforderungen der Klimaneutralität erfüllen.

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