Der Traum von der WM-Teilnahme endete für vier Nationalspieler in Südtirol auf der Rückbank eines Vans mit abgedunkelten Scheiben. Einer nach dem anderen brausten sie vom Hof des Hotel Weinegg, dem Quartier der DFB-Elf im Trainingslager in Eppan. Torwart Bernd Leno, Innenverteidiger Jonathan Tah (beide Bayer Leverkusen), Stürmer Nils Petersen (SC Freiburg). Und überraschend auch Flügelstürmer Leroy Sané (Manchester City).
Während die anderen drei Streichkandidaten als wahrscheinlich galten, hatte ein Aus von Sané kaum ein Experte auf der Rechnung. Auswahltrainer Joachim Löw sagte:
Der frühere Schalker Sané hat bei Manchester City eine sensationelle Saison gespielt. Seine Bilanz: Zehn Tore und 15 Vorlagen in der Premier League, Stammspieler in der Elf von Trainer Pep Guardiola, überlegener englischer Meister.
Kann sich Joachin Löw wirklich erlauben, auf Sané zu verzichten?
Ja, er kann – und dafür gibt es sogar einige gute Gründe:
In seinen zwölf Länderspiel-Einsätzen hat der 22-jährige Sané bislang enttäuscht. Eine Tor-Vorlage konnte er beisteuern, ansonsten fiel er eher durch Ballverluste und überhastete Aktion auf. Oft rannte er sich gegen drei oder vier Gegenspieler fest, verpasste den richtigen Moment zum Abspiel oder spielte einfache Fehlpässe. Als sicherer Kader-Kandidat galt Sané vor allem wegen der Leistungen in seinem Klub – ein Trugschluss.
Sanés größte Stärke ist das Dribbling. Wenn er mit viel Tempo auf seine Gegenspieler zulaufen kann, ist er kaum zu bremsen. Bei Manchester City genießt er dafür viele Freiheiten, er arbeitet nur verhalten mit nach hinten und lauert häufig weit draußen auf dem linken Flügel. Bekommt er dann den Ball, hat er genügend Platz, um seine Schnelligkeit auszuspielen.
In der Nationalelf hat er diese Räume nicht. Gegen Österreich verlangte Löw von seinen Flügelspielern erneut weit ins Zentrum zu rücken, um Platz für die nachrückenden Außenverteidiger Hector und Kimmich zu machen. Die Rolle liegt beispielsweise Julian Draxler oder Marco Reus – nicht aber Sané. Je weiter er ins Zentrum muss, desto weniger nutzt ihm seine Geschwindigkeit, weil er plötzlich von vier oder fünf Gegenspielern umringt ist.
Mit seiner Entscheidung gibt Joachim Löw die Marschrichtung für die WM vor und sendet ein deutliches Signal an alle Spieler: Er verzichtet auf einen der stärksten Einzelspieler. Für ihn steht wieder das Kollektiv im Vordergrund. Das deutsche Team wird ähnlich wie 2014 etwas weniger individuelle Klasse haben als beispielsweise Frankreich, Spanien oder Brasilien. Die Stärke beim Titelgewinn vor vier Jahren war die mannschaftliche Geschlossenheit – und sie soll es erneut werden. Freiräume, die ein Leroy Sané braucht, wird es nicht geben.
Die anderen drei Entscheidungen sind leicht nachzuvollziehen. An Torhütern (vier) und Innenverteidigern (sechs) hatte Löw ein Überangebot. Die beiden Leverkusener Bernd Leno und Jonathan Tah zogen jeweils den Kürzeren. Stürmer Nils Petersen konnte seine Qualität bei seinem Länderspiel-Debüt gegen Österreich nicht nachweisen und hat mit Mario Gomez und Timo Werner letztlich zu starke Konkurrenz im Sturm gehabt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf t-online.de.