Das Verhältnis zwischen Sport und Politik ist schwierig. Vor allem Fußballfunktionäre reklamieren immer dann, wenn es politisch kompliziert wird, eine naive Form der Autonomie für sich und ihren Sport. Frei nach dem Motto, der Fußball sei unpolitisch und zweckfrei, gelingt es auf diese Weise sich immer dann abzuducken, wenn man anecken oder gigantische Einnahme- und Profitquellen verprellen könnte.
Am Donnerstagabend wurden wir alle Zeugen unsäglicher und zutiefst beschämender Gewaltexzesse gegen Anhänger des israelischen Klubs Maccabi Tel Aviv. Am Rande des Europa-League Spiels gegen Ajax Amsterdam war es zu gewalttätigen Angriffen auf israelische Fans gekommen. In der Auswertung und ersten Reaktion sprachen viele Politiker von einem regelrechten Pogrom.
Juden wurden von einem barbarischen Mob verfolgt, verprügelt, mit Autos gejagt und überfahren, in Flüsse geworfen und mussten in dieser Not um ihr Leben flehen.
Es fällt schwer, treffende Worte in der Beschreibung und Einordnung dieser Geschehnisse zu finden. Es wurden Zusammenhänge zur Reichskristallnacht gezogen, die sich heute, zwei Tage nach dieser abscheulichen Hetzjagd auf jüdische Fußballfans, zum 86. Mal jährt.
Dieser Vorfall ist kein Gewaltproblem des Fußballs, gleichwohl bot der Fußball den Anlass für diesen Gewaltexzess. Die internationalen Dachverbände Uefa und Fifa, aber auch die nationalen Fußballverbände und alle Vertreter dieses Sports, die das Spiel immer auch in seiner gesellschaftlichen Dimension verstehen und vermitteln wollen, sitzen deshalb mit im Boot und sind gefordert, Stellung zu beziehen und Verantwortung zu übernehmen.
In den Stunden nach den Vorfällen in Amsterdam reihten sich denn auch die Offiziellen des Fußballs in die Statements der exponierten Vertreter aus Politik und Kultur ein. Neben Solidaritätsbekundungen gegenüber Israel wurden diese Verbrechen auf das schärfste kritisiert und mit der Forderung verbunden, "so etwas darf sich nicht wiederholen".
Aber es wiederholt sich und auch die aktuellen Statements gut gemeinter Symbolpolitik werden wahrscheinlich nichts daran ändern, dass die Gefahr weiterer Übergriffe dieser abscheulichen Art immer noch nicht gebannt ist. Mit Blick auf die Vielzahl antisemitischer Straftaten, die sich in Europa und in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 ereignet haben, liegt es auf der Hand, dass die Politik schleunigst handeln muss.
Gleichzeitig wissen wir auch aus anderen Feldern und Problemlagen, dass der Verweis auf politisches Handeln in den höchsten Ebenen und Gremien längst noch nicht ausreicht, um – welche Problemlagen und Herausforderungen auch immer – in irgendeiner Form meistern zu können.
Die Gesellschaft und Kultur muss in all ihren Teilen mitziehen, Haltung zeigen und vor Ort und in jeder brenzlichen Situation Taten folgen lassen. Auch wenn es schwierig ist und zuweilen weh tut. Damit kommt der Sport und – in diesem Kontext – der Fußball ins Spiel.
Wo liegen die besonderen Herausforderungen und Chancen dieses Sports? Welche Kräfte des Spiels müssen zu welchen Anlässen wie gebündelt oder beschworen werden, sodass Fußballer:innen auf der ganzen Welt mithelfen, diesem unsäglichen Antisemitismus zu begegnen. Hier sind kleine Schritte mit großer Symbolkraft hilfreich. Zuweilen ist es auch erforderlich, sportpolitische Gepflogenheiten, Rituale oder Zustände zu hinterfragen und zu diskutieren.
In diesem Sinne: Weshalb werden israelische Klubs in der asiatischen Konföderation ausgegrenzt und diskriminiert, sodass sie – ebenso wie Sportler anderer Sportarten in der Uefa beziehungsweise in anderen europäischen Dachverbänden mitspielen müssen? Gibt es in der internationalen Sportpolitik einen Plan zu dieser Thematik? Oder ist dieser Status Quo längst akzeptiert?
Wie steht es um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft nach Saudi-Arabien? War das Thema "Israel" ein Kriterium bei der Entscheidungsfindung? Und weshalb kann sich der Fußball Weltverband in seinem Fifa-Rat nicht glasklar gegen den im Mai dieses Jahres vom palästinensischen Fußballverband gesellten Antrag auf Sanktionen gegen den israelischen Fußball positionieren?
Weshalb wurde die Entscheidungsfindung vom mächtigen Fifa-Rat, in dem übrigens auch DFB Präsident Bernd Neuendorf sitzt, nicht immer wieder verschoben und in die Hände externer Berater und Juristen vergeben? Was ist so schwer daran, Haltung zu zeigen?