In der Serie Unvergessen blicken wir jeweils am Jahrestag auf ein großes Ereignis der Sportgeschichte zurück. Diesmal: 6. September 2003. Nach einem lahmen 0:0 auf Island hat Bundestrainer Rudi Völler die Schnauze voll vom ewigen Gemotze der Medien und der Experten. Also schlägt er zurück – und wie! Sein Interview bei Waldemar Hartmann ist eine Sternstunde der Fußball-Berichterstattung.
Rudi Völler ist einer der populärsten deutschen Fußballer aller Zeiten. Auch als Bundestrainer ist der langjährige Torschütze der Nationalmannschaft beliebt, hat er doch eine fußballerisch eher limitierte Auswahl zum Vize-Weltmeistertitel 2002 geführt.
Doch nun weht "Tante Käthe" ein steifer Wind entgegen, denn in der Qualifikation für die EM 2004 läuft es überhaupt nicht nach Wunsch. Mühsame 2:1- und 2:0-Siege gegen die Färöer-Inseln, je ein 1:1 gegen Litauen und Schottland – das ist nicht das, was man sich in Deutschland vorstellt.
Es folgt "der absolute, neue Tiefpunkt", wie es ARD-Moderator Gerhard Delling formuliert: ein 0:0 auf Island. Völler platzt der Kragenl, als er bei Waldemar Hartmann im improvisierten Studio sitzt und Delling zuhört, wie er mit Altstar Günter Netzer über die Partie plaudert.
"Die Geschichte mit dem Tiefpunkt und noch mal ein Tiefpunkt. Da gibt's noch mal einen niedrigen Tiefpunkt. Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören. Das muss ich ganz ehrlich sagen.
Natürlich war das heute nicht in Ordnung. Aber ich weiß nicht, woher die das Recht nehmen, so etwas zu sagen. Das verstehe ich nicht."
"Ich kann diesen Käse nicht mehr hören nach jedem Spiel, in dem wir kein Tor geschossen haben, dann ist noch ein tieferer Tiefpunkt. Das ist das Allerletzte. Wechselt den Beruf, das ist besser."
"Ihr müsst doch mal von eurem hohen Ross runterkommen, was ihr euch immer alle einbildet, was wir für einen Fußball in Deutschland spielen müssen."
Moderator Waldemar Hartmann wendet nach Völlers Monolog ein, er verstehe nicht ganz, weshalb Völler diese Schärfe ins Gespräch bringe. Worauf ihm der Bundestrainer ins Wort fällt:
Hartmann ist höchstens einen kurzen Augenblick lang verdutzt, dann verteidigt er sich:
Gegen Ende des Gesprächs zeigt sich Völler versöhnlich: "Tschuldigung, Waldi, die Geschichte mit dem Weizenbier habe ich nicht so gemeint. Alles andere habe ich so gemeint."
Obwohl Hartmann nach eigener Aussage kein Freund der bayrischen Biervariante ist, begleitet ihn von diesem Moment an der Spitzname "Weißbier-Waldi". Völlers Ausraster sorgt für ein willkommenes Taschengeld, eine Brauerei engagiert den Moderator als Werbeträger:
Waldemar Hartmann schickt Rudi Völler jedes Jahr am 6. September eine SMS, es ist zum Ritual geworden zwischen den beiden: "Herzlichen Dank, eine Provision bekommst du immer noch nicht. Aber beim nächsten Treffen geht die Rechnung wieder auf mich."
Der erfahrene Medienmann Hartmann sagt im Rückblick, er habe sofort erkannt, was gerade passiere. "Ich habe mir gesagt: 'Bleib schön ruhig, Waldi.' Das war geil, was da abging. Ich habe sofort gemerkt, das schreibt jetzt Fernsehgeschichte. Ein rasender Bundestrainer. Ich war glücklich, durfte es aber nicht zeigen. Ich dachte: 'Genial, Rudi, du bist grandios, mehr davon.'"
Das Publikum steht ohnehin auf der Seite Völlers, seines langjährigen Lieblings, so dass der Ausraster für ihn keinerlei negative Auswirkungen hat. Nach der verkorksten EM 2004 tritt Rudi Völler als Nationaltrainer zurück. Einem kurzen Intermezzo als Trainer der AS Roma, wo er als Stürmer eine Legende ist, folgt der Einstieg als Sportdirektor von Bayer Leverkusen, wo er immer noch tätig ist.