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Ist genmanipuliertes Essen unsicher? Das EuGH-Urteil zur Gentechnik in 9 Punkten

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Ist genmanipuliertes Essen unsicher? 9 Erklärungen zum neuen EuGH-Urteil

25.07.2018, 15:09
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Wie sicher sind Äpfel, in denen Forscher am Erbgut herumgebastelt haben? Sind Lebensmittel aus gentechnischer Produktion die Zukunft? Und wie sehr darf sich der Mensch in die Evolution einmischen? Diese Fragen standen am Mittwoch vor dem Europäischen Gerichtshof zur Debatte. Die höchste Instanz sollte entscheiden, ob die rund 18 Jahre alten EU-Regeln zur Gentechnik auch für neuere Verfahren gelten.

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Bild: imago stock&people

Das Ergebnis: Ob alte oder neue Verfahren – Lebensmittel, die mit Gentechnik verändert wurden, dürfen nicht ungekennzeichnet in die Supermärkte gelangen. Umweltschützern und Gegnern der Gentechnik gefällt das. 

Der Deutsche Bauernverband hatte hingegen davor gewarnt, derlei Produkte alten Regeln zu unterwerfen. Es fehlten sonst wichtige Züchtungsmöglichkeiten für Pflanzen, die etwa gegen Krankheiten und Hitze widerstandsfähiger seien. Viele Unternehmen sollen bereits in den Startlöchern gestanden haben für die neuen Technologien.

Doch worum geht es eigentlich? Welche Produkte würden verändert? Und ist das gefährlich für uns? Wir beantworten 9 Fragen.

Was sind diese neuen Techniken?

Konkret geht es um eine Methode mit dem Namen Crispr/Cas9. Unter Experten ist sie schwer umstritten. Vorstellen kann man sich darunter eine Art Schere, mit der Biologen Teile des Erbgutes eines Organismus zerschneiden und neu zusammensetzen können.

Erbgut – was ist das nochmal?
Im Erbgut sind Informationen gespeichert, die uns vererbt wurden (und die wir an folgende Generationen weitergeben können). Zum Beispiel Haar- und Augenfarben oder auch vererbbare Krankheiten. Bestandteile des Erbguts sind Chromosomen, die DNA oder die RNA.

Die Methode gilt als ziemlich genau. Sie könnte die Züchtung von Pflanzen und Tieren mit bestimmten erwünschten Eigenschaften deutlich beschleunigen und wird als Wunderwaffe gegen jeden Form moderner Krankheiten gehandelt. Gegner warnen allerdings davor, dass die 2012 entwickelte Methode noch nicht ausreichend erforscht sei.

Was sind die Vorteile der Genmanipulation?

Befürworter argumentieren:

  • Das Verfahren ist zielgenauer als klassische Züchtung oder ältere gentechnische Verfahren.
  • Die Züchtungen seien mit Hilfe von Crispr nicht mehr vom Zufall abhängig wie früher, sondern basieren auf einem klaren Design.
  • Die so fabrizierten "Mutanten" hätten durchaus auch auf natürliche Weise entstehen können.
  • Pflanzen könnten sich besser gegen Krankheiten oder Trockenheit wehren.
Was Gentechnik für Pflanzen tun kann:
Weizen beispielsweise könnte gegen die Pilzerkrankung Mehltau resistent gemacht werden. US-Forscher haben außerdem bei Speisepilzen die Genabschnitte ausgeschaltet, die für die Bräunung nach dem Anschneiden verantwortlich sind. Diese Pilze fallen in den USA nicht unter die Gentechnik-Vorschriften.

Was sagen die Gegner?

Der langjährige Greenpeace-Mitarbeiter und heutige Direktor des Instituts Testbiotech Christoph Then warnt vor Crispr-Pilzen. Es habe keine Untersuchung der US-Behörden zu den Auswirkungen der gentechnischen Veränderungen auf den Stoffwechsel der Pilze gegeben.

"Wir können nicht einfach den Gentechnik-Herstellern vertrauen, dass die Produkte unbedenklich sind."

Das müsse unabhängig untersucht werden, fordert Then. Es gebe Forschungsergebnisse, die zeigten, dass Crispr gar nicht so zielgenau funktioniert wie Befürworter es behaupten.

Auch unklar bleibt, was passiert, wenn die veränderten Organismen sich in der freien Natur ausbreiten.

Oder geht es eigentlich ums Geld?

Seit der Anwendung von Crispr haben sich zwei Fronten gebildet: Auf der einen Seite Gentechnik-Gegner, Biolandwirte und Handelsunternehmen.

  • Sie argumentieren mit der Wahlfreiheit der Verbraucher, die auf Gentechnik verzichten wollen.
  • Die Handelsketten fürchten, dass ihr "Ohne Gentechnik"-Siegel nichts mehr wert ist, falls Crispr und ähnliche Techniken nicht gemäß Gentechnik-Richtlinie gekennzeichnet werden müssen und somit theoretisch überall eingesetzt werden könnten.
  • Mit dem Siegel verdienen sie Milliarden.

Eine animierte Darstellung von Crispr/Cas9:

3d render of the CRISPR-Cas9 genome editing system
Bild: iStockphoto

Auf der anderen Seite stehen die Forscher und Konzerne, die mit den neuen Methoden arbeiten.

  • Sie fürchten, dass bei einer Einstufung als Gentechnik keine Mittel mehr für die Forschung fließen und Europa bei dieser Zukunftstechnologie zurückfällt.
  • Die Methoden sind vergleichsweise billig, weshalb auch kleine Labors und Züchter damit arbeiten könnten.
  • Sie könnten die aufwendigen Zulassungsverfahren gemäß der Richtlinie nicht stemmen, so die Argumentation.
  • Deshalb fordern die Befürworter, dass es auf das Ergebnis ankommen soll, nicht auf die Methode.
  • Wenn also eine Pflanze mittels Crispr mutiert, komme es darauf an, ob das auch auf natürliche Weise hätte passieren können – falls ja, soll sie nicht unter die Gentechnik-Richtlinie fallen.

Was steht in der Richtlinie aus dem Jahr 2001?

Darin sind gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) folgendermaßen definiert: Sie sind Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist.

Von den GVO-Regeln ausgenommen sind aber ältere Verfahren, die als sicher gelten. In diesen Fällen wir das Erbgut verändert, ohne dass fremde Erbinformationen eingefügt werden.

Was bedeutet die Klage für die Zukunft?

Crispr wurde von der Europäischen Union als Gentechnik eingestuft. Somit müssten Produkte, die mittels dieses Verfahrens hergestellt werden, einer umfangreichen Risikobewertung unterzogen werden, bevor sie für den Verkauf zugelassen werden.

So funktioniert die Technik:

Die Begründung der Richter: Die neuen Methoden hätten die gleiche Wirkung, als ob man fremde Gene in einen Organismus einführte. Die dabei entstehenden Gefahren seien größer als bei den älteren Verfahren. Ziel der EU-Regelung sei es, grundsätzlich schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern.

In Deutschland wird sich das Bild im Supermarkt nicht groß verändern. Lebensmittel, für die die GVO-Regularien gelten, gibt es bislang nur ganz vereinzelt zu kaufen. Die überwiegende Mehrheit der Verbraucher lehne sie ab, heißt es beim Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels als Begründung.

Das Potential von Crispr/Cas9 ist noch größer

Die Methode könnte bei der Bekämpfung von Hunger, Malaria und Krebs helfen. Die Erfinder gelten als Kandidaten für einen künftigen Nobelpreis. Crispr/Cas9 erlaubt Eingriffe in das Erbgut mit bislang nicht gekannter Präzision. Zudem ist das Verfahren wesentlich schneller und kostengünstiger als herkömmliche Methoden.

Im Grunde geht es um das Ausschneiden und Ersetzen bestimmter Genabschnitte. Wird die DNA in Keimzellen verändert, vererben sich die neuen Sequenzen an die nachfolgenden Generationen. Crispr/Cas9 kann in sämtlichen Mikroorganisamen und Pflanzen bis hin zu Tieren und Menschen eingesetzt werden.

Gene können gezielt verändert werden. Dieses Verfahren besteht aus mehreren Stufen:

  • Erst muss im Genom etwa einer Pflanze die richtige Stelle gefunden und angesteuert werden.
  • Anschließend schneidet ein Eiweiß die DNA an dieser Stelle durch und die Zelle repariert sie anschließend wieder.
  • Dabei können einzelne DNA-Bausteine ausgetauscht, gelöscht oder zugefügt werden.

Das Besondere: Auf diese Weise entstehen Mutanten, die hinterher nicht zwangsläufig als gentechnisch verändert auffallen, weil nur das bereits vorhandene Erbgut verwendet wurde. Diese Mutanten hätten also auch auf natürliche Weise entstehen können.

Sind Veränderungen im Erbgut schlecht?

Jedes Mal, wenn sich Lebewesen fortpflanzen, verändert sich das Erbgut durch Mutation auf ganz natürliche Art. Das nutzt der Mensch seit tausenden Jahren bei der Züchtung von Nutzpflanzen oder Tieren, um bestimmte Eigenschaften dominanter zu machen.

Mutationen können zum Nachteil von Lebewesen vorkommen (Beispiel: Überzüchtung von Hunden, vererbbare Krebs-Anfälligkeit) oder zu deren Vorteil (Beispiel: Aufbau von Resistenzen gegen Krankheiten). Diese Veränderungen gehen aber nur über viele Generationen vonstatten und dauern entsprechend lange.

Manche befürchten, wir sind auf dem Weg zum Designer-Baby

ein Monat altes Baby one month old baby BLWS486023 Copyright: xblickwinkel/McPHOTO/M.xBegsteigerx
Bild: imago stock&people

Deshalb haben Forscher im vergangenen Jahrhundert Methoden entwickelt, um die Mutation zu beschleunigen. Dazu gehören etwa radioaktive Gamma-Strahlung und Chemikalien, die zufällige Veränderungen im Erbgut hervorrufen.

Anschließend müssen die Züchter aus dieser Vielzahl an Mutanten auswählen, welche die gewünschten Eigenschaften haben. Durch diese Verfahren wurden nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung bereits mehr als 3000 neue Pflanzenvarianten gezüchtet.

Klingt doch gut. Was ist das Problem?

Ein verantwortungsloser Einsatz von Gentechnik kann etwa das Aussterben ganzer Arten bewirken. Dadurch würde das Ökosystem in unbekanntem Ausmaß verändert. Außerdem könnten genveränderte Nahrungs- oder Arzneimittel der Gesundheit schaden. Deshalb fordern viele Kritiker einen generellen Verzicht auf Gentechnik. Wissenschaftler bemängeln dabei, dass die Diskussionen oftmals ohne Sachkenntnis über die tatsächlichen Risiken geführt würden.

(sg/afp/dpa)

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