Der Gasverbrauch soll angesichts gedrosselter russischer Lieferungen gesenkt werden.Bild: iStockphoto / Rudenkoi
Klima & Umwelt
Die Industrie unterstützt die Pläne von
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne), den Gasverbrauch
angesichts gedrosselter russischer Lieferungen zu senken. "Wir müssen
den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede
Kilowattstunde zählt", sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm
der Deutschen Presse-Agentur: "Priorität muss sein, die Gasspeicher
zu füllen für den kommenden Winter."
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte dem
"Tagesspiegel" zum Plan, übergangsweise verstärkt auf Kohlekraftwerke
zu setzen, dies sei klimapolitisch keine leichte Entscheidung: "Um
den Gasverbrauch bei der Stromerzeugung zu reduzieren, ist das aber
notwendig."
Übergangsweise soll auf Kohlekraft gesetzt werden, keine leichte Entscheidung
Habeck will zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Gas einzusparen
und die Vorsorge zu erhöhen. Er bezeichnete die Situation als ernst.
Um gegenzusteuern, soll der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung
und Industrie gesenkt werden, und es sollen mehr Kohlekraftwerke zum
Einsatz kommen. Sie sollen die Stromerzeugung in mit Erdgas
befeuerten Kraftwerken soweit wie möglich ersetzen. Die Befüllung der
Gasspeicher soll vorangetrieben werden.
Im ZDF-"heute journal" zeigte sich Habeck zuversichtlich, dass
die Versorgung für kommenden Winter sichergestellt werden könne.
"Entscheidend ist, dass die Gasspeicher zum Winter hin gefüllt sind – und zwar bei 90 Prozent liegen." Derzeit seien es 57 Prozent. Es sei
"eine Art Armdrücken", bei dem Kremlchef Wladimir Putin zunächst den
längeren Arm habe. "Aber das heißt nicht, dass wir nicht durch
Kraftanstrengung den stärkeren Arm bekommen könnten", sagte Habeck.
Russwurm sagte, Deutschland müsse möglichst viele andere Quellen
auftun. Unternehmen müssten umstellen zum Beispiel auf Öl, wo das
gehe. "Aber eine Reihe industrieller Prozesse funktioniert nur mit
Gas. Ein Gasmangel droht zum Stillstand von Produktion zu führen."
Die Gasverstromung müsse gestoppt und es müssten sofort
Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden, bekräftigte Russwurm.
Erneuerbare Energien müssten deutlich beschleunigt werden. Politik
und Verwaltung müssten schleunigst den Turbo einschalten für die
Ausweisung neuer Flächen für Windkraft- und Solarkraftanlagen.
Jens Spahn: "Aber wir sind in einer echten Notlage"
Unionsfraktionsvize Jens Spahn kritisierte Habecks Pläne als zu
spät und unzureichend. "Hätten wir im März schon begonnen, mehr
Kohlekraftwerke, weniger Gaskraftwerke laufen zu lassen, dann wären
die Speicher jetzt vielleicht schon zehn Prozent voller", sagte der
CDU-Politiker am Montag im ARD-Morgenmagazin. Habeck gehe zudem nur
den halben Weg, da er Kernkraftwerke nicht länger laufen lasse. Mit
Blick auf Widerstand auch von Betreibern der Kernkraftwerke sagte der
Fraktionsvize im Bundestag, Energieversorger hätten daran keine
Freude, weil es zusätzlichen Aufwand bedeute. "Aber wir sind in einer
echten Notlage", sagte Spahn. Bevor Bürger zum Frieren aufgefordert
würden, sollte Politik alle anderen Alternativen prüfen.
Unionsfraktionsvize Jens Spahn kritisierte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck.Bild: www.imago-images.de / IMAGO/Fotostand
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie,
Wolfgang Große Entrup, sagte, "Deutschland muss jetzt zügig und
pragmatisch alle Möglichkeiten nutzen, Gas da einzusparen, wo es
ersetzbar ist". Vor allem beim Umstieg der Stromgewinnung von Gas auf
Kohle müssten umgehend alle Kapazitäten unterschiedslos genutzt
werden können. Das von Habeck angekündigte Gasauktionsmodell zur
Einsparung von Industriegas begrüßte Große Entrup als
marktwirtschaftliches Instrument.
Kleinere Unternehmen hätten es mit neuen Plänen schwer
Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Stadtwerkeverbands VKU,
nannte es richtig, zügig zu reagieren und wenn nötig auch
Notfallmaßnahmen zu ergreifen. "Vor allem eine Rückkehr von
Kohlekraftwerken an den Strommarkt ist zielführend." Der VKU warne
aber vor einer "pauschalen Untersagung" von Gasverstromung oder
Strafzahlungen. Für den Maschinenbauverband VDMA sagte Präsident Karl
Haeusgen, die Branche unterstütze vor allem das Vorhaben, einen
reduzierten Gasverbrauch in der Industrie durch Ausschreibungen zu
erreichen. "Dies steuert die Reduzierung dorthin, wo der geringste
Schaden entsteht." Wirkungsvoll, aber sehr sensibel sei dagegen der
mögliche Eingriff in die Stromerzeugung. "Kurzfristig kann mehr
Kohlestrom aus Reservekraftwerken zwar helfen, dabei dürfen aber die
Klima-Transformationsziele nicht aus den Augen verloren werden."
"Angesichts der reduzierten russischen Gaslieferungen macht sich im Mittelstand zunehmend Sorge breit."
Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW)
Kritisch sieht der Mittelstand die Pläne. "Angesichts der
reduzierten russischen Gaslieferungen macht sich im Mittelstand
zunehmend die Sorge breit, bei der Energieversorgung zwischen den
warmen Wohnzimmern von Privatverbrauchern und dem Rohstoffbedarf der
Großindustrie den Kürzeren zu ziehen", sagte Markus Jerger,
Geschäftsführer des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft
(BVMW), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). Habecks
Vorhaben, Gas über Auktionen zu verteilen, könne bedeuten, dass
kleine und mittlere Unternehmen beim Bieten nicht mehr
mithalten können.
(sb/dpa-afxp)
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