Deutschland in der Virus-Krise, nächster Teil. Auch bei "Anne Will" am Sonntagabend ist das Coronavirus DAS Thema. Besonders akut: die britische Corona-Mutante "B.1.1.7", die sich langsam in der Bundesrepublik ausbreitet und Studien zufolge ansteckender sein soll als die bei uns bislang gängige Variante.
In der Runde zu Gast:
Wie gefährlich die Mutante denn sei, leitet Moderatorin Will die interessante Debatte mit einer Frage an Helge Braun ein. "Sie wird, wie in anderen Ländern auch, die Führung übernehmen", sagt Braun und lässt durchklingen, dass er die Virus-Mutante für sehr gefährlich hält. Braun hatte in den vergangenen Monaten immer wieder davor gewarnt, nicht zu nachlässig zu werden. Doch nicht nur die britische Variante des Virus macht Politik und Wissenschaft sorgen, auch die aus Südafrika und Brasilien sind nicht gerade ungefährlich – im Gegenteil.
Was Janssens meint ist, dass die brasilianische Corona-Variante der brasilianischen Bevölkerung erheblich zugesetzt hat und sich dem bisherigen Forschungsstand zufolge eventuell auch ehemals Infizierte mit dieser Variante erneut anstecken könnten. In Deutschland wurde sie bislang "nur" in einem Bundesland nachgewiesen. Breitet sie sich allerdings aus, wäre das extrem gefährlich.
Doch wie verhindert man die Ausbreitung? Ein Ansatz dafür ist die "No-Covid"-Strategie, ein Papier, das von vielen führenden Wissenschaftlern und Ärzten unterschrieben wurde. Die Strategie zielt darauf ab, die Inzidenz-Werte mit einschneidenden Maßnahmen auf unter 10 zu drücken. Ab einer Inzidenz von unter 10 würde eine Zone die Farbe grün bekommen, alles darüber wäre eine rote Zone.
In den grünen Zonen würden, so der Plan, die Corona-Maßnahmen fallengelassen werden und die Bürger könnten ihr normales Leben wieder führen. Geht die Inzidenz-Zahl allerdings wieder hoch, würden sofort wieder scharfe Vorgaben gelten.
Die radikale Strategie stößt zwar auf Zustimmung aus verschiedenen Bereichen, aber gleichfalls auch auf Ablehnung. Einer von den Ablehnern ist Ökonom Michael Hüther. Er plädiert dafür, die Inzidenz lieber etwas runterzuschrauben und dann zu stabilisieren, um so bald wie möglich dann an anderen Stellen Erleichterungen zu ermöglichen. In seiner Position verwundert nicht, dass er sich vor allem Sorgen um das Ergehen der deutschen Wirtschaft macht.
Journalistin Vanessa Vu sieht Hüthers Argumentation sehr kritisch, äußert sich empört:
Hüther nimmt die harte Kritik stoisch entgegen und wehrt sich im Anschluss. "Ich halte das für völlig unpraktikabel", sagt er. Es sei ein viel zu großer Aufwand nötig, um die "No-Covid"-Strategie durchzusetzen. Kanzleramtsminister Helge Braun pflichtet Hüther bei, betont, dass die "No-Covid"-Strategie zwar ihre Berechtigung habe, er sie aber nicht für umsetzbar halte.
Journalistin Vu verteidigt die Strategie aber weiterhin mit Leidenschaft. Auch Malu Dreyer kriegt die Kritik der Journalistin ab, als sie Dreyer fragt, warum sie die "wissenschaftlich fundierte Theorie" zurückweisen würde.
Die "No-Covid"-Strategie sei nur eine von mehreren Ansätzen, sie würde eben einer anderen wissenschaftlichen Meinung vertrauen.
So richtig zufriedenstellend ist die Antwort nicht, auch Journalistin Vu scheint das etwas anders zu sehen, sagt aber nichts mehr dazu.
Die politische Elite muss sich an diesem Abend die Kritik der anderen Talk-Gäste gefallen lassen. Uwe Janssens macht sein Problem mit dem politischen Handeln an einem, zugebenermaßen etwas schwergängigen, Beispiel deutlich.
"Deutschland ist ein Patient", beginnt der Mediziner. Der Patient leide an einer Blutvergiftung.
Und das sei genau das, was gerade in Deutschland passiere. Der Patient bekomme nur die halbe Dosis Antibiotikum, was in Janssens Ausführung wohl für den halb-harten Lockdown stehen soll. Er erhole sich etwas, nur um dann wieder in das alte Krankheitsstadium zurückzufallen.
Janssens sieht diesen Weg nicht als zielführend an, plädiert für eine zukunftsfähigere, konsistentere Strategie. Die will auch Vanessa Vu. Für sie ist die Homeoffice-Pflicht ein wichtiges Instrument. Die gibt es aber in Deutschland nicht, die Arbeitgeber werden lediglich dazu aufgefordert, Homeoffice wenn möglich anzubieten. Dass das nicht großflächig umgesetzt und vor allem nicht großflächig kontrolliert werden kann, weiß auch der verlegen dreinschauende Helge Braun.