Meine Ex-Freundin heißt Peggy. Damit ist für viele Menschen vielleicht nicht alles, aber schon eine Menge gesagt: "Ah, eine Ost-Deutsche", antworteten meine Wessi-Freunde meist, wenn ich von ihr erzählte. Ich habe mir deswegen relativ bald angewöhnt, sie nicht mehr nur mit ihrem Vornamen, sondern als: "Sie heißt Peggy – ja, sie stammt aus dem Osten!" vorzustellen. Aber auch das zog Reaktionen nach sich, eine Freundin antwortete dann trocken: "Dann ist sie ja immerhin nicht so verklemmt."
Peggy ist aufgewachsen in einem Dorf in Thüringen, ich stamme aus einer schwäbischen Kleinstadt in Baden-Württemberg. Getroffen haben wir uns schließlich in Berlin, wohin Peggy zum Studieren gezogen ist, nachdem wir uns in einem Internetforum kennengelernt und Ewigkeiten hin und hergeschrieben sowie telefoniert hatten. Nach unserem intensiven E-Mail-Austausch fühlte es sich anfangs merkwürdig an, sich real zu treffen, essen zu gehen oder nebeneinander im Theater zu sitzen – gefunkt hat es nach einer Aufwärmphase dann trotzdem. Wir wurden ein Paar.
Bis ich Peggy kennenlernte, hatte ich eigentlich keine wirklichen Berührungspunkte mit Ostdeutschland. Als Westdeutscher, vielleicht auch vor allem als Schwabe, hat man wohl recht Klischee-besetzte Vorstellungen vom Osten: verlassene Dörfer, schlechte Infrastruktur, viele Nazis auf den Straßen und wenig Kleidung am Strand. Und vor allem eine eher pragmatische Lebenshaltung. Die hatten ja nüscht.
Naja, und ich muss zugeben: Ich fand es wohl auch ein bisschen aufregend, eine Ost-Frau zu daten. Das hätte ich damals wahrscheinlich nie zugegeben, erst heute, Jahre später, ist mir das bewusst.
Dass Peggy im Osten groß geworden ist und ich im Westen, hat eigentlich nur am Rande eine Rolle gespielt. Aber trotzdem ist mir unsere geteilte Vergangenheit im Alltag hin und wieder bewusst geworden. Oder zumindest habe ich mir eingebildet, dass unsere Differenzen auf den Ost-West-Unterschied zurückzuführen waren.
Zum Beispiel, wenn Peggy eine Flasche Rotwein in den Kühlschrank stellte, dachte ich: Naja, die kennt Rotwein halt wahrscheinlich nicht so wirklich – denn meine Schwaben-Freunde, die mitten im Weingebiet aufgewachsen sind, hätten so etwas nie getan. Auch, dass Peggy weniger Geld für Essen allgemein ausgegeben hat als ich, führte ich nicht etwa darauf zurück, dass sie einfach noch Studentin war und ich bereits gearbeitet habe – sondern dass man als Ossi bestimmt lernen musste, Ressourcen-schonend zu wirtschaften.
Selbst als wir gemeinsam in die Türkei in den Urlaub gefahren sind – für Peggy die erste Auslandsreise ihres Lebens – meinte ich zu spüren, dass wir nicht aus demselben Deutschland stammen. Schließlich war es für mich schon seit dem 12. Lebensjahr normal, die Ferien in unserem Haus in Kuşadası zu verbringen, während Peggy sich an den Trubel dort erst einmal gewöhnen musste. Dass das möglicherweise auch für Menschen gilt, die aus dem Westen stammen, ist mir damals nicht in den Sinn gekommen.
Etwas komplizierter war es dann bei politischen oder geschichtlichen Themen: Ich war zum Beispiel entsetzt, als Peggy und ich über den Zweiten Weltkrieg sprachen und es für sie nicht ganz selbstverständlich war, dass Deutschland den Krieg begonnen hatte. Für mich stand das gar nicht zur Debatte – und wer da eine andere Haltung hatte als die, die ich als Wessi kennengelernt hatte, wurde schnell in die rechte Ecke gedrängt. Aber Peggy ist nun einmal auch in einem abgeschiedenen Dorf aufgewachsen, umringt von Neo-Nazis oder einer mindestens sehr weißen Jugend. Die gab's bei uns zwar auch – aber wenn jemand rechts war, dann zumindest gutbürgerlich, und die türkischen Gastarbeiter waren zumindest auch da. So fühlt man sich als Westdeutscher gleich viel weltoffener, selbst wenn der Schein trügt.
Insgesamt waren wir zwei Jahre zusammen. Getrennt haben wir uns, weil wir uns auseinander gelebt haben: Nachdem Peggy nach Berlin gezogen war, mauserte sie sich vom Dorfkind zur Großstadtintellektuellen und fand mich irgendwann wohl nicht mehr so spannend. Sie verließ mich für einen künstlerischen Theater-Typen, der fehlerfrei Gedichte rezitieren konnte. Das war dann allerdings auch in Ordnung.
Protokoll: Agatha Kremplewski