"Jede Generation hat ihre Kardashians" – eine Celebrity-Forscherin klärt auf
Am Anfang war das Feuer. Es wütete drei Tage lang im September 1666 und zerstörte vier Fünftel von London. Gleichzeitig beendete es die letzte große Pestwelle. Was wieder aufgebaut wurde, war sicherer, sauberer, komfortabler. Junge Menschen aus ganz England strömten in die Metropole, es gab Arbeit, Bildung, eine Mittelklasse war am Entstehen und diese hatte zum ersten Mal mehr Geld, als sie ausgeben konnte, und Freizeit, die sie mit Unterhaltung füllen wollte.
Bis dahin hatte kein Mädchen davon geträumt, einen Prinzen zu heiraten. Wer es geschafft hatte, als Künstler prominent zu werden, stand vornehmlich im Dienst elitärer Patrons, war nicht auf die Liebe der Massen angewiesen und für diese unerreichbar. Die Royals lebten in Palästen, die Heiligen im Himmel, die andern kannte man nicht. Bis 1665 gab es eine einzige britische Zeitung und die gehörte der Regierung, entsprechend wurde darin einzig über Staatsgeschäfte informiert.
Doch dann sorgte eine Gesetzeslücke dafür, dass die Beschränkung auf ein einziges Medium fiel und eine Masse an Massenmedien plötzlich die Metropole flutete. Sie setzten auf Skandale, Kriminalfälle, Gerüchte und Fake News, und wer zahlen konnte, kaufte sich große redaktionelle Geschichten über sich selbst. Heute würde man von Native Advertisement sprechen.
Da waren Schauspielerinnen, die von Königen geliebt wurden. Schriftsteller, die von ihren Sekretärinnen so viele Haarlocken an Fans verschicken ließen, dass sie mehrfach kahl hätten sein müssen, hätten die Haare wirklich ihnen gehört. Populäre Bücher wurden mit Events lanciert, die denen der "Harry Potter"-Vernissagen in nichts nachstanden.
Fanfiction und Merchandising-Produkte blühten, und Prominente konnten schon mal ein Geschäft betreten mit den Worten: "Wenn Sie mir Geld geben, trage ich dafür ihre Kleider." Wer ins Theater ging und genug bezahlte, konnte sich während der Vorstellung auf die Bühne setzen, Schauspielerinnen begrapschen oder durch andere Verhaltensauffälligkeiten in die Medien kommen.
Vieles war wie heute, erzählt Ruth Scobie, eine junge britische Dozentin, die an der Universität Oxford Literatur und Celebrity Studies unterrichtet.
Es gibt das Klischee, dass Geschichten über Celebrities ausschließlich von Frauen konsumiert werden. Dass sie trivial und frivol sind. "Aber ist es weniger trivial und frivol jedes kleinste Detail über das Leben eines Fußballstars zu wissen?", fragt Scobie.
Laufen in Oxford, wo sich alles um die berühmten Toten dreht, eigentlich auch lebende Promis herum?
Wow, XXX also. OMG!
Wie sieht es Celebrity-technisch eigentlich mit der britischen Kultfamilie schlechthin, der Royal Family aus? "Es gibt unter ihnen Unterschiede", sagt Scobie, "die einen sind reine Celebrities, die anderen sind ein bisschen mehr. Die Queen gibt es auf Geldstücken und auf offiziellen Briefmarken – damit ist ihr Image teilweise staatlich kontrolliert und inszeniert. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ohne Celebrity-Strategie so beliebt wäre, wie sie es gerade ist."
Die Celebrity-Strategie funktioniert so: Menschen, die sich an einem viel privilegierteren und exponierteren Punkt befinden als wir vermitteln uns über ihre mediale Selbstdarstellung eine Illusion von Intimität. So sehr, bis wir finden: Ein Bier trinken mit Jeff Bridges oder Daniel Radcliffe wär doch eigentlich das Normalste der Welt.
Leider schenkt uns die Queen auf Instagram keinen Blick durch die Schlüssellöcher ihrer Schlösser, aber auch sie beherrscht den Kult der Nahbarkeit und redet in ihrer Neujahrsansprache schon mal über "Game of Thrones".
Als junge Frau hatte sie eine aristokratische, vornehme, britische Stimme, jetzt hat sie sich quasi nach unten angepasst, eine sehr bewusste Entscheidung: "Sie klingt jetzt eher wie eine ganz normale, nicht distanzierte Großmutter."
Und die Jungen?
Scobie versucht, ihren Studierenden immer einzuhämmern, dass sie nicht wirklich verstehen, wie etwas funktioniert, wenn sie nicht wissen, wie es dazu gekommen ist. Egal, ob es sich um Kolonialismus, Kapitalismus oder die Mechanik hinter einer Celebrity handelt.
Immer gab es auch Geschichten über junge Frauen, die angeblich nichts wollten als berühmt zu werden. "Jede Generation hatte ihre Kardashians und glaubte, sowas habe es noch nie gegeben."
Eine Frage muss noch gestattet sein: Frau Scobie, wer ist Ihr liebstes Celebrity-Couple?
"Oh Gott, heute? Ich bin so schlecht mit heute!" Okay, Vergangenheit geht auch.
Partytier und Charmeur Charles James Fox:
Und seine 'Lady of the Night', Elizabeth Armistead:
Weil nur die Liebe zählte. Armistead, noch immer eine begehrenswerte Frau, trauert 36 lange Jahre um ihren Fox.
Okay, das ist süß, und abgesehen davon?
Gut, und eines Tages gehen wir mit George und Amal Bier trinken. Ganz sicher.