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Interview

Max Herre über Böhmermann: "Ich würde nicht mehr in so eine Sendung gehen"

Er ist mit "Freundeskreis" bekannt und eine ganze Generation mit A-N-N-A erwachsen geworden.
Er ist mit "Freundeskreis" bekannt und eine ganze Generation mit A-N-N-A erwachsen geworden.Bild: Maria Pelteki
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"Ich finde den Begriff Heimat schwierig": Max Herre im Interview

13.11.2019, 07:00
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Er ist mit "Freundeskreis" bekannt und eine ganze Generation mit A-N-N-A erwachsen geworden. Geschlagene sieben Jahre nach "Hallo Welt" veröffentlicht Max Herre nun sein neues Album "Athen". Darin nimmt er den Hörer mit auf einen Roadtrip in die Vergangenheit, mit auf eine unerhörte Reise ins eigene Selbst. Mit Zeilen ohne doppelten Boden und mit ungewohnt politischen Botschaften. Athen als Sehnsuchtsort begleitet den Hörer dabei stets als Metapher, als Möglichkeit, die es ganz sicher mal gegeben hat, die aber ganz sicher auch nie wieder kommt.

Ein Interview über Anfang und Ende einer Liebe, Ironie, Heimat und: Jan Böhmermann.

watson: Auf deinem neuen Album Athen geht es ums Scheitern. Haben wir ein falsches Verhältnis zum Versagen?
Max Herre:
Scheitern ist sicher ein Thema auf dem Album, aber es wäre verknappt zu sagen, dass es ausschließlich darum geht. Jede gute Geschichte hat im Grunde damit zu tun, dass Menschen zurückgeworfen werden. Ich halte das Scheitern nicht für etwas Schlechtes. Es ist ein Teil des Lebens und Teil der Suche. Insofern ist es immer Thema, sobald man anfängt, sich mit Biografien oder Erinnerungen zu befassen. Oder mit Beziehungen.

Das Wort Scheitern kommt von Scheit, in Stücke gehen. Wann bist du das letzte Mal in Stücke gegangen?
Ich bleibe schon am Stück. Aber es gibt Kräfte, die an mir zerren, aus verschiedenen Richtungen. Das passiert eigentlich permanent.

Wie im Song Athen. Er erzählt vom Ende einer Liebe. Es geht um einen gescheiterten Road-Trip nach Athen. "Wie bringe ich dich dazu, wieder einzusteigen?", fragst du im Song. Sie steigt natürlich nicht wieder ein. Wie bringt man im echten Leben jemanden dazu, wieder einzusteigen?
Das ist sehr individuell. Ich glaube, dass keine zwei Liebesbeziehungen gleich sind – sie entwickeln sich in der Konstellation. Insofern gibt es keine Formel dafür. Aber es braucht sicher ein Maß an Bereitschaft und an Substanz in einer Beziehung. Die darf nicht kaputtgehen, wenn man die Möglichkeit beibehalten will, dass man sich wiederfindet, nachdem man sich mal verloren hat.

Athen zum Hören:

Ist Athen so eine Art Sehnsuchtsort für dich?
Definitiv. Ein Ort der Erinnerung. Mein Vater hat in den 80er Jahren in Athen gelebt und wir waren als Familie oft dort. Die Stadt wurde für mich auch wegen einer früheren Beziehung zu einem Sehnsuchtsort. Sie war lange Zeit ein Ort, der für einen anderen, besseren Entwurf vom Leben stand. Insofern ist Athen die Formel für die Vorstellung davon, wie mein Leben vielleicht auch hätte aussehen können. Was wäre dieses andere Leben? Athen ist mein Platzhalter für diese Fragen.

Dieses "Was wäre wenn…?" kennt im Grunde jeder irgendwie. Wird man das irgendwann wieder los?
Das glaube ich nicht. Es ist jetzt auch nicht so, dass ich mich die ganze Zeit frage, was wäre passiert, wenn ich damals im Leben anders abgebogen wäre. Aber es gibt natürlich immer wieder Momente im Leben, an denen man zurückgeht. Für mich als Geschichtenerzähler sind diese Weggabelungen einfach tolle Orte, weil sie eben Raum lassen für Imagination und die Frage: Was wäre, wenn ich diese Entscheidung anders getroffen hätte?

Wir haben Max Herre im Michelberger Hotel in Berlin getroffen.
Bild: Maria Pelteki

Den Song "Das Wenigste" singst du zusammen mit deiner Frau Joy Denalane. Er erzählt von einer Liebe, die erst durch Niederlagen, Streit und Enttäuschung zu einer echten werden kann. Braucht es immer dieses Tal?
Die Frage ist eher, ob die Liebe das aushält. Darum geht es in dem Song. In der Belastbarkeit offenbart sich die Liebe in ihrer Substanz. Das ist gemeint mit "das Wenigste": jemanden zu sehen an seinem blinden Punkt. Wenn das, was dann übrig ist, ausreicht, um eine Liebe trotzdem am Leben zu halten, dann ist genügend Fundament da.

"Du hast mich gesehen", heißt es in dem Song. Ist das am Ende Liebe? Gesehen zu werden? Das war’s?
Darum geht es doch: den anderen zu erkennen. Das hat natürlich ganz oft mit Projektion zu tun. Zu oft geht es eher um das, was man sehen will im anderen, statt zu erkennen, was tatsächlich da ist. Daraus resultiert dann Enttäuschung, weil diese Projektion nicht erfüllt wird. Insofern kann es in der Liebe eigentlich nur darum gehen, jemanden so zu sehen, wie er ist, in seiner Ganzheit, mit seinen Fehlern und Schwächen.

Was, wenn der andere nicht zurück sieht?
(Lacht) Also, das ist immer schlecht. Da gehören schon zwei dazu.

Täuscht der Eindruck, oder sind deine Texte in der Regel frei von Ironie.
Das ist nicht meine Stärke. Ich mag Ironie auch nicht so gerne.

Das ist schon ungewöhnlich, weil wir doch in einer Zeit voller Ironie leben, der permanenten rhetorischen Absicherung. Was ist dein doppelter Boden?
Ich habe keinen. Ich fall‘ dann einfach. Direkt. Ich kann es irgendwie nur so. Es gibt auch witzige und ironische Musik, die ich mag. Aber die Musik, die mir am besten gefällt, die lässt keine Hintertürchen offen. Im Soul, im Blues, in Musik, die das Leben verhandelt, da braucht es irgendwie keine Absicherung.

Über seinen Besuch bei Jan Böhmermann

Du warst mal zu Gast beim Ironie-König schlechthin, Jan Böhmermann. Die Sendung damals hieß "Roche & Böhmermann". "Deine Lieder sind noch schlechter, als zu Beginn deiner Karriere", sagte Moderatorin Charlotte Roche in der Sendung zu dir. Sie brachte noch einen Schlagervergleich – und kurz darauf hast du einfach den Raum verlassen. Warum? Und würdest du es heute wieder machen?
Ich würde nicht mehr in so eine Sendung gehen.

Warum?
Weil ich das irgendwie albern fand. Es ist total okay, in so eine Sendung zu gehen, wenn man vorher weiß, dass im Grunde dein Gegenüber nicht vorbereitet ist und einfach nur Quark erzählt. Wenn Du dann aber plötzlich gezwungen bist, über etwas zu reden, das irgendwie substantiell und wichtig ist, dann ist dieses Vorgehen unseriös. Und es gibt einen gewissen Grad an Höflichkeit, den man einhalten sollte.

Max Herre 2012 bei "Roche & Böhmermann".
Max Herre 2012 bei "Roche & Böhmermann".screenshot ZDF

Nach einigen Minuten bist du wieder zurückgekommen ins Studio.
Die Aufzeichnung der Sendung wurde unterbrochen, dann habe ich gesagt, gut, ich gehe auf Toilette, ihr überlegt, wie wir weitermachen. Ich bin wieder zurückgekehrt und dann ging die Aufzeichnung weiter. Ich habe diese Situation gar nicht als so gravierend empfunden.

Trotzdem ist danach einiges auf dich eingeprasselt …
Es gab Schlagzeilen, die ich erstmal gar nicht verstanden habe. Ich habe auch nicht damit gerechnet. Ich würde das alles aber auch nicht so hoch hängen. Ich empfand es einfach als komplett daneben, öffentlich so miteinander zu reden. Das ist alles. Es ist einfach nicht meine Art. Ich möchte auch nicht mit anderen so sein. Ich fand es eher witzig und ein bisschen peinlich, dass man daraus so einen Publicity Stunt macht, nur, weil man Werbung für seine Sendung möchte.

Gab es danach nochmal Kontakt zu Roche oder Böhmermann?
Nein.

Wir haben Max Herre im Michelberger Hotel in Berlin getroffen.
Bild: Maria Pelteki

Zurück zum Album: Migration, Heimatlosigkeit oder Orte, an denen man sich zuhause fühlt, sind darauf auch Thema. Was bedeutet Heimat für dich?
Ich finde den Begriff schwierig, weil er gerade von Leuten besetzt wird, die ein sehr exkludierendes Verständnis davon haben. Das ist es für mich gar nicht. Ich fand es auch schon als Kind oder Jugendlicher befremdlich, wenn Lehrer Mitschüler, deren Eltern aus anderen Ländern kamen, gefragt haben, ob sie in den Sommerferien in ihre Heimat gehen. Das sind ja alles Stuttgarter Kids gewesen.

Kann Heimat also auch einen Plural haben?
Ja, ich fühle mich an mehreren Orten zuhause. Athen zum Beispiel. Das ist nicht meine Heimat und trotzdem fühle ich mich dort heimisch auf eine Art. Dort gibt es ganz viel, was ich seit meiner Kindheit kenne, als mein Vater dort lebte, was ich spüre, was ich sehr intuitiv abrufe, wenn ich da bin. Es fühlt sich eben sehr vertraut an.

Du bist dieses Jahr bei "Jamel rockt den Förster" aufgetreten. Ein Konzert gegen die Vereinnahmung des Dorfes durch Neonazis. Auch Feine Sahne Fischfilet, die gerade von rechts sehr angefeindet werden, spielten dort. Ist das Thema unter euch Musikern?
Ich habe mich tatsächlich einmal mit Monchi (Sänger von Feine Sahne Fischfilet) darüber unterhalten. Feine Sahne Fischfilet machen wirklich ganz wichtige Arbeit, weil sie ganz nah an diesen Zentren der Neuen Rechten sind. Monchi hat mir auch von einer Freundin erzählt, die mit handfesten Morddrohungen und Anfeindungen umgehen muss. Da war ich sehr schockiert. Man muss sich sehr gewahr sein, dass diese Bewegung gefährlich ist.

Wie ist das bei dir? Im Song "sans papier" geht es um Migration und auch in "Dunkles Kapitel" wirst du ungewohnt politisch.
Ich gehe schon davon aus, dass das auch Leute auf den Plan ruft, die durchaus böse Gesinnung haben. Aber es ist jetzt keine Agitprop, sondern es sind Geschichten mit einer bestimmten Haltung. Das ist mir wichtiger, als Dinge zu postulieren. Es geht mir darum, den Blick auf bestimmte Themen zu richten und ihnen damit eine Aufmerksamkeit zu geben.

Du bist wohl eher nicht der Typ, der mit einem Plakat in der ersten Reihe steht. Ist dir der Ruf nach Haltung und Positionierung auch manchmal zu fordernd?
Nein, jeder macht es so, wie er es kann. Ich bin jetzt aber auch niemand, der immer Antworten parat hat, sich vor einen Menschenzug oder vor eine Bewegung stellt und sagt: "Leute, ich weiß, wie es geht und alle mir nach." Das ist so eine Falle, in die man als junger Musiker vielleicht eher tappt. Gerade wenn man wie wir Musik macht, die sehr von Punchlines, von absoluten Aussagen lebt. Je älter man wird, desto mehr merkt man, dass man Sätze auch mit Fragezeichen versehen kann. Und dass sie dadurch auch nicht weniger Haltung haben, sondern nur weniger absolut sind – und dann vielleicht mehr Raum lassen für Diskurs und Ideen anderer.

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