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Frauentag: Reduziert und sexualisiert – Frauen berichten von Übergriffen

Demonstrantinnen auf der Frauentagsdemo am 8. März 2021 vor dem Brandenburger Tor strecken die Faeuste in die Luft. Foto: bildgehege Demontration zum Frauentag *** Demonstrators at the Womens Day demo ...
Am 8. März gehen Frauen für ihre Rechte auf die Straße, wie hier am Weltfrauentag 2021 in Berlin.Bild: www.imago-images.de / bildgehege
Frauentag

Reduziert und sexualisiert – wir sind viele

Frauen erleben immer wieder übergriffiges Verhalten. Dass sie weiblich sind, wird ihnen fast täglich in vielen Lebenslagen bewusst gemacht, sie werden auf ihr Geschlecht reduziert, kleingemacht, angefeindet, sexualisiert – egal ob sie in der Öffentlichkeit stehen oder nicht: Wir lassen sie ihre Geschichten erzählen.
08.03.2022, 10:0809.03.2022, 09:51
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Frauen erleben immer wieder übergriffiges Verhalten. Sei es verbal, im Internet, psychisch oder sogar physisch.

Für Frauen ist es Alltag, sie kennen es meist nicht anders, als dass sie regelmäßig auf ihr Geschlecht reduziert, sexualisiert und herabgewürdigt werden. 89 Prozent der Frauen haben sich schon mindestens einmal sexuell belästigt gefühlt. Das ergab eine Studie des Instituts für Angewandte Sexualwissenschaft und der Hochschule Merseburg aus dem Jahr 2020.

Nicht nur die aktuelle Daten- und Faktenlage zeigt, dass eine umfassende Gleichberechtigung in weiter Ferne liegt. Auch die von Sexismus geprägten Erfahrungen im Alltag von Frauen und weiblich gelesenen Personen machen deutlich, warum der Weltfrauentag so wichtig ist.

Wir lassen sie hier ihre Geschichten erzählen.

Triggerwarnung:

Im folgenden Text werden auch Gewalthandlungen und deren Folgen für Betroffene geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.

Delara Burkhardt, SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament

Delara Burkhardt
Delara Burkhardt, SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament.Bild: Marc Fricke

"Beim Nachdenken über diese Frage habe ich mich doch erschrocken, wie viele solcher Momente ich in 29 Jahren erlebt habe.

Dass ich in einer eher männlich dominierten Sphäre wie der Politik unterwegs bin, spielt sicherlich rein! Das Erlebnis, das mir als erstes eingefallen ist, ist erst wenige Woche her:

Ich saß im Plenarsaal des Europäischen Parlaments und verfolgte die Debatte, zu der ich auch noch sprechen sollte. Auf einmal spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. Ein Kollege, der am Reißverschluss meines Jumpsuits rumfummelte und damit auch an dem Verschluss meines BHs. Er meinte, der Verschluss sei auf.

Ich war erst mal sprachlos.

Ein Kollege, mit dem ich nie mehr als ein 'Hallo' und 'Tschüss' gesprochen habe, denkt, es sei angemessen, mir dermaßen nahezukommen. Ich sagte: 'Nein, der ist nicht offen!' Schließlich will ich, dass er einfach aufhört, mich an meinem Rücken anzufassen.

"Ich hätte gern mit fester Stimme gesagt 'Don't touch me. Mind your own business!'"

Aber, wie das dann so ist, will man es dann doch selbst checken, sodass ich selbst nachprüfte. Der Reißverschluss war komplett zu. Mein Überprüfen deutete er dann allerdings wieder ungefragt als Zeichen, mir 'behilflich' sein zu müssen.

Mit etwas überschlagener Stimme forderte ich ihn auf, er solle sich um seine eigenen Reißverschlüsse kümmern und mich in Ruhe der Debatte folgen lassen. Er war verwirrt, dass ich so auf seine vermeintliche Hilfsbereitschaft reagiere.

Wahrscheinlich würde ich heute genauso mit der Situation umgehen. Im Nachhinein habe ich mich geärgert, dass ich mich so unsicher und ohnmächtig bei so einer klaren Grenzüberschreitung gefühlt habe.

Ich hätte gern mit fester Stimme gesagt 'Don't touch me. Mind your own business!'

Aber es ist auch okay, sich in solchen Situation unsicher zu fühlen. Weil es einfach krass ist, wenn man die Grenzen von Frauen nicht nur nicht respektiert, sondern gar nicht fragt, ob es Grenzen sind.

Niemand ist eine schlechte Feminist*in, oder schwächer, wenn man in solchen Situationen nicht super krass schlagfertig reagiert."

Sidefacts: DAX-Vorstände
Nur jeder fünfte DAX-Vorstand ist weiblich. Damit ist der Frauenanteil in den DAX-Vorständen gewachsen - und er wächst weiter: Im vergangenen Jahr waren 42 Prozent der neu berufenen Vorstände weiblich, womit der Frauenanteil von 15 auf 19 Prozent stieg. Durch bereits bekannte Neubesetzungen werde der Frauenanteil im April auf mehr als 20 Prozent steigen, berichtete die Tagesschau.

Julia Henchen, Influencerin bei Lustfaktor und Sexualtherapeutin

"Ich bin Sexualtherapeutin und bin auf Instagram unterwegs. Sowieso ist es mit diesem Beruf schon super schwierig auf Instagram, weil man wegen allem möglichen zensiert und eingeschränkt wird. Das ist an sich schon eine Doppelmoral: Einerseits sehen wir total viel sexualisierte Inhalte und Übergriffigkeiten auf Instagram, aber Aufklärungsarbeit auf der anderen Seite wird zensiert.

Von ganz großen Profilen, die sehr sexistische Inhalte teilen, weiß man zumindest intern, dass sie einfach Geld an Instagram zahlen: dafür, dass die nicht eingeschränkt werden.

Als Sexualtherapeutin bekomme ich nochmal ganz andere Nachrichten als andere Frauen. Ich will gar nicht sagen, dass ich schlimmere Nachrichten bekomme – von vielen Influencer*innen, die zum Beispiel im Beautybereich tätig sind, weiß ich, dass sie richtig viele schlimme Nachrichten bekommen.

Ich bin mit manchen in Kontakt, die ziemlich groß sind – und da weiß ich zum Beispiel, dass sie gar keine Nachrichten von Männern mehr öffnen. Weil sie das einfach nicht mehr können.

"Da schreiben mir Typen, was sie für Sex-Probleme haben, und das total detailliert. Beispielweise, wie es um ihr Sperma steht."

Auch heute Morgen habe ich Instagram aufgemacht und hatte direkt wieder eine übergriffige Nachricht im Postfach. Da schreiben mir irgendwelche Typen, was sie für Sex-Probleme haben, und das total detailliert. Beispielweise, wie es um ihr Sperma steht und so weiter.

Das möchte ich nicht lesen!

Ich möchte das von keinen fremden Männern lesen, ich möchte das natürlich auch nicht von fremden Frauen lesen. Ich möchte das nicht als Sexualtherapeuten lesen und auch nicht als Frau.

Da könnte man ja wenigstens mal fragen: 'Hey, ist es in Ordnung, wenn ich eine Frage stelle?'. Da kommt ja ganz viel zusammen. Auch, dass ich gefälligst jetzt kostenlos eine Beratung geben soll oder so – das mache ich natürlich nicht. Das wäre auch total unprofessionell. Ich kenne ja die Person gar nicht.

Ich bekomme auch so sehr viele übergriffige Nachrichten, in denen explizit sexistische oder sexuelle Inhalte vorkommen. Und gleichzeitig bekomme ich – ich sage das jetzt mal ganz blöd – von irgendeinem Joachim eine Nachricht, in der er schreibt: 'Oh, du bist so hübsch.' Und auch das ist übergriffig, aber das verstehen die Menschen irgendwie nicht.

"Wenn ich das öffentlich mache, erlebe ich Victim Blaming."

Dass das eben kein Kompliment ist – auch nicht, wenn sie ein Smiley mit Heiligenschein dranhängen.

Tatsächlich passiert mir das hauptsächlich bei Männern, dass sie mich bewerten, dass die meinen Körper bewerten. 'Oh, du siehst ja so hübsch aus', 'Oh, du bist so sexy' – ich möchte das einfach nicht.

Und wenn ich das öffentlich mache, erlebe ich Victim Blaming.

Dann heißt es: 'Das ist doch alles nicht so schlimm', 'Es ist doch als Kompliment gemeint', 'Jetzt übertreib' doch mal nicht', 'Du als Therapeutin müsstest doch da besser reagieren'.

Das denunziert einen so sehr.

Und wie reagiert Instagram? Man kann eine Nachricht oder Profile melden. Aber letztendlich passiert wenig bis nichts. Der Service von Instagram ist lächerlich. Viele größere Insta-Accounts haben mittlerweile Kontakte zu Instagram, weil: Man kennt dann irgendwie vielleicht doch mal jemanden, der bei Facebook arbeitet. Ich kenne niemanden. Aber ich weiß durch Kontakte zu Influencer*innen, dass Mitarbeiterinnen von Facebook, beziehungsweise Instagram auch nicht unbedingt toll finden, was da passiert."

Anna (26) aus dem hessischen Odenwald:

"Ich habe damals noch studiert, war so um die 20 oder 21 Jahre alt und war tagsüber in Darmstadt unterwegs. ich wollte zur Bahn, da kam mir ein Mann auf seinem Rad entgegen. Er hat mich komisch angeschaut, ist aber weitergefahren. Dann hat er umgedreht und kam zu mir zurück. Ich dachte erst, er sucht etwas. Dann hat er allerdings direkt gefragt, ob ich einen Freund habe. 'Ja', lautete die Antwort. Er daraufhin: 'Joa, aber ist ja auch egal', ich könne gerne mit ihm kommen. Ich habe geantwortet, dass ich das nicht möchte.

Dann erwiderte er: 'Das macht mich jetzt voll geil, dass du nicht willst, guck', und rieb sich mit seiner Hand den Schritt, wo deutlich eine Erektion zu sehen war.

Sexuelle Belästigung

Vor allem Personen mit den Geschlechtsidentitäten weiblich und divers sind von sexueller Belästigung betroffen
Vor allem Personen mit den Geschlechtsidentitäten weiblich und divers sind von sexueller Belästigung betroffenstatista

Ich weiß nicht mehr, was genau ich zu ihm gesagt habe, auf jeden Fall ist er dann gegangen. Ich war zu perplex, um die Polizei oder laut um Hilfe zu rufen. Was ich aber noch genau weiß: Ich hatte ein schwarzes Kleid mit Strumpfhose an und hab mir am Anfang tatsächlich Gedanken gemacht, ich könnte das quasi 'provoziert' haben, was natürlich Quatsch ist.

Zunächst war ich deswegen echt fertig. Sowas Heftiges ist mir zum Glück davor und danach nicht mehr passiert. Ich war heilfroh, dass das Ganze am Tag passiert ist, nicht nachts in einem dunklen Park oder so.

Wer weiß, was dann gewesen wäre, denk ich manchmal immer noch."

Leni Breymaier, SPD-Bundestagsabgeordnete

Leni Breymaier (SPD) spricht zu den Abgeordneten im Bundestag.
Leni Breymaier ist seit 2017 Abgeordnete im Bundestag für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim.Bild: dpa-Zentralbild / Kira Hofmann

"Nun bin ich nicht mehr jung, das heißt über die Jahrzehnte habe ich viel erlebt. Ich will Ihnen von einem übergriffigen Erlebnis berichten, das sich zutrug, als ich noch Auszubildende war. Eigentlich ist der Vorfall gar nicht so spektakulär, er blieb mir gleichwohl in Erinnerung. Vermutlich deshalb, weil ich, sonst - mit drei älteren Brüdern aufgewachsen - eher wehrhaft und schlagfertig bin, gar nicht darauf zu reagieren wusste.

Was war? Ich befand mich mit einem eigentlich netten Vorgesetzten im Büro, wir saßen Schreibtisch an Schreibtisch gegenüber und er fragte mich plötzlich, ob mir kalt wäre. Ich fragte zurück 'warum?' und er sagte, 'weil Ihre Brustwarzen so hart sind'."

Sidefacts: Gewalt an Frauen
Jede Stunde werden in Deutschland durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Die Zahl der angezeigten Gewalttaten unter Paaren und Ex-Partnern ist im Jahre 2020 noch stärker gestiegen als in den Jahren zuvor. Laut einer aktuellen Kriminalstatistik (November 2021) zur Partnerschaftsgewalt registrierten die deutschen Behörden 2020 bundesweit 146.655 Fälle, in denen ein aktueller oder ehemaliger Partner Gewalt ausübte oder dies versuchte. Das entspricht einem Anstieg um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Lena Jensen (28), Miss-Germany-Finalistin 2022 aus Hamburg

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Lena Jensen, Miss-Germany-Finalistin.Bild: www.imago-images.de / STAR-MEDIA

"Als ich 2019 nach Hamburg zog, habe ich einige Zeit auf der Reeperbahn gewohnt. An einem Tag war besonders viel los. Ich war mit ein paar Freunden zum Essen verabredet und machte mich los zur U-Bahn. Auf dem Weg dorthin schlängelte ich mich durch die Menschen. Auf einmal spürte ich eine Hand auf meinem Po, ich drehte mich um und ein Mann mittleren Alters lacht mich eklig an. Ich meinte zu ihm: 'Geht‘s noch?' und er lachte einfach weiter. Ich fühlte mich hilflos und war wütend, dass jemand auf offener Straße einfach so übergriffig sein konnte und ich keine Chance hatte, das zu verhindern.

Ich schaute direkt an mir herunter, auf meine langen Jeans, einen Pulli, eine Jacke und erwischte mich selbst bei dem Gedanken: 'Ich hatte nicht mal etwas Aufreizendes an.' Da musste ich mich stoppen: Moment! Es sollte doch völlig egal sein, was ich trage!

Niemand hat das Recht, mich anzufassen! Ich arbeite in der Finanzwelt und höre jeden Tag: 'Wenn du ernst genommen werden willst, solltest du einen Anzug und kurze Haare tragen.'

Also am besten so unweiblich sein wie möglich? Weil man Männern mehr zuspricht und vertraut? Nein!

Wir müssen wegkommen von dem Gedanken, Männer wären nicht in der Lage, an sich halten zu können, wenn eine Frau knapp bekleidet ist. Wir müssen uns fragen, wer diese Regeln aufstellt und hinterfragen, wen sie eigentlich schützen. Ich habe aus dieser Situation jedenfalls mitgenommen, dass ich mir selbst immer treu bleiben sollte."

Lena kam ins Finale der diesjährigen Miss Germany-Wahl und erzählte im Rahmen der Veranstaltung vom Missbrauch in ihrer Kindheit.instagram/lenajensn
Sidefacts: Catcalling
Verbale sexuelle Belästigung oder das Senden von unerwünschten sexuellen Bildern und Videos: Die meisten Frauen sind bereits Opfer von Catcalling geworden. Zu diesem Ergebnis kam eine Onlinebefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.
Von den 3908 Befragten – die meisten von ihnen Frauen – gaben gut 90 Prozent an, in den drei Monaten vor der Umfrage wegen ihres Aussehens bewertet worden zu sein. Mehr als die Hälfte von ihnen erlebte Beleidigungen aufgrund des Geschlechts, sexuelle Annäherungsversuche, sexistische Sprüche und anzügliche Bemerkungen.

Susi (27) aus Leipzig

"Ich hatte vor etwa 1,5 Jahren ein Tinder-Date. Nachdem wir ein wenig geschrieben hatten und uns gut verstanden, haben wir uns zum Spazierengehen mit seinem Hund und dann bei ihm zum Kochen verabredet. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass es körperlich von der Chemie zwischen uns nicht passt, aber da er erzählt hatte, dass er auch seine beste Freundin ursprünglich über Tinder kennengelernt hatte und wir uns ansonsten gut verstanden haben, bin ich trotzdem mit zu ihm gegangen, um etwas zu essen.

Anfangs war das auch noch alles okay, bis wir quatschend auf dem Sofa saßen und einen Film geschaut haben.

Obwohl ich immer wieder offensichtliche Andeutungen gemacht habe, dass ich bald nach Hause gehen würde und an etwas Körperlichem zu dem Zeitpunkt nicht interessiert war, hat er mich mehrfach zum Sex überreden wollen und hat mich irgendwann einfach geküsst und angefasst.

Ich habe mich dann von der Situation mit der Ausrede losgelöst, ich müsste meiner Mitbewohnerin meinen Schlüssel bringen, da sie ihren vergessen hatte.

Selbst da wollte er mich noch begleiten, um dann bei mir zu Hause mit mir zu schlafen, davon konnte ich ihn zum Glück abbringen.

Ich war echt heilfroh, als ich aus der Wohnung draußen war."

Derya Türk-Nachbaur, SPD-Bundestagsabgeordnete

Derya Türk-Nachbaur in der 10. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 12.01.2022
Derya Türk-Nachbaur ist seit 2021 Bundestagsabgeordnete der SPD für den Schwarzwald-Baar-Kreis und das Obere Kinzigtal. Bild: Geisler-Fotopress / Sebastian Gabsch/Geisler-Fotopre

"Zur Zeit bin ich im Wahlkreis, wo ich den Luxus habe, mich täglich in drei unterschiedlichen Tageszeitungen über die Geschehnisse im Schwarzwald-Baar-Kreis informieren zu können. Ich blättere. Viele Fotos. Der Bürgermeister einer Gemeinde lässt sich mit seinen beiden Stellvertretern ablichten, wie er mit dem Geschäftsführer einer großen Firma irgendeinem Vorsitzenden eines Vereins irgendwas übergibt. Ich blättere weiter. Der nächste Bürgermeister, der sich mit seinem Amtsleiter hat fotografieren lassen. Nächste Seite. Der Firmeninhaber in XY posiert vor großen Autos. Wenigstens in einer der Zeitungen hat man sich erbarmt, einer Frau etwas Platz zu geben. Sie backt Torten. Auch ich backe gerne Torten, finde es aber problematisch, wenn Stereotype und strukturelle Benachteiligungen in Bildern dermaßen einzementiert werden.

"Verlieh ich meinem Unbehagen Ausdruck, hieß es: 'Nun stell Dich mal nicht so an!'. Also begann ich in meiner Verzweiflung mitzulachen."
Derya Türk-Nachbaur gegenüber watson
Sidefacts: Carearbeit
Frauen leisten noch immer deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer.
Aus dem Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung geht hervor, dass Frauen für Care-Arbeit deutlich mehr Zeit aufwenden als Männer. Der sogenannte Gender Care Gap beträgt 52,4 Prozent. Das bedeutet, Frauen verwenden durchschnittlich täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Umgerechnet sind das 87 Minuten Unterschied. So leisten Männer pro Tag im Schnitt zwei Stunden und 46 Minuten unbezahlte Sorgearbeit, bei Frauen sind es vier Stunden und 13 Minuten.

Bilder und Sprache schaffen Realitäten. Nicht einmal ein Drittel der Mandatsträger*innen in Kommunalparlamenten sind Frauen. An den Spitzen der Verwaltungen (Bürgermeister*innen etc.) sind wir bei beschämenden 9-10%. Nicht weil es Frauen an Kompetenz fehlt, sondern weil der Weg dorthin ein permanenter, kräftezehrender Kampf ist, in denen sich Frauen gegen Männernetzwerke durchsetzen müssen, immer viel mehr leisten und sich immerzu beweisen müssen. Als sei das schon nicht lästig genug, muss Frau sich auch immer wieder überlegen, bei welchem sexistischen Witz unter Männern sie mitlacht oder Gefahr läuft, als humorlose Zicke dazustehen, die dringend verhindert werden muss. Denn mit einer 'humorlosen Zicke', die Witze über ihre große Oberweite nicht unbedingt lustig findet, kann Mann ja schließlich nicht arbeiten!

Früher, als ich noch deutlich jünger war, (sehr viel jünger), habe ich mich oft nicht getraut in solch unangenehmen Situationen Position zu beziehen. Verlieh ich meinem Unbehagen Ausdruck, hieß es: 'Ach, die meinen es doch nicht so!'; 'Das war doch nur ein Witz!'; 'Nun stell Dich mal nicht so an!'. Also begann ich in meiner Verzweiflung mitzulachen. Kein ehrliches Lachen, sondern eins, das mein Unbehagen überspielen sollte. Das hat sich geändert. Zum Glück.

Inzwischen kontere ich sehr selbstbewusst. Wer mich kennt, weiß, dass ich eine riesengroße Portion Humor habe und es auch Situationen gibt, in denen ich mich selbst nicht ernst nehme, aber wenn es schmierig und diskriminierend wird, werde ich zum Tier. Im Wahlkampf hat mich ein Lokaljournalist mal eine 'Meisterin der verbalen Spitzen' oder so ähnlich genannt. Einem Mann hätte er höchstwahrscheinlich 'Eloquenz' untergejubelt.

Letztens war ich auf einer Veranstaltung, wo ein Pressefoto gemacht werden sollte. Einer der Veranstalter, ein Mann um die 60, drängte sich vor die Kamera und schob mich mit folgenden Worten auf die Seite: 'Gehen Sie doch da rüber, Frau Türk-Nachbaur'. Jedes Foto braucht ein hübsches Passepartout". Mit den Worten 'Manchmal lässt sich auch mit dem schönsten Passepartout nichts retten' ließ ich ihn stehen und stand für ein Foto nicht mehr zur Verfügung.

"Das war noch eine Bemerkung der harmloseren Art. Von den Dickpics, ekelerregenden Mails und Direktnachrichten möchte ich gar nicht erst anfangen."
Derya Türk-Nachbaur gegenüber watson

Das war noch eine Bemerkung der harmloseren Art. Von den Dickpics, ekelerregenden Mails und Direktnachrichten möchte ich gar nicht erst anfangen. Es ist einfach nur widerlich. Frauen in exponierten Positionen müssen sich mit diesem Müll herumschlagen. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel.

Nicht nur deswegen bin ich in der Politik. Frauen müssen sich besser vernetzen und sich gegenseitig stärken, wenn sie mitbekommen, dass so etwas passiert. Diesen Kultur- und Strukturwandel bekommen Frauen aber nicht alleine hin. Wir brauchen Feministen an unserer Seite. Zum Glück gibt es vor allem in den progressiven Parteien eine Menge Männer, die mit uns dafür streiten. Denen danke ich ausdrücklich."

Sidefacts: Gender Pay Gap
Die zweite Märzwoche hält noch einen anderen Tag bereit, der mehr Aufmerksamkeit auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern lenken soll. Am 7. März ist dieses Jahr der sogenannte "Equal Pay Day". Dieser Tag findet jedes Jahr an dem Tag statt, bis zu dem Frauen von Jahresbeginn an unentgeltlich arbeiten. Das statistische Bundesamt veröffentlichte am Montag dazu die aktuellen Zahlen.

Die Erhebung zeigt, dass im Jahr 2021 Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen 18 Prozent des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der Männer betrug. "Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen war um 18 Prozent niedriger als der von Männern. Frauen verdienten demnach 4,08 Euro brutto weniger in der Stunde als Männer", schreibt Statista auf seiner Webseite.

Lisa (33) aus dem hessischen Odenwald

"Vor ein paar Jahren, ich war so Ende 20, arbeitete ich als Kellnerin in einem Restaurant in dem kleinen Dorf, in dem ich auch lebe. Das ist ein Dorf, von dem alle sagen: Hier kennt man sich untereinander.

Es war Kerb, so heißt bei uns das jährliche Fest zur Kirchweihe – ein typisches Dorffest also. Dementsprechend viel war bei uns im Restaurant los und dementsprechend viel wurde auch getrunken.

"Als ich ihn zur Rede stellte, war er sichtlich peinlich berührt – aber vor allem sauer."
Lisa gegenüber watson

Als ich mich mit meinem vollen Tablet an einem unserer Stammgäste vorbeidrückte, langte er mir herzhaft an den Arsch. Er hat richtig zugepackt.

Als ich mich umdrehte und ihn zur Rede stellte, war er sichtlich peinlich berührt – aber vor allem sauer.

Etwas später am Abend kam er auf mich zu, um diesmal mich zur Rede zu stellen. Alle, die mit ihm am Tisch saßen, schauten zu, mein Chef und meine Kolleginnen und Kollegen genauso. Besagter Mann behauptete, das sei keine Absicht gewesen und es sei mehr als unverschämt von mir, ihm so etwas zu unterstellen. Ich erklärte ihm, dass ich sehr wohl spüren konnte, dass es kein Versehen war und ich selbst entscheide, wer mich wo anfasst.

Von seinen Bekannten, die mit ihm am Tisch saßen, erntete ich abfällige Blicke und sogar mein Chef hätte sich gewünscht, dass ich nicht so ein 'Drama' daraus gemacht hätte. Bis heute reden der Grabscher und seine Gang kein Wort mehr mit mir – und mir ist das auch eigentlich ganz recht so."

Arielle Rippegather, ehemalige "DSDS"-Kandidatin und Buchautorin

Arielle Rippegather bei der Dr. Sindsen Fashionshow in Karow. Berlin, 24.07.2021
Arielle Rippegather ist aktuell im RTL+-Format "#couplechallenge" zu sehen. Bild: Geisler-Fotopress / Nicole Kubelka/Geisler-Fotopress

"Ich habe eine ganz besondere Lebensgeschichte. Ich bin als biologischer Mann geboren und habe mich komplett angleichen lassen. Ich muss sagen, ich habe die Geschlechtsangleichung hinter mich gebracht vor rund einem Jahr und habe ehrlich gedacht, es wird dann einfacher, von Männern Toleranz und Anerkennung zu erfahren. Wenn ich zum Beispiel gedatet habe, dann war es ganz oft ein Problem. Also ich habe es eben nie beim ersten Date erzählt. Dann habe ich vielleicht beim dritten oder vierten Date erzählt, was meine Vergangenheit ist. Und ich habe dann echt Situationen erlebt, die dich psychisch wirklich mitnehmen.

Der eine ist zum Beispiel aufgesprungen im Restaurant und hat ganz laut geschrien: 'Du Schwuchtel'. Und ja, so was nimmt einen mit. Ein anderer ist einfach weggegangen oder einer hat gesagt: ‘Ja, ich hol noch mal was’ und ist nicht mehr wiedergekommen. Ich habe ganz viele kleine Geschichten, die aber für mich insgesamt eine sehr große Verletzung in Gang gebracht haben.

Ich fühle mich als vollständige Frau. Das bin ich ja auch. Und sowas ist natürlich auch für die Psyche total krass.

Ich sage auch immer, 70 Prozent der Männer haben mit meiner Vergangenheit ein Problem, wenn es um Beziehungen geht. Sex wollen sie alle haben. Ja, ich habe einfach nicht dieselben Chancen wie eine biologische Frau, das ist eigentlich überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Aber es ist einfach die Realität, dass man sich dann auch oft Beleidigungen anhören muss.

"Die Leute haben mir viele Sachen geschrieben auf Instagram wie: 'Bring dich um'."
Arielle Rippegather gegenüber watson

Ich muss ganz offen sagen, dass ich mich nach der Geschlechtsangleichung richtig befreit gefühlt habe. Ich hatte eine lebensgefährliche Komplikation. Ich hatte eine Blutung, lag in meinem eigenen Blut und das war echt gefährlich. Das hat mich nach dieser Geschlechtsangleichung ganz krass mitgenommen, weil ich gedacht hatte, ich kann ja nicht mehr machen als das, was ich gemacht habe und bin immer noch nicht anerkannt.

Ich musste mir wirklich therapeutische Hilfe suchen, einfach den Wert von mir erkennen. Ich versuche wirklich, mich mit positiven Menschen zu umgeben. Vor allen Dingen sehe ich es als Filter an, weil kein intoleranter Mensch zu mir privat passt, denn ich stehe ja für Toleranz.

Ich sage mir einfach, es macht meinen Wert nicht aus, was andere Leute über mich sagen. Ich hatte auch einen Beitrag im Fernsehen über meine Geschlechtsangleichung und dann haben die Leute mir viele Sachen geschrieben auf Instagram wie: 'Bring dich um'. Das war schon oft nicht einfach. Das ist heute oft noch nicht einfach."

Sidefacts: Altersarmut
Besonders Frauen sind von Altersarmut betroffen. In Deutschland lebt einer Studie zufolge fast ein Viertel der Hochbetagten in Armut. Laut der Erhebung des Deutschen Zentrums für Altersfragen verfügen 22,4 Prozent der Bevölkerung im Alter von 80 Jahren und älter über ein maximales Netto-Einkommen von 1.167 Euro im Monat und gelten somit als arm. Innerhalb der Gruppe der Hochbetagten mit den niedrigsten Einkommen sind den Daten zufolge Frauen stärker von Armut betroffen als Männer. Demnach leben 26,1 Prozent Frauen unter der Armutsgrenze, bei den Männern sind es 16,9 Prozent.

Misbah Khan, Vorsitzende der Grünen in Rheinland-Pfalz und Abgeordnete im Bundestag

Misbah Khan MdB, Buendnis 90/Die Gruenen Bundestagsfraktion
Misbah Khan, Grüne.Bild: STEFAN_KAMINSKI

"Am Tag, an dem öffentlich wurde, dass ich für das Amt der Landesvorsitzenden der Grünen in Rheinland-Pfalz kandidiere und es voraussichtlich auch werde, habe ich meine ersten Morddrohungen erhalten – über Facebook. Dabei wurde explizit darauf angespielt, dass ich eine junge Frau mit Migrationshintergrund bin, die jetzt Berufspolitikerin wird.

Das hat mich natürlich emotional sehr stark beschäftigt, aber ich wollte nicht, dass es mir noch mehr meiner Zeit raubt – und habe dann nicht viel dagegen unternommen: Ich habe diesen Menschen blockiert.

"Für die damalige Situation war es auch die richtige Entscheidung für mich. Heute würde ich es aber auf jeden Fall anders machen."

Für die damalige Situation war es auch die richtige Entscheidung für mich. Heute würde ich es aber auf jeden Fall anders machen, auch wenn es mehr Arbeit und mehr Ärger bedeutet. Ich würde solch eine Drohung auf jeden Fall melden, anzeigen und mich an Organisationen wie HateAid wenden.

Es ist zwar einfach nervig und ungerecht, dass Betroffene von digitaler Gewalt zusätzlich noch mehr Arbeit haben, wegen irgendwelchen Idioten im Internet. Aber ich glaube, man soll so etwas nicht unsanktioniert lassen.

Dieser Mensch hat wahrscheinlich noch nie negative Konsequenzen für sein Verhalten im Netz erfahren – bei der Situation mit mir schließlich auch nicht. Doch digitale Gewalt ist real und Täter müssen strafrechtlich verfolgt werden. Zahlreiche Studien zeigen, es sind vor allem Frauen, die online beleidigt, verleumdet oder bedroht werden und die Täter bleiben bisher meist straffrei. Das können wir so nicht hinnehmen.

Es gibt heutzutage zum Glück so viele Programme, die die rechtlichen Angelegenheiten für die Betroffenen in die Hand nehmen und sie dabei unterstützen. Menschen, die Hass und Hetze im Internet verbreiten, müssen übermittelt bekommen: Digitale Gewalt wird nicht geduldet und nicht mehr ohne Konsequenzen für die Täter bleiben."

WHO schlägt wegen Ausbreitung von Vogelgrippe-Virus Alarm

Die Begriffe Vogelgrippe und Geflügelpest sind in Deutschland schon lange nicht mehr neu. Über Wildvögel aus dem südostasiatischen Raum gelangte das Virus laut Friedrich-Loeffler-Institut bereits 2004 auf den europäischen Kontinent, meist im Winter wurden Ausbreitungen regelmäßig etwa aus deutschen Zoos oder Geflügelfarmen gemeldet.

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