Nachhaltigkeit
Analyse

Statt Kaufprämie für Autos: Expertin hat völlig neuen Vorschlag

Cyclist commuter wearing a pollution-mask in Central London, while commuting to work in the morning.
Der Radverkehr hat in der Corona-Pandemie zugenommen - allerdings sind auch viele Großstädter vom öffentlichen Nahverkehr aufs Auto umgestiegen. (Symbolbild)Bild: E+ / LeoPatrizi
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Umwelt-Ökonomin: "Kaufprämie für Autos würde Klimaschutz 10 Jahre nach hinten werfen"

06.05.2020, 10:2104.08.2020, 11:19
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Mit der Fahrgemeinschaft oder dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit statt mit dem eigenen Auto, E-Mobilität statt dreckiger Verbrennungsmotoren, mehr Fahrräder auf den Straßen und weniger Autos – das waren die Ziele für die Verkehrswende. Doch dann kam die Corona-Pandemie, und der Nachhaltigkeitsgedanke rückte in den Hintergrund. Die Autoindustrie zumindest fordert nun eine Abwrackprämie 2.0, um den Verkauf von Autos anzukurbeln. Ein erster Auto-Gipfel endete zwar ohne Ergebnis. Vom Tisch ist das Thema damit aber nicht.

Rückt die grüne Zukunft mit gut ausgebautem öffentlichen Personennahverkehr, Fahrradstraßen und E-Mobilität also in weite Ferne? Verschwindet jeder, der es sich irgendwie leisten kann, wieder hinter der Windschutzscheibe seines privaten Autos?

Fakt ist: Die Corona-Pandemie verändert die Mobilität in Deutschland schon jetzt. "In den Großstädten gibt es derzeit zwei Effekte", sagt die Leiterin der Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert gegenüber watson.

"Der Fahrradverkehr nimmt zu, aber gleichzeitig nimmt die Nutzung des ÖPNV ab. Zudem nutzen Autofahrer ihr Auto zurzeit vor allem allein und auf mittleren Strecken."
Claudia Kemfert vom DIW

Eine Prämie für Autos ist trotz Corona-Krise ungerecht, meint die Expertin

Eigentlich, sagt Kemfert, müssten deshalb die öffentlichen Verkehrsbetreiber am Verhandlungstisch sitzen und staatlichen Hilfe bekommen. Aber es sind nunmal die Automobilhersteller. "Dabei ist die Kaufprämie für Autos ökologisch und ökonomisch unsinnig und sozial ungerecht", sagt die Umwelt-Ökonomin. Schon die Abwrackprämie 2009 habe mehr Probleme als Lösungen geschaffen.

"Konjunkturell wurde nur ein kurzes Strohfeuer für die Autobranche ausgelöst, von denen in erster Linie ausländische Autobauer profitiert haben. In den Folgejahren sind die Absätze für die Autokonzerne dann eingebrochen. Aufgrund der Abwrackprämie sind Treibhausgasemissionen, Feinstaub und Stickoxide angestiegen."
Claudia Kemfert

Steht uns das nun erneut bevor? Fridays for Future kritisiert, dass Steuermilliarden in alte Technologien fließen könnten, während Pflegekräfte, Gastronomen oder Einzelhändler – die mit ihrer Arbeit täglich den Alltag während der Pandemie am Laufen halten – leer ausgehen. Klimaaktivistin Luisa Neubauer nannte die angestrebte Prämie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur "maximal unverantwortlich – ökologisch, aber auch ökonomisch." Auch viele Politiker und das Umweltbundesamt kritisieren die diskutierte Prämie. "Wenn die Corona-Mittel jetzt alte Strukturen zementieren, werden die Klima- und Umweltprobleme eskalieren", sagte Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner der "Welt". Und in einem Appell von Fridays for Future heißt es, die Antwort auf Corona müsse immer auch die Klimakrise mitdenken.

Kaufprämie würde Klimaschutz um Jahre zurück werfen

Ähnlich hatte sich unlängst auch Bundeskanzlerin Angela Merkel geäußert: Sie hatte die Anhebung des EU-Klimaschutzziels für das Jahr 2030 begrüßt und betont, dass man auch bei Investitionsprogrammen in der Corona-Pandemie "immer den Klimaschutz fest im Blick" haben müsse.

Eine Kaufprämie für Autos würde allerdings das Gegenteil bedeuten. "Die Kaufprämie für fossile Verbrennungsmotoren würde den Klimaschutz zehn Jahre nach hinten werfen statt zehn Jahre nach vorn bringen", warnt Kemfert. "Sie behindert den Umstieg auf eine zukunftsweisende Autobranche – dabei wäre diese auch für die Beschäftigten in der Branche selbst nötig." Momentan sei diese aber eher auf dem Weg in die Vergangenheit statt in die Zukunft.

Neuer Vorschlag: Mobilitätsprämie statt Autoprämie?

Kemfert fordert eine nachhaltige Verkehrswende:

"Wir brauchen in diesem Zuge einen Umstieg auf erneuerbare Energien und Investitionen, die auch zusammen mit der Automobilindustrie denkbar sind, etwa in Digitalisierung und einen Ausbau der Ladeinfrastrukturen (für E-Autos, Anm. d. Red.). Und wir brauchen eine Klimamaut, höhere Dieselsteuer und strengere CO2-Grenzwerte."

Von den negativen Folgen für den Klimaschutz einmal abgesehen – nicht jeder könnte von einer Kaufprämie für Autos profitieren. "Man muss bedenken, dass sich 30 Prozent der Menschen in Deutschland gar kein Auto leisten können", sagt Kemfert. Mehrere Grünen-Politiker hatten einem "Spiegel"-Bericht zufolge deshalb stattdessen ein "Ein-Euro-Tagesticket" für Bus- und Bahnfahrten gefordert. Und Kemfert schlägt eine Mobilitätsprämie pro Kopf vor, zum Beispiel in Form eines Gutscheins. "Dann könnte jeder selbst entscheiden, ob er sie für einen E-Autokauf, eine Bahncard, eine Jahreskarte des ÖPNV oder Carsharing einsetzen möchte."

Frankreich und Russland planen gemeinsame Sache bei Atomenergie

Während andere aussteigen, steigt Frankreich voll ein ins Atomgeschäft. Derzeit betreibt das europäische Land 56 aktive Reaktoren, weitere sind in Planung. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine musste sich Frankreich daher weniger den Kopf zerbrechen, wie es sich vom russischen Gas losreißt. Anders als etwa Deutschland.

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