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Jung und pleite: Wie die Inflation gerade arme Menschen nochmal härter trifft

Wer kein Geld für Unternehmungen mit Freunden hat, kann sich schnell einsam fühlen (Symbolbild).
Wer kein Geld für Unternehmungen mit Freunden hat, kann sich schnell einsam fühlen (Symbolbild).Bild: iStockphoto / CandyRetriever
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Jung und pleite: Wie es ist, wenn schon Mitte des Monats das Geld knapp wird

28.06.2022, 13:22
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Woran denkst du zuerst beim Wort Armut? Einen Bettler am Straßenrand, Obdachlosenunterkünfte oder Essensausgaben? Meistens haben wir klare Bilder im Kopf, was Armut bedeutet. Doch Armut beginnt schon viel früher und ganz anders, als man es erwartet.

Offiziell gilt als arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Einkommens verdient. Für einen Einpersonenhaushalt waren das nach EU-Standard laut dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut WSI 2020 1.126 Euro. 2021 galten demnach laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband gut 16 Prozent der Bevölkerung als arm, also 13,4 Millionen Menschen in Deutschland.

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Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut WSI

Viele Menschen in Armut versuchen aus Scham, ihre Lage zu vertuschen. So auch Jenny: Sie ist 30 Jahre und lebt in Magdeburg, wo sie gerade ihre Schulausbildung zur Fremdsprachen-Korrespondentin und kaufmännischer Assistentin abgeschlossen hat. Da sie lange Zeit krank war, musste sie ihre Ausbildung immer wieder unterbrechen.

Doch nun will Jenny endlich ihre Fachhochschulreife machen, um danach zu studieren. Das Problem ist: Sie hat kein Geld. Schon während ihrer Ausbildung reichte die finanzielle Unterstützung nur knapp zum Überleben und die derzeit steigenden Preise für Energie und Lebensmittel machen ihr große Sorgen. Wir sprachen mit ihr darüber.

Sie sagt:

"Meistens wurde das Geld so zum 15. des Monats knapp. Da habe ich dann vermieden, mit Freunden wegzugehen."

watson: Wie ist deine finanzielle Situation gerade?

Jenny: Ich lebe vom Schüler-BAföG. Das sind 694 Euro im Monat und 200 Euro Bildungskredit, den ich später komplett zurückzahlen muss. Ein Teil meiner Ausbildung findet in Braunschweig statt und das 9-Euro-Ticket hat mir quasi die letzten drei Monate der Ausbildung den Arsch gerettet. Ein Monatsticket mit der Bahn von Magdeburg nach Braunschweig kostet mich monatlich knapp 280 Euro für Schüler. Und mit dem Auto wär es mit den Spritpreisen natürlich noch viel, viel höher.

Wie schnell hast du finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen?

Ich habe im Oktober die Ausbildung angefangen und das erste Mal BAföG im Januar 2021 bekommen.

"Ich wohne mit meinem Freund zusammen. Die Miete hat er alleine übernommen."

Und wie bist du über die Runden gekommen in diesen vier Monaten?

Ich wohne mit meinem Freund zusammen. Die Miete hat er alleine übernommen. Vom Arbeitsamt habe ich den Grundbetrag bekommen, ohne Mietzuschuss, aber auch als Darlehen. Das musste ich jetzt auch zurückzahlen. Meine Mama hat mir ganz viel Essen gegeben in der Zeit, dadurch hat das dann ganz gut geklappt.

Hast du mit deinen Freunden über deine finanzielle Situation geredet?

Meistens wurde das Geld so zum 15. des Monats knapp. Da habe ich dann vermieden, mit Freunden wegzugehen oder kostspielige Sachen zu machen. Stattdessen habe ich immer Alternativen vorgeschlagen: "Ihr könnt doch zu uns kommen, wir machen Spieleabend oder sowas." Gegen Ende des Monats wurde es eng, das hat man an unserer Ernährung gemerkt. Meistens bin ich Ende des Monats bei meiner Mama angekommen, die hat mir dann 50 Euro gegeben.

Wie hat sich das dann angefühlt, wenn es deine Freunde trotzdem ins Kino gegangen sind?

Ich muss zugeben, dass ich da nicht ganz ehrlich war. Ich habe meistens gesagt, "ich habe Kopfschmerzen" oder "ich bin krank" und solche Sachen, damit die das nicht mitbekommen, weil ich mich schon dafür geschämt habe. Ich hab mich schlecht gefühlt, weil ich nicht mitgehen konnte. Ich dachte immer, ich verpasse was und wenn sie dauernd was ohne mich machen und wenn ich immer absage, dann fragen sie mich irgendwann auch nicht mehr. Aber ich habe Glück mit meinen Freunden. Wenn ich gesagt habe, dass ich krank bin, dann haben die das meistens so hingenommen.

"Am meisten Angst habe ich jetzt, wenn die Strom-Abrechnung kommen wird, und vor allem Gas."

Was waren denn so die größten finanziellen Herausforderungen im Alltag?

Am meisten Angst habe ich jetzt, wenn die Strom-Abrechnung kommen wird, und vor allem Gas. Wir haben eine Gasheizung, das wird glaube ich heftig. Und wir brauchten für die Ausbildung zum Beispiel einen Laptop. Das war aber ganz nett von der Schule: Ich habe mit denen geredet, dass ich mir das definitiv nicht leisten kann und dann habe ich von der Schule ein iPad bekommen. Das darf ich jetzt sogar behalten. Sonst war es knapp beim Bücher kaufen, oder wenn mal ein Geburtstag anstand.

Wo hast du denn am ehesten gespart, wenn das Geld knapp wurde?

Meistens Süßigkeiten und Getränke. Wir haben am Anfang des Monats immer so ein Getränkepulver bestellt, das heißt Bolero. Da kriegt man einfach mit Leitungswasser aus einem kleinen Tütchen locker so drei Liter Getränk raus. Essen bestellen läuft eigentlich gar nicht. Vielleicht einmal im Monat eine Pizza bestellen. Wenn meine Freunde aus der Schule sich einen Kaffee gekauft haben oder kurz beim Bäcker ein Brötchen, da hatte ich meistens von zu Hause Sachen mit.

Viele sparen bei Geldknappheit beim Essen.
Viele sparen bei Geldknappheit beim Essen.Bild: iStockphoto / Elena Yur'evna Gorina

Welche Veränderung wünschst du dir von der Politik?

Generell, dass man dieses ganze Hartz IV- und BAföG-System reformiert. Ich meine, es gibt Menschen, die haben noch weniger als ich im Monat. Ich habe zum Beispiel einen Post gesehen, dass jemandem 35 Euro für einen Kleiderschrank genehmigt worden sind. Ich finde, man sollte das ein bisschen reformieren in die Richtung, dass Menschen mit Würde leben können. Dass sie es sich leisten können, nicht auf ihre Amazon-Wishlist Dosenlinsensuppe stellen zu müssen.

"Wenn ich nach der Ausbildung nicht gleich einen Nebenjob finde, dann wird das sehr schwierig mit Essen, Miete und Nebenkosten."

Ich habe gesehen, dass du auch eine Amazon-Wishlist bei Twitter gepostet hast. Welche Produkte steht bei dir drauf?

Ich habe da quasi alles drauf, was ich mal gesehen habe und cool fand. Ich würde da jetzt nicht Sachen drauf tun, die ich unbedingt sofort brauche. Ich wollte sie eigentlich auch gar nicht posten, aber weil ich für einige Leute Sachen aus ihrer Wishlist bestellt haben, habe ich dann mehrere Nachrichten bekommen mit: "Wir wollen uns revanchieren, poste deine doch auch." Ich mag das Gefühl eigentlich nicht, wenn mir Fremde Sachen spendieren. Deswegen habe ich geschrieben: "Hey, ich hab an diesem Tag Geburtstag, wenn ihr wollt, könnt ihr mir was schenken. Aber sonst gibt es Leute, die es dringender nötig haben und keine Hilfe von ihrer Mama." Ich habe da jetzt nichts drauf, was mich existenziell betrifft.

Und warum nicht? Würde es dir nicht mehr bringen, wirklich dringende Sachen auf die Wishlist zu setzen?

Ich hab da zum Beispiel auch Bettwäsche drauf. Ich finde das echt teuer. Generell, dass man zum Beispiel für Bettwäsche über 20 EUR bezahlt. Das ist total krass geworden in den letzten Jahren. Mir ist gestern beim Einkaufen zum Beispiel aufgefallen, dass ich 20 Euro bezahlt habe für Frühstück und einen Tag Mittagessen. Das hätte früher für drei Tage gereicht.

"Wenn ich irgendwann einen größeren Puffer hätte, würde ich eine Matratze kaufen."

Macht es dir Sorgen, dass gerade alles so teuer wird?

Auf jeden Fall. Wenn ich nach der Ausbildung nicht gleich einen Nebenjob finde, dann wird das sehr schwierig mit Essen, Miete und Nebenkosten. Ich glaube, da werde ich richtig Probleme bekommen.

Wenn du keine Geldsorgen mehr hättest, gäbe es einen so großen Wunsch?

Wenn ich irgendwann einen größeren Puffer hätte, würde ich eine Matratze kaufen. Ich habe morgens immer Nacken- und Rückenschmerzen und werde nachts wach, weil meine Hände einschlafen.

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