Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte stehen an einem Sicherheitskontrollpunkt nach bewaffneten Zusammenstößen am Stadtrand von Kundus (Archivbild vom Februar). Bild: XinHua / Ajmal Kakar
Die militanten Taliban haben in
Afghanistan die Provinzhauptstadt Kundus im Norden des Landes
eingenommen. Die Stadt sei am Sonntag nach heftigen Kämpfen gefallen,
bestätigten drei Provinzräte sowie ein Bewohner der Deutschen
Presse-Agentur. In Deutschland ist Kundus vor allem bekannt, weil die
Bundeswehr jahrelang in der Nähe ein großes Feldlager hatte. Erst
kurz zuvor hatten die Islamisten auch die Stadt Sar-i Pul erobern
können.
Damit brachten die Taliban innerhalb von drei Tagen vier
Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle. Seit Beginn des Abzugs der
internationalen Truppen aus Afghanistan Anfang Mai laufen mehrere
Offensiven der Taliban. Erst konnten sie vor allem im ländlichen Raum
massive Gebietsgewinne verzeichnen. Sie kontrollieren mittlerweile
mehr als die Hälfte der rund 400 Bezirke des Landes und auch mehrere
Grenzübergänge. Zuletzt verlagerten sich die Kämpfe zunehmend in die
Hauptstädte der 34 Provinzen.
Menschen in Kundus ohne Wasser und Essen
Kundus wurde seit langem von Taliban-Kämpfern belagert. In den
vergangenen zwei Tagen hätten die Islamisten ihre Angriffe
intensiviert, sagten die Provinzräte. Abgesehen von einer
Militärbasis rund drei Kilometer vom Stadtzentrum und dem Flughafen
kontrollierten die Taliban nun die ganze Stadt. Dorthin seien
Regierungsvertreter geflüchtet. Die Menschen in der Stadt hätten
weder Wasser noch Essen. Sie hielten sich in ihren Häusern versteckt.
Kundus mit seinen etwa 370.000 Einwohnern hat auch für die
Bundeswehr, die Ende Juni nach fast 20 Jahren aus Afghanistan
abgezogen war, große Bedeutung. Hier lieferten sich deutsche Soldaten
stundenlange Gefechte mit den Taliban. Nirgendwo in Afghanistan
starben mehr Deutsche als in Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan. Im
Vorjahr waren im "Camp Pamir" noch etwa 100 deutsche Soldaten
stationiert.
Auch Sar-i Pul erobert
Die Lage in der Stadt Sar-i Pul mit geschätzt 180.000 Einwohnern
ähnelt der in Kundus. Provinzräten zufolge haben die Islamisten seit
Sonntagmorgen (Ortszeit) die wichtigsten Regierungsgebäude unter
ihrer Kontrolle. Die Sicherheitskräfte hätten sich in der Nacht
schwere Gefechte mit ihnen geliefert. Als allerdings der zweite
Polizeibezirk fiel, hätten sie ihre Posten verlassen und sich in eine
Militärbasis einen Kilometer vom Stadtzentrum zurückgezogen. Auch
Regierungsvertreter befänden sich nun in dieser Militärbasis. Die
Taliban feuerten Mörsergranaten auf sie.
Der Provinzrätin Massuma Schadab zufolge liegen mehrere Leichen in
den Straßen. Es traue sich aber niemand, diese zu bergen. Sar-i Pul
hat geschätzt 180.000 Einwohner. Die Provinz, in der Ölvorkommen
gefördert werden, grenzt unter anderem im Osten an die Provinzen
Balch mit der Hauptstadt Masar-i-Scharif und im Norden an die Provinz
Dschausdschan. Die Regierung halte in der Provinz nur noch den Bezirk
Balchab, sagten die Provinzräte weiter.
US-Militär fliegt kurz vor Ende des Abzugs weiter Luftangriffe
Am Freitag war schon die kleine Provinzhauptstadt Sarandsch in Nimrus
an der iranischen Grenze praktisch kampflos an die Taliban gefallen.
Am Samstag folgte die Stadt Schiberghan in Dschausdschan im Norden,
Machtsitz des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten und
Ex-Vizepräsidenten Abdul Raschid Dostum, eine führende
Anti-Taliban-Figur.
Nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums fliegen die
USA, die ihren Abzug aus Afghanistan praktisch abgeschlossen haben,
weiter Luftangriffe in dem Land. Ein Taliban-Treffen in der Stadt
Schiberghan sei mit B-52-Bombern angegriffen worden, teilte ein
Sprecher auf Twitter mit. Die US-Militärmission in Afghanistan endet
am 31. August. Der Abzug ist amerikanischen Angaben zufolge zu mehr
als 95 Prozent abgeschlossen.
(andi/dpa)