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"Markus Lanz": Virologe gibt düstere Prognose für 2021 – "Führt kein Weg dran vorbei"

Der Epidemiologe Klaus Stöhr kritisiert, dass die Regierung in Deutschland keine langfristige Strategie gegen Corona entwickelt hat.
Der Epidemiologe Klaus Stöhr kritisiert, dass die Regierung in Deutschland keine langfristige Strategie gegen Corona entwickelt hat. ZDF/Screenshot
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"Führt kein Weg daran vorbei": Virologe bei "Lanz" mit düsterer Prognose für 2021

31.10.2020, 08:48
Deana Mrkaja
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In Coronainfektionszahlen in Deutschland haben ein Rekordhoch erreicht. Nun hat sich die Regierung auf neue Maßnahmen geeinigt, die ab Anfang November gelten. Dabei kommt es zu starken Einschränkungen der sozialen Kontakte und der Schließung der kulturellen und gastronomischen Einrichtungen.

Während Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Maßnahmen für richtig hält, kritisiert der Epidemiologe Klaus Stöhr am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" das Fehlen einer langfristigen Strategie gegen das Virus und äußert zudem düstere Prognosen für das kommende Jahr.

Virologe gibt düstere Prognose ab

Er hat es bereits vor Monaten geahnt: Wenn die Chinesen das Virus nicht einschränken können, dann sei es nicht mehr aufzuhalten. Der Virologe Klaus Stöhr, der Leiter des Global-Influenza-Programms war und bei der WHO die SARS-Forschung koordinierte, ahnte bereits kurz nach dem Ausbruch des Virus, dass es sich schnell auf der ganzen Welt verbreiten würde. Nicht wir würden die Pandemie beenden, auch kein Impfstoff, sondern das Virus selbst, zitiert Moderator Markus Lanz den Experten in der Sendung. Stöhr sagt:

"Wir können nicht verhindern, dass sich alle infizieren."
Klaus Stöhr

Diese Tatsache müssten wir akzeptieren, sagt Stöhr. Alle Zutaten für eine starke Ausbreitung es Virus seien seiner Meinung nach gegeben: Eine kalte Jahreszeit, Menschen in Räumen und eine "Vollempfänglichkeit". Damit meint der Virologe, dass 85 bis 90 Prozent der Deutschen noch nicht mit dem Virus infiziert worden seien, sie also empfänglich dafür seien, es zu bekommen.

Er vergleicht die jetzige Pandemie dem starken Influenza-Ausbruch der Jahre 2017 und 2018 und sagt, dass damals 330.000 Menschen positiv auf Grippe getestet wurden, an den Rekordtagen seien 8.000 Fälle pro Tag hinzugekommen. "Daran erinnert sich keiner mehr", sagt Stöhr.

Deshalb hält er auch nicht viel von den nun getroffenen Einschränkungen. "In drei Wochen sieht die Ausgangssituation genau gleich aus", kritisiert der Experte den Beschluss der Regierung. Er wundert sich darüber, dass der Sommer nicht dazu genutzt wurde, echte Alternativen zu erarbeiten. Er bezeichnet sowohl diesen Zustand als "blauäugig" als auch die Schließung von Restaurants, da dies das Problem nicht beseitigen würde.

Moderator Markus Lanz (l.) mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (m.) und Klaus Stöhr (r.).
Moderator Markus Lanz (l.) mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (m.) und Klaus Stöhr (r.). ZDF/Screenshot

Das sieht Hamburgs Erster Bürgermeister anders. Peter Tschentscher ist der Meinung, dass die ansteigenden Infektionszahlen ein Zeichen dafür seien, dass die bisherigen Kontaktbeschränkungen der letzten Monate nicht ausreichend waren. "Wir müssen die Dynamik jetzt abbremsen, damit wir wieder in die Stabilität kommen", sagt der SPD-Politiker dazu. Alles andere müsse dahinter zurückstehen, dass die Wirtschaft nicht komplett "abgewürgt" und die Kitas und Schulen nicht erneut geschlossen würden.

"Schließen Sie aus, dass die Schulen und Kitas wieder schließen müssen in zwei Wochen?", will Markus Lanz wissen. "Wir haben uns darauf verständigt, dass das nicht passiert. Gegebenenfalls gibt es strengere Auflagen", antwortet Tschentscher. Als Lanz erneut nachfragt, äußert der Politiker, dass man nichts ganz ausschließen könne. Festlegen will er sich offenbar nicht.

Der Moderator will zudem von Tschentscher wissen, ob er es nicht unfair finde, dass gerade diejenigen, die Sicherheits- und Hygienekonzepte entwickelt hätten, nun bestraft würden. "Es geht nicht anders", sagt der Erste Bürgermeister Hamburgs dazu, die Erkrankungszahlen würden steigen, damit auch die Zahl der Behandlungsbedürftigen.

Außerdem sei ein "sehr, sehr guter wirtschaftlicher Ausgleich" geschaffen worden, da beispielsweise Gastronomen mit einer Entschädigung von 75 Prozent ihres Vorjahresumsatzes im selben Monat rechnen können.

Was das Ziel des Ganzen sei, will Lanz erneut wissen. "In eine stabile Lage zu kommen", sagt Tschentscher. "Wir sitzen alle in einem Boot. Es ist eine nationale Kraftanstrengung", zitiert er Bundeskanzlerin Angela Merkel. Falls die Infektionszahlen nicht weniger würden, müssten die "Beschränkungen aufrechterhalten werden", fügt er noch hinzu. Nur so könne eine Situation wie in Frankreich oder Spanien verhindert werden.

Für Virologe Stöhr fehlt hier der Realitätsbezug. Auch er sei für alle Maßnahmen, die das Virus eindämmen, jedoch fragt er erneut nach einer langfristigen Strategie.

Für Stöhr ist sicher, dass der Impfstoff noch eine Weile auf sich warten lassen wird. Und selbst wenn er Mitte des nächsten Jahres zur Verfügung stünde, würden ihn nicht alle Menschen in Deutschland bekommen.

"Es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass sich viele infizieren. Wir können die Ausbreitung des Virus nicht verhindern."

"Es gehört dazu, dass wir unvermeidliche Todesfälle und schwere Krankheitsverläufe akzeptieren", fügt der Virologe hinzu. "Wir haben kein Gegenmittel und wir können nicht die ganze Zeit auf die Bremse drücken", gibt er zu verstehen. Für ihn müssten vor allem die medizinische Versorgung gestärkt und die Krankenhäuser besser ausgestattet werden.

Die Gastronomin Kerstin Rapp-Schwan ist an diesem Abend live ins Studio geschaltet. Sie hat fünf Restaurants und 90 Mitarbeiter und wird nun schwer von den neuen Maßnahmen getroffen. Während des ersten Lockdowns habe sie sich wie in einer "Schockstarre" gefühlt. Mittlerweile könnte man "routinierter" mit der Situation umgehen. Dennoch kritisiert Rapp-Schwan die beschlossenen Maßnahmen: "Wir sind emotional und wirtschaftlich ganz schön angeschlagen."

"Die Gastronomie muss eine Perspektive bekommen, wie wir weiterarbeiten sollen. Keiner will abhängig vom Staat sein. Wir wollen agieren, nicht reagieren."
Kerstin Rapp-Schwan
Kerstin Rapp-Schwan (m.) ist Gastronomin und kritisiert die Beschränkungen der Regierung.
Kerstin Rapp-Schwan (m.) ist Gastronomin und kritisiert die Beschränkungen der Regierung. ZDF/Screenshot

Die Gastronomin ärgert, dass ihre Branche alles umgesetzt hätte, was von der Regierung verlangt worden sei: "Wir haben alles Erdenkliche getan". Ihrer Meinung nach sollten "gesetzte Gastronomiebetriebe" nicht mit Bars und Clubs gleichgesetzt werden – ihre Läden seien sogar TÜV-zertifiziert.

"Wir sind nicht der Pandemietreiber."
Kerstin Rapp-Schwan

Rapp-Schwan ist dankbar für die Entschädigung des Regierung und hofft, dass diese auch schnell und unkompliziert bei den Betrieben ankommt. Die Hilfe würde dafür sorgen, dass man "ernst genommen" würde. Trotzdem prangert sie am Ende noch einmal an, dass ihr die Perspektive fehle und fragt: "Wann dürfen wir wieder selbst arbeiten und agieren?"

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