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Frauentag: Drei Generationen im Gespräch über Feminismus

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privat / montage watson
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Ich habe mich mit Mama & Oma über Emanzipation unterhalten – es lief anders, als erwartet

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Unsere Autorin hat den internationalen Frauentag zum Anlass genommen, um mit ihrer Mutter und ihrer Oma über Frauenbilder, Gleichberechtigung und Emanzipation zu sprechen. Ein Drei-Generationen-Telefonat mit unerwartetem Ausgang.
08.03.2019, 09:08

Am 8. März wird watson zur Frau. Und das 24 Stunden lang. Am Internationalen Frauentag werden wir ausnahmslos Frauen abbilden, thematisieren und porträtieren. Trump, Hoeneß oder Kollegah haben dann Pause. Und ja, das wird auch Zeit. Auch auf watson.de sind Frauen in der Regel unterrepräsentiert. Und das liegt nicht nur an der Welt, in der wir leben, sondern auch an uns. Aber wir wollen besser werden. Heute ist ein guter Tag, um dafür ein Zeichen zu setzen.

Meine Großmutter hat sich noch nie beschwert. Dabei hätte sie aus meiner Sicht allen Grund dazu. Mit ihren 76 Jahren hat sie extrem viel geleistet und dafür verhältnismäßig wenig Lob und Anerkennung bekommen. Mal so richtig losschreien und all die aufgestaute Wut über un- oder unterbezahlte Arbeit und Ungleichheit rauslassen, würde ihr gut tun. Das dachte ich zumindest, als ich diesen Artikel plante.

Als ich sie und meine Mutter anrief, wollte ich ihr den Raum für all diese Emotionen geben, zuhören und zuzustimmen. Aber sie hat nicht geschrien, sich aufgeregt aber schon – nicht über die Genderstrukturen in den 50er-Jahren, sondern über das Zusammenleben von heute. Die Ausfahrt zum heutigen Sensibilisierungs-Zaubertunnel hat meine Oma nämlich mal so richtig verpasst.

Aber von vorn:

Aufgewachsen ist meine Großmutter auf dem polnischen Land unweit der ukrainischen Grenze, geheiratet hat sie mit 18 Jahren, dann kam auch schon das erste, zweite und dritte Kind auf die Welt und nebenbei arbeiteten sie und mein Großvater im Labor der städtischen Zuckerfabrik. Zeit, sich Gedanken um das Frauenbild zu machen war keine da. Und überhaupt fehlten Vorbilder, die nicht das klassische Model lebten, die sich emanzipierten und ausbrachen aus dem, was ein seit Generationen anhaltender und nur schwer zu verlassender Kreislauf an Armut, fehlenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und minderer Schulbildung war.

Oma sagt:

"Wir hatten ganz andere Probleme. Das Geld war knapp, der Kommunismus zwang uns in die Knie, wichtig war, dass man einen Job hatte – nicht welchen. Manchmal hatten wir einfach nur Hunger."

Feminismus? Fehlanzeige.

Bis meine Mutter mit mir schwanger wurde, hatte es keine Frau in meiner Familie geschafft, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Dass eine Schwangerschaft eines Tages zum Motor einer Emanzipation in meiner Familie wird, hat es zuvor noch nie gegeben – ganz im Gegenteil. Sie war der Beginn von Abhängigkeit. Aber so kam es doch wie durch ein kleines Wunder, dass meine Mutter 1990 mit 22 Jahren, gerade aus der Universität heraus, ein Kind von jemandem erwartete, der nicht ihr Ehemann war. Eine Todsünde im erzkatholischen Polen. Abtreibung kam weder im Kopf meiner Mutter vor, noch wäre sie möglich gewesen. "Niemand führte sie aus. Niemand sprach darüber. Es existierte nicht als Option", erklärt meine Mutter. Konsequenzen für meinen Erzeuger? Keine. Null. Wie ungerecht! "Kinder fielen ganz klar ins den Verantwortungsbereich von Frauen“, informiert Oma und schweigt ganz bewusst zum Thema Schwangerschaftsabbruch.

Verstoßen wurde meine Mutter dafür nicht, aber sie ging aus freiem Willen nach Deutschland, weil "diejenigen, die Kontakte in wirtschaftlich stärkere Länder hatte, töricht gewesen wären, diese nicht zu mobilisieren", wie sie immer gern sagt.

Romantisch war der Alleingang meiner Mutter nicht. Heroisch schon. Und vor allem feministisch.

Meine Mutter, die Feministin. Lange habe ich nicht erkannt, dass sie eine ist. Keine Klassische, wie sie der Duden definiert oder wie die Mütter mancher meiner Freundinnen, auf die ich in der Vergangenheit immer neidisch war, weil sie schon in jungen Jahren demonstrieren gingen, Widerstand leisteten und coole Berufe hatten, die sonst nur Männer ausübten.

Der Duden definiert Feminismus im Übrigen so:
"Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen (z. B. der traditionellen Rollenverteilung) und der patriarchalischen Kultur anstrebt."
Duden

Ist meine Oma auch eine Feministin?

Ich versuche sie aus der Reserve zu locken und frage: "Hat dich die ungleiche Rollenverteilung nicht gestört? Von uns Frauen wird seit jeher erwartet, dass wir viele Tasks wie den Haushalt noch locker nebenbei erledigen. Man kann auch nicht nebenbei das Neugeborene stillen, während man die Suppe umrührt!"

Wut steigt in mir auf, Oma bleibt gelassen und schüttelt mit dem Kopf. Mein Opa hört mit und lacht. Kein Wunder, der hatte auch echt ein bequemes Leben dank seiner Frau und Töchter, denke ich. Mein böser Blick erreicht ihn wegen der stockenden Internetverbindung leider nicht. Aber Oma ist zur Stelle, doch anstatt ihn zurechtzuweisen, kommt das: "Was gibt es Cooleres, als der Boss zu Hause zu sein?", triezt sie. "Aber das ist doch ungerecht. Hat es dir denn nichts ausgemacht einen viel größeren Aufgabenbereich zu haben, als Opa?", hake ich nach.

Oma sagt:

"Nein, das war damals einfach so. Alle hierzulande sind das gewöhnt. Deine Tante und Cousine leben nach gleichem Modell. Wir sind der Boss im Haus. Ohne uns läuft nichts."

Wo sie Recht hat. Während ich überlege, ob diese Art von Macht eine Genugtuung für all die Extraarbeit ist, meldet sich meine Mutter zu Wort: "Als ich mich dazu entschloss, alleine nach Deutschland auszuwandern, wusste ich, dass ich alle nötigen Fähigkeiten gelernt hatte, um auf eigenen Beinen zu stehen. Ich wusste, dass ich in Deutschland auch ohne den Vater meines Kindes überleben würde. Die höheren Löhne würden meine Existenz sichern, nebenbei zu kochen und den restlichen Haushalt zu führen habe ich ja vorgelebt bekommen und babysitten konnten Bekannte." Das rollende R ist mittlerweile der einzige Indikator für ihren Migrationshintergrund. Heute ist sie Eigentümerin eines Cafés. Heute ist sie Boss und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Und dann sagt sie einen bemerkenswerten Satz: "Man würde denken, es sei paradox, aber meine konservative Erziehung und die klassische Rollenverteilung meines Elternhauses hat mich auf das vorbereitet, was meine Emanzipation und Auswanderung mir abverlangt hat. Ich musste arbeiten, den Haushalt erledigen und dich erziehen. Ohne die organisatorischen Meisterleistungen meiner Mutter hätte ich nicht gewusst, wie."

"Moment mal", sage ich, "heißt das, dass eine anti-feministische Erziehung am Ende eine kleine Feministin aus dir gemacht hat?" Meine Mutter lächelt in Richtung Oma: "Ich wusste zwar mit Mitte 20 nicht, was das ist, aber ja, ich habe mit einem Koffer Klamotten und einem weiteren mit wichtigen Kenntnissen das Land verlassen. Hätte ich nicht gesehen, wie meine Mutter nicht nur den kompletten Haushalt, die Kindererziehung und die Finanzen geregelt, während sie nebenbei gearbeitet hat, wäre ich wahrscheinlich aufgeschmissen gewesen."

Meine Oma versucht seit einiger Zeit zu Wort zu kommen. "Ich war nicht alleine. Das hört sich so an, wenn ihr davon erzählt, aber so war es nicht. Zum einen hat Opa gekocht und geholfen, wo er konnte (er lächelt hämisch aus dem Off ins Video) und zum anderen haben in unserem Block zur damaligen Zeit mindestens zehn weitere, junge und berufstätige Mütter gewohnt. Mit dem Babysitten, kochen, waschen, Haare färben und einkaufen gehen haben wir uns abgewechselt. Abends saßen wir dann unten auf der Bank vor den Wohnungen, um uns austauschen. Natürlich haben wir geflucht. Über unsere Männer, unsere Kinder, das fehlende Geld und zu wenig Respekt. Die Bänke stehen heute noch, nur leider sehe ich keine jungen Frauen mehr auf ihnen sitzen. Ich mache dort manchmal Rast und werde ganz sentimental."

Oma sagt:

"Es war nie einfach, aber es war schön. Ich hatte alles, was ich mir jemals hätte erträumen können."
Die Großmutter

Und da ist er: Der Satz, auf den ich gewartet hatte. Der Feminismus ist laut Definition eine Bewegung, die "von den Bedürfnissen der Frau ausgehend", Veränderung anstrebt. Ihre waren gedeckt.

Ich, als vorläufiges, weibliches Endprodukt unserer Familie lebe mit 28 Jahren ein Leben, wie so viele: Kinderloser, selbstbestimmter Single in der Großstadt mit Vollzeit-Job. Irgendwie bin ich die fleischgewordene feministische Veränderung. Oma aber hat Angst: "Eher mache ich mir Sorgen um dich", sagt sie. "Du selbst und dein Umfeld erwartet von jungen Frauen wie dir nebenbei noch Karriere zu machen. Das hätte ich nicht auch noch geschafft. Dass da ein anderer Aspekt weichen und die Rollenverteilung sich ändern muss, ist logisch." Mama nickt zustimmend und lobt meine Generation für unseren Biss: "Ich bin wahnsinnig stolz auf dich - Sorgen mache ich mir trotzdem."

Stolz bin auch ich. Nicht unbedingt auf mich, aber auf unser Gespräch, den mir mitgegebenen familiären Ehrgeiz und Fleiß und auf unsere Genügsamkeit. Obwohl ich anfänglich erwartet hatte, dass meine weiblichen Vorbilder, meine Mutter und meine Oma, die heutige Generation um die uns von anderen erkämpften Freiheiten und Möglichkeiten beneiden, ist es völlig okay, dass sie es nicht tun. Jeder Mensch ist ein Produkt seiner Erfahrungen und Sozialisierung. Unterschiedlicher als bei uns dreien könnten diese Faktoren kaum sein. So hat der Feminismus in meiner Familie eben etwas länger gebraucht, um zu gedeihen.

Und doch stelle ich mir die Frage: Hat meine Oma vielleicht sogar Recht? Haben wir während des Kampfes für unsere Autonomie und Emanzipation den Zusammenhalt verloren, den Gemeinschaftssinn? Haben wir uns voneinander emanzipiert? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Ich werde mich wieder häufiger auf die Bank vor meinem Haus setzen.

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