
Elisabeth von Österreich-Ungarn, genannt Sisi.Bild: imago images / Leemage
Geschichte
Ihr Testament zeigte eine ungewöhnliche Facette: Kaiserin Elisabeth vermachte die Einnahmen aus ihrem Gedichtband politisch Verfolgten. Auch heute noch profitieren Flüchtlinge von ihrem letzten Willen.
23.12.2019, 07:5923.12.2019, 10:36
Matthias Röder, dpa
Für die kaiserliche Familie hatte sie fast nur Spott
übrig. "Ihr lieben Völker im weiten Reich, so ganz im Geheimen
bewundere ich euch: Da nährt ihr mit eurem Schweisse und Blut,
Gutmütig diese verkommene Brut."
So Abfälliges reimte Kaiserin
Elisabeth (1837-1898) über das Herrschergeschlecht der Habsburger.
Die von Romy Schneider in den "Sissi"-Filmen – auch dieses
Weihnachten im TV-Programm – so lieb verkörperte Kaiserin brachte
ihre Gedanken, ihren Zorn und ihre Träumereien in Reimform zu Papier.
Selbst ihr Testament war ein Seitenhieb auf die Dynastie.
Sie
verfügte, dass die Einnahmen vom Verkauf ihrer tagebuchartigen Gedichtbände "zum
besten politisch Verurteilter und deren hilfsbedürftigen Angehörigen"
verwendet werden sollen. Eine Entscheidung, die bis heute Auswirkungen hat.
UN-Organisation bekommt Hilfe
"Es ist bemerkenswert, dass sie zur damaligen Zeit bereits den
Weitblick hatte und einen Teil des Erlöses des Tagebuch-Verkaufs
gezielt dem Flüchtlingsschutz vermacht hat", sagt der Leiter der
UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Österreich, Christoph Pinter. UNHCR
wurde 1980 von der Schweizer Regierung, in deren Hände Elisabeth ihr
dichterisches Vermächtnis legen ließ, als Nutznießer der Zahlungen
auserkoren.
15.000 Euro bekam die UN-Organisation aus dieser kaiserlichen Quelle
zuletzt – und hilft damit nach eigenen Angaben Flüchtlingen und
Asylsuchenden in der Ukraine. Die Summe helfe, die Schutzsuchenden
bei der Eröffnung eines Ladens oder eines Handwerkbetriebs und bei
Sprachkursen zu unterstützen, so die Organisation.
Das fast
400-seitige Buch Sisis ist bisher in sieben Auflagen erschienen. 21.000
Exemplare seien seit der ersten Auflage 1984 verkauft worden, teilte
der Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)
mit. Insgesamt 30.000 Euro sind laut ÖAW an verschiedene
UNHCR-Projekte gegangen.
Was für ein Buch ist das?
"Das Buch ist ein interessantes
Zeitdokument", sagt Verlags-Geschäftsführer Thomas Jentzsch.
Die Kaiserin habe Gedichte geschrieben "als Ausdruck ihrer
vielfältigen Frustrationen", meint Jentzsch. Sie habe den Wiener Hof
und die aristokratische Gesellschaft, die Monarchie generell als
nicht mehr zeitgemäß kritisiert. Damals herrschten die Habsburger von
Wien aus über einen Vielvölkerstaat mit 50 Millionen Menschen, der
1918 mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg zerbrach.
Die Gedichte, die von der Historikerin Brigitte Hamann aufgespürt und
herausgegeben wurden, gelten nicht als lyrische Spitzenleistung.
Dafür geben sie viel Persönliches preis, so die Klage der Kaiserin um
die verlorene Liebe zu ihrem Mann Franz Joseph I.: "Wo ist der
Schlüssel hingekommen? Ich sucht' ihn ewig nicht hervor, den du zu
meinem Herz genommen, der ging dir längst schon in Verlor'", schrieb
Elisabeth als 48-Jährige.
Eine Tragödie beendet ihre Lust am Schreiben
Die Kaiserin, geprägt von Kummer und Einsamkeit, war eine für das 19.
Jahrhundert ungewöhnliche Frau. Vom Körperkult besessen trainierte
sie in ihrem eigenen Fitnessstudio. Sie galt jahrelang als beste
Reiterin Europas, die auf wilden Ritten ihre Begleiter beeindruckte.
Sie liebte Griechenland und lernte sehr diszipliniert Alt- und
Neugriechisch. Ihr großes Vorbild als Dichter war Heinrich Heine. Den
Anstoß zum Dichten gab laut Hamann ein Treffen mit Königin Elisabeth
von Rumänien, die unter dem Namen Carmen Sylva ihre Werke
veröffentlichte.
Von 1885 bis zum Oktober 1888 datieren die kaiserlichen Reime. Dann
beendet eine Tragödie die Lust am Schreiben – der Selbstmord ihres
Sohnes und Kronprinzen Rudolf im Januar 1889.
"Dieser Tod und seine
grauenhaften Umstände übten auf die Kaiserin einen solchen Schock
aus, dass sie zum Dichten nicht mehr fähig war", so Hamann. Elisabeth
ordnete ihr Werk und verwahrte es an einem sicheren Ort. 60 Jahre
nach 1890 – so ihre Verfügung – sollten die Bände veröffentlicht
werden. Die Kaiserin selbst wurde 1898 am Ufer des Genfer Sees von
einem Anarchisten erstochen.