Das neuentdeckte Coronavirus ist nicht zwangsläufig lebensbedrohlich.Bild: gettyimages
Interview
Mehr und mehr Infizierte und bisher mehr als 100 Todesfälle: Das neuartige Coronavirus aus Wuhan in China breitet sich aus – und schürt Ängste. Am späten Montagabend wurde ein erster Fall in Deutschland bestätigt, am Dienstagabend drei weitere.
Bisher ist bekannt, dass sich der Erreger von Mensch zu Mensch überträgt. Unklar aber ist, wie schnell das passieren kann. Dennoch geht die Furcht um, dass der neue Virus ähnliche Wirkung zeigt wie das SARS-Virus, das 2003 rund 800 Menschen das Leben gekostet hat. Wie gefährlich ist der neue Erreger wirklich? Und besteht die Gefahr einer weltweiten Pandemie?
Über diese Fragen sprachen wir mit dem Virologen Armin Ensser. Er forscht am Universitätsklinikum in Erlangen und beschäftigt sich unter anderem mit Coronaviren und ihren Auswirkungen. Seiner Meinung nach ist der Erreger aus China weniger gefährlich, als viele Menschen befürchten.
watson: Herr Ensser, was genau sind Coronaviren?
Armin Ensser: Coronaviren sind an sich übliche Erreger, die Erkältungssymptome und Atemwegsinfektionen auslösen können. Zusammen mit dem neuen Virus kennen wir sieben Spezies, die für Menschen relevant sind. Vier von ihnen sind für zehn Prozent der erkannten Infektionen, die nicht mit einer Grippe zusammenhängen, verantwortlich. In bestimmten Fällen begünstigen die Viren schlimmere Erkrankungen.
Wie sähen diese Fälle aus?
Sie können, wenn das Herz oder die Atemwege vorbelastet sind, bei schweren Vorerkrankungen zu deren Versagen führen. Hier muss ich aber sagen, dass das bei einer Grippe deutlich häufiger passiert – zumindest in den Risikogruppen wie etwa bei älteren Menschen.
Gilt das denn für alle Coronaviren?
Manche der Coronaviren sind gefährlicher als andere. Nehmen wir etwa das Sars-Virus. Das führte 2003 zu knapp 8000 Infektionen und rund 800 Toten.
Jetzt wurde das SARS-Virus auch mit dem neuen Coronavirus in Verbindung gebracht. Sind die beiden denn ähnlich gefährlich?
Wenn man sich die Erbsubstanz vom neuen Coronavirus genauer anschaut, sieht man, dass dieser mit dem Sars-Virus verwandt ist. Das heißt aber nicht, dass dieser Erreger genauso gefährlich ist. Momentan schaut es nicht danach aus. Wobei nicht klar ist, wie hoch die Dunkelziffer ausfällt. Anderseits werden neue Erkrankungen in der Regel zu Beginn nicht selten überschätzt.
"Geschätzt ist das Virus seit möglicherweise fast zwei Monaten im Umlauf."
Warum das?
Als Vorsichtsmaßnahme. Tritt ein neuer Virus auf, ist es anfänglich unklar, wie gefährlich dieser sein könnte. Wenn wir jetzt sagen, dass bei den rund 1000 bekannten Fällen 56 Menschen starben, klingt das erstmal nach viel. Wir wissen aber nicht, wie viele Menschen derzeit ohne oder mit schwächeren Symptomen infiziert sind. Geschätzt ist das Virus seit möglicherweise fast zwei Monaten im Umlauf. Da kann es sein, dass einige Infizierte nicht erfasst wurden.
Was hat es mit den Todesfällen auf sich?
Dafür müsste ich die klinischen Daten der Verstorbenen kennen. Teilweise bekannt und gut möglich ist, dass es Menschen waren, die schon vorher Begleiterkrankungen hatten. Dazu zählen etwa Herz- oder Lungenerkrankungen. In solchen Fällen kann es dazu kommen, dass etwa diese nicht mehr funktionieren, was letztendlich zum Tod führt. Das ist aber nur eine Vermutung.
Die chinesische Regierung bestätigte kürzlich, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Wie genau kann ich mich anstecken?
Da gäbe es vor allem zwei Möglichkeiten: Zum einen wäre da die Tröpfcheninfektion. Dabei werden die Erreger über feine Schleim- oder Speicheltröpfen beim Sprechen oder Husten übertragen. Dann wäre da noch die Schmierinfektion, wenn sich jemand etwa an die laufende Nase greift und darauf Oberflächen wie Türklinken berührt. Die Viren bleiben auf diesen kleben und landen dann auf der Hand des Nächsten, der sie anfasst und sich danach ins Gesicht greift. Deshalb ist gerade Händewaschen wichtig.
Jetzt sprechen auch einige von einer möglichen Pandemie. Was bedeutet das?
Pandemie bedeutet, dass sich ein neuer Erreger in kurzer Zeit weltweit ausbreitet. Zunächst ist das Immunsystem und auch die Herdenimmunität der Bevölkerung nicht auf ein neues oder stark verändertes Virus eingestellt. Abwehren kann es diesen also erstmal nicht, was eine Verbreitung begünstigt. Theoretisch könnte man bei jedem neuem Schnupfenvirus von einer Pandemie sprechen. Das klingt allerdings wesentlich dramatischer, als es eigentlich ist.
"Generell kann man gegen diese Viren erstmal nicht viel machen, außer Symptome zu bekämpfen."
Dennoch hat sich das Coronavirus auch außerhalb Chinas verbreitet.
Das ist richtig, muss aber nichts bedeuten. Das Virus befindet sich erstmal ein paar Tage in einem menschlichen Körper, bevor die ersten Symptome auftreten. Reise ich etwa nach China und fliege direkt zurück nach Deutschland, werde ich zunächst nicht wissen, ob ich mich angesteckt habe. Bräche das Virus am morgen darauf aus, gäbe es auch hierzulande einen Fall.
Aber sollte man nicht eine weitere Verbreitung, etwa mit einem Einreisestop, verhindern?
Da ist die Frage, welche politische und gesamtgesellschaftliche Bedeutung ein Erreger hat. Sorgt er für eine schwere Infektion, die das öffentliche Leben einschränkt oder gar bedroht, müssen Schutzmaßnahmen wie etwa Quarantäne und Reisebeschränkungen durchgesetzt werden. Wenn ich mir bisher das Coronavirus in China anschaue, glaube ich nicht, dass das notwendig ist.
Ist das Virus denn behandelbar?
Das Immunsystem überwindet den Erreger, die Infektion heilt aus. Vorher gesunde Menschen müssen einen Infekt lediglich aussitzen und sollten durch ihr Verhalten darauf achten, andere nicht anzustecken. Generell kann man gegen diese Viren erstmal nicht viel machen, außer Symptome zu bekämpfen.
Ein Impfstoff wäre doch eine Option?
Es ist leider nicht möglich gegen jedes "neue" Virus einen Impfstoff zu entwickeln. Das ist sehr aufwändig, teuer und auch nicht immer möglich. Natürlich machen Impfstoffe bei schweren Krankheiten wie Masern oder der Virusgrippe Sinn und sie zählen zu den effizientesten Errungenschaften der Medizin. Bei einem Virus, das nur gelegentlich Halsschmerzen verursacht, wäre das weniger sinnig.