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Silvester: Elotrans gegen den Kater – wie gefährlich ist die Elektrolyt-Lösung?

Legendärer Abend, katastrophaler Morgen? Viele Menschen wissen sich da mittlerweile zu helfen.
Legendärer Abend, katastrophaler Morgen? Viele Menschen wissen sich da mittlerweile zu helfen.getty images / Caiaimage/Paul Bradbury
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Silvester 2023: Durchfall-Medikament gegen den Kater – wie gefährlich ist Elotrans?

30.12.2023, 12:58
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Wasser von sauren Gurken? Aspirin und Rollmops? Oder einfach genügend Wasser zwischen den Drinks, um noch am selben Abend dem späteren Kater vorzubeugen? All diese Hausmittel gegen den schlimmen Gemütszustand am nächsten Tag scheinen Schnee von gestern zu sein, seit die Elektrolyt-Lösung deren Platz eingenommen hat.

Das Rezept ist so beliebt, dass Party-freudige Menschen mittlerweile zwischen einer großen Bandbreite von Produkten auswählen können. Sei es das sehr bekannte Medikament Elotrans des Pharmakonzerns Stada, Party Fly von Philpharma oder der After Party Drink von One47.

Interessant: Während solche Lösungen ursprünglich nur in der Apotheke zu bekommen waren, sind letztere beiden nun auch etwa bei dm erhältlich. Die Frage ist nur: Tut man sich damit wirklich einen Gefallen?

Konsum ohne Konsequenzen

Vor allem das genannte Elotrans stößt dabei auf große Beliebtheit. Die Social-Media-Plattform Tik Tok ist voller Videos junger Menschen, die sich teilweise betrunken filmen und ankündigen, Elotrans auszuprobieren – und sich danach hellauf begeistert von der Wirkung zeigen. Eigentlich ist die Elektrolyt-Lösung ein Mittel gegen Durchfall-Erkrankungen. Nun ist es scheinbar auch das lang ersehnte Heilmittel für einen Alkoholkonsum ohne Konsequenzen.

Viele Influencer:innen schwören auf Elotrans als Anti-Kater-Mittel.
Viele Influencer:innen schwören auf Elotrans als Anti-Kater-Mittel.tiktok

Trinken ohne Kater am nächsten Tag – eine Vorstellung, die wahrscheinlich viele Menschen reizvoll finden. Kann es wirklich so einfach sein? Die hohe Nachfrage scheint darauf hinzudeuten.

Auf watson-Anfrage bestätigen auch die Apotheken die große Beliebtheit solcher Produkte. So kam es in der Vergangenheit aufgrund der hohen Nachfrage bereits zu Lieferengpässen. Allerdings sehen die Apotheken den Konsum dabei nicht unkritisch, da er gesundheitliche Risiken birgt.

Die Sprecherin des Apothekerbandes Bayern warnt davor, Elotrans ohne Notwendigkeit zu konsumieren: "Falsch dosiert kann es zu erheblichen Nebenwirkungen kommen, von Krämpfen und Durchfall bis im schlimmsten Fall sogar zu Herz-Rhythmus-Störungen."

Nicht nur die falsche, auch die dauerhafte Einnahme kann laut Lutz Schehrer gefährlich werden. Das Vorstandsmitglied des Hamburger Apothekervereins sagt gegenüber watson: Wenn man das Präparat täglich anwende, könne das "aufgrund des Kaliumgehaltes zu Nierenschäden, und aufgrund des Natriumgehaltes zu Bluthochdruck führen. Die enthaltenen Salze sollen ja nur zugeführt werden, wenn diese zu stark ausgeschieden wurden."

"Falsch dosiert kann es zu erheblichen Nebenwirkungen kommen, von Krämpfen und Durchfall bis im schlimmsten Fall sogar zu Herz-Rhythmus-Störungen."
Sprecherin der Apothekerkammer Bayern gegenüber watson zur Nutzung von Elotrans

Gerade für vorerkrankte Menschen mit Herzschwäche, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) kann die Einnahme der Elektrolyt-Lösung schnell gefährlich werden.

Elotrans: Konzern reagiert mit Witzen

Stada, der Konzern hinter Elotrans, hat scheinbar nicht viel gegen die missbräuchliche Nutzung seines Medikaments. Sein humorvoller Instagram-Auftritt lässt jedenfalls Raum für Interpretationen. Laut Heilmittelwerbegesetz (HWG) allerdings ist irreführende Werbung für Medizinprodukte verboten. Da Elotrans nur "zur Rehydratation und Elektrolytsubstitution bei Durchfallerkrankungen" zugelassen ist, darf es folglich nicht als Kater-Mittel beworben werden.

Stada selbst sagt auf Anfragen des Magazins "Der Spiegel" öffentlich, auf keinen Fall wolle man mit dem Instagram-Kanal "die Risiken des Alkoholgenusses kleinreden oder relativieren oder Menschen dazu motivieren, Alkohol zu trinken." Das Unternehmen führt die erhöhte Nachfrage nach dem Durchfall-Medikament auf die Reisesaison zurück.

Der Einstieg in den Alkoholismus wird einfacher

Wie problematisch der Trend zur Elektrolyt-Lösung als Anti-Kater-Mittel ist, weiß auch Dr. med. Reingard Herbst, Suchtmedizinerin und Chefärztin der Nescure Privatklinik am See.

Dr. Reingard Herbst sieht den Elektrolyte-Trend kritisch.
Dr. Reingard Herbst sieht den Elektrolyte-Trend kritisch.privat

"Ich sehe nicht das Problem in der Nutzung an sich, sondern in dem, was das Ganze den Nutzern vorgaukeln kann", sagt sie in einem Gespräch mit watson. Darüber hinaus findet sie es problematisch, wenn Kleinkinder oder alte Menschen nun keine Medikamente mehr bekommen, weil Partygänger sie gegen ihren Kater verwenden. Denn für sehr junge oder hochbetagte Menschen können Durchfallerkrankungen durchaus eine ernste Gefahr darstellen.

"Die Anspruchshaltung unserer Gesellschaft ist wirklich, die Dinge nicht mehr spüren zu wollen."
Dr. Reingard Herbst

Doch das ist nicht die einzige Sorge, die Herbst umtreibt. "Das sind die Patienten von morgen", sagt sie. Ihre Befürchtung ist, "dass die jungen Menschen mit dem Alkohol noch leichtfertiger umgehen", wenn sie die direkten und auch unangenehmen Nachwirkungen des Konsums nicht mehr spüren.

Den Menschen werde "durch dieses Nichtspüren der Auswirkung vorgegaukelt (...), dass der Alkohol vermeintlich ungefährlicher wäre", kritisiert die Suchtmedizinerin. Und sie sieht, gerade im Hinblick auf einen "fließenden Übergang in eine Abhängigkeit", den leichtfertigeren Alkoholkonsum als "sehr problematisch".

"Diese Wahrnehmung des Körpers, dass er auf Dinge reagiert, ist etwas ganz Elementares. Wir sind ja gerade wunderbar dabei, immer alles wegzudrücken. Unsere Gesellschaft möchte nichts Unangenehmes spüren. Ich hab Kopfweh, ich brauche eine Tablette. Mir geht es nicht gut: Das muss man wegmachen. Ich habe eine Erkrankung: Die muss morgen weg sein. Die Anspruchshaltung unserer Gesellschaft ist wirklich, die Dinge nicht mehr spüren zu wollen."
Dr. Reingard Herbst

Verdrängung mit Alkohol

Und gerade das kann zum Problem werden: Diejenigen Patienten der Suchtmedizinerin, die sich spüren und merken können, wie ihr Körper reagiert, würden ganz anders und vorsichtiger mit Medikamenten umgehen. Dies gilt nicht nur für körperliche, sondern auch seelische Beschwerden. "Wir müssen auch schlechte Gefühle aushalten und schauen: Wie lange dauert es und was muss ich tun, dass ich rauskomme aus dem Ganzen?"

"Genau das sind auch unsere Patienten: diejenigen, die sich nicht mehr spüren."
Dr. Reingard Herbst

Denn Alkohol und Depressionen hängen häufig zusammen: Damit einher gehe der Wunsch, nichts mehr zu spüren. "Genau das sind auch unsere Patienten: diejenigen, die sich nicht mehr spüren." Manche benutzten den Alkohol, um das zu erreichen, um etwas nicht zu spüren. Zum Beispiel, um schlechte Gefühle zu verdrängen.

Feiern, als gäbe es keinen Kater: kein Problem mit Elektrolyt-Lösung.
Feiern, als gäbe es keinen Kater: kein Problem mit Elektrolyt-Lösung. getty images/SolisImages

Und genau das sei das Gefährliche: Denn "dann rutscht man ganz schnell in diese Funktionalität des Suchtmittels", sagt Herbst und führt weiter aus:

"In dem Moment, wo der Alkoholkonsum eine Funktion übernimmt, wird es ganz schnell im Gehirn ein anderes Umgehen geben. Das heißt, alle Gefühle oder Zustände, die ähnlich im Gehirn gedeutet werden, wie eine Veränderung von Gefühlsmustern, eine Bedrohung oder Stressreaktion, die werden dann ganz schnell umgelenkt in die Richtung 'Da brauche ich jetzt Alkohol dazu, dann ist es weg'. Da wird man konditioniert wie ein Hund, der Sitz und Platz machen muss. Dafür gibt es einen Hundekuchen und dann macht man eben Sitz und Platz."

Dabei hat Herbst gar nichts dagegen, wenn man Elektrolyte-Mittel in Ausnahmefällen einmal gegen den Kater verwende: "Es sollte trotzdem ein Mittel sein, was man da belässt, wo es hingehört. Und wenn man es mal benutzt, okay, von mir aus. Aber das ist kein Freibrief für noch mehr Alkohol."

Plötzlich zu dritt: Warum watson die Chefredaktion vergrößert
Swen ist Chefredakteur von watson. Er findet seinen Job so gut, dass er auch noch eine Kolumne über ihn schreibt. Hier berichtet er von schönen, traurigen und kuriosen Erlebnissen.

Die meisten Beobachtungen und Erlebnisse in meiner Kolumne sind anonymisiert. Du liest schließlich watson und schaust nicht Reality-TV.

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