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Gestaffelter Mutterschutz bei Fehlgeburten: Betroffene startet Petition

Wer am Vorabend sein Baby verloren hat, dem scheint es oft unvorstellbar, am nächsten Tag im Büro zu sitzen. Die Rechtslage sieht das allerdings vor.
Wer am Vorabend sein Baby verloren hat, dem scheint es oft unvorstellbar, am nächsten Tag im Büro zu sitzen. Die Rechtslage sieht das allerdings vor. Bild: iStock / Getty Images Plus / fizkes
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"Sie können morgen wieder ins Büro": Kampf um Mutterschutz bei frühen Fehlgeburten

22.08.2022, 07:5326.08.2022, 09:13
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Triggerwarnung: Im folgenden Text wird das Thema Fehlgeburten beschrieben, das belastend und retraumatisierend sein kann.

Eine Fehlgeburt erlitten und zurück ins Büro? Wer sein Baby vor der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) verliert, für den läuft das oft so. Denn: Erst ab der Woche danach haben Frauen in Deutschland Anspruch auf Mutterschutz, dann aber in vollem Umfang.

Unlogisch, findet Natascha Sagorski und startete daher eine Petition, um die Bundesregierung zur Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes zu bewegen, der, so heißt es in der Petition:

"... betroffenen Frauen Zeit gibt, das Erlebte zu verarbeiten und ihnen einen Schutz bietet, der ihnen zusteht. Die Staffelung und Höhe des Mutterschutzes sollte von einer Expertenkommission erarbeitet werden. Der gestaffelte Mutterschutz sollte außerdem ein Schutzangebot des Staates sein und für die Frau nicht verpflichtend."

Das Thema liegt Natascha am Herzen, auch weil sie selbst betroffen ist, wie die heute 37-Jährige im Gespräch mit watson schildert:

"2019 hatte ich eine Fehlgeburt. Ich war in der 10. Schwangerschaftswoche und zum zweiten Ultraschall, beim ersten hatte ich bereits das Herz meines Babys schlagen hören und alles schien wunderbar. Zwischen zwei Job-Terminen hetzte ich also zum Frauenarzt und direkt, als er mit dem Ultraschall begann, änderte sich die Stimmung. 'Das sieht nicht gut aus', sagte der Arzt. 'Ich kann leider keinen Herzschlag mehr finden.' Dieser Satz! Meine Welt hörte auf, sich zu drehen."

Sie schrieb ihrem Mann eine Nachricht: "Das Baby ist tot." "Ich habe schon vor hundert Menschen Vorträge gehalten, aber plötzlich fehlten mir alle Worte", erinnert sich Natascha, die damals als PR-Managerin arbeitet. "Ich öffnete den Mund, aber es kam nichts mehr heraus, wie im Albtraum."

Abends die Ausschabung, morgens zurück zur Arbeit

Noch am selben Abend wird sie in die Klinik geschickt. Mit einer Ausschabung endet ihre Schwangerschaft, schneller als die Münchnerin es realisieren kann. Sie berichtet weiter:

"Dann lag ich da nach der Operation, hatte Schmerzen, habe geblutet und eine Ärztin meinte zu mir: 'Eine Krankschreibung brauchen Sie aber nicht. Sie können ja morgen wieder ins Büro gehen.' Das war ein Satz, der mir das Gefühl gab, so wie ich mich gerade fühle – nämlich dass ich überhaupt nicht mehr funktioniere – sei falsch. Es sei ja nicht wild gewesen. Das Baby ist tot, gut, aber es war ja noch klein. Stell dich nicht so an."

Nichts kann sich Natascha weniger vorstellen, als am nächsten Tag in der Kaffeepause zu plaudern und E-Mails mit freundlichen Grußformeln zu beenden. Ihr Hausarzt schreibt sie für zwei Wochen krank. Wie sie jetzt weiß, typisch. "Der Hausarzt ist oft die Lösung", sagt sie. Vorausgesetzt, er oder sie hat Verständnis. So willkürlich sollte das nicht sein, findet Natascha. Jede Frau, die eine Fehlgeburt erlebt, sei eine Mutter gewesen und sollte daher einen kleinen Mutterschutz erhalten.

"Ich brauchte diese zwei Wochen, um zumindest funktionieren zu können. Gut ging es mir noch lange nicht", sagt Natascha. Sie sucht im Internet den Austausch mit anderen Betroffenen und entdeckt zahlreiche Frauen, die sich ebenso verloren fühlen. "Ich dachte, ich sei eine große Ausnahme, ein absoluter Versager", erinnert sie. "Aber jede dritte Schwangere in Deutschland erlebt eine Fehlgeburt in den ersten zwölf Wochen und immer öfter hörte ich, dass sehr viele von ihnen direkt danach wieder zur Arbeit geschickt wurden, als ob gar nichts gewesen wäre. Das hat mich richtig sauer gemacht."

Per Petition fordern die Betroffenen eine Staffelung des Mutterschutzes

Es war der Startschuss für die Petition, die von vielen Hebammen und Sternenkinder-Vereinen befürwortet wird. Die Idee dahinter: Statt eine harte Grenze zu ziehen, würde der Mutterschutz gestaffelt.

"Natürlich kann eine Frau, die in der 10. Schwangerschaftswoche ihr Baby verliert, nicht denselben Mutterschutz bekommen, wie eine, die ihr Kind zum Stichtag tot auf die Welt bringt. Allein schon, weil die körperliche Belastung eine andere ist", sagt Natascha. "Aber auch schon vorher ändert sich der Hormonhaushalt, man braucht eigentlich ein kleines Wochenbett. Die Schockstarre, die überwunden werden muss, kommt dazu."

"Es darf nicht sein, dass wir Frauen in solchen Situationen allein lassen."
Betroffene Natascha Sagorski

Die derzeitige Rechtslage wäre praxisfern. Wer in der 23. Schwangerschaftswoche zum Frauenarzt geht und es wird kein Herzschlag mehr gefunden, bekommt an Mutterschutz: Null Tage. Hat die Sprechstundenhilfe zufällig am Tag später einen Termin ausgemacht, fällt der Mutterschutz anders aus: bis zu 18 Wochen.

Natascha kennt eine Betroffene, die wusste, dass ihr Kind noch im Mutterleib sterben würde. Sie habe große Angst gehabt, dass es zu früh passierte und sie keinen einzigen Tag zum Trauern hätte. "Es darf nicht sein, dass wir Frauen in solchen Situationen allein lassen", sagt Natascha. Und weiter:

"Der Mutterschutz sollte viel früher ansetzen, sodass eine schwangere Frau von Anfang an geschützt wird. Die Länge des Mutterschutzes sollte sich am Fortschreiten der Schwangerschaft orientieren. Das wäre nur logisch."

Leider sei das Thema Fehlgeburt nicht politisch attraktiv. Und das, obwohl viele Menschen in Deutschland betroffen sind, denn knapp jede dritte Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt, wie der Berufsverband der Frauenärzte e.V. angibt. "Es ist ein Riesenthema, aber eben kein lautes", sagt Natascha. "Wer eine Fehlgeburt erlebt, ist leise, wie erstarrt. Die Frauen wollen ihr Umfeld nicht mit dem Thema 'belästigen'."

"Für die anderen siehst du genauso aus wie vorher. Aber du bist nicht mehr die Gleiche."
Betroffene Natascha Sagorski

Jede dritte Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt

Für viele Betroffene sei dieser Zustand brutal. Sie trauern um ein Wesen, das ganz nah bei ihnen war und doch für die Außenwelt nie existiert hat. "Viele Frauen verschweigen ihre Schwangerschaft traditionell in den ersten drei Monaten und so sind sie mit ihrem Schmerz komplett allein. Aber selbst wenn das Umfeld Bescheid wusste, bleibt es schwer nachzuvollziehen", weiß auch Natascha. "Für die anderen siehst du genauso aus wie vorher. Aber du bist nicht mehr die Gleiche."

Derzeit diskutiert die Regierung zwar, ob der Mutterschutz schon ab der 20. Schwangerschaftswoche gelten sollte, aber das käme nur wenigen Frauen zugute, denn die Mehrheit der Fehlgeburten ereignen sich im ersten Trimester einer Schwangerschaft. "Warum diese harte Grenze? Warum kein fließender Übergang?", sagt Natascha. Obwohl sie inzwischen zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht hat, lässt sie diese Frage nicht los.

"Einige Mütter kommen mit einem Baby im Maxi Cosi aus dem Krankenhaus – und andere mit einem leeren Bauch."
Betroffene Natascha Sagorski

Die Erklärung der Regierung ist, dass eine Geburt vor der 24. Schwangerschaftswoche keine Entbindung sei. Diese Haltung sei "nicht zeitgemäß", kritisiert Natascha. Genauso wie der Umgang mit Fehlgeburten, der in Österreich und skandinavischen Ländern, viel sensibler sei. Sie sagt:

"In Deutschland hört das Herz auf, zu schlagen und zack, wird die Frau in die Klinik zur Ausschabung geschickt. In anderen Ländern darf die Frau mitentscheiden, ob sie die Schwangerschaft operativ beenden will, eine Pille zur Einleitung zu Hause nimmt oder einfach abwartet, bis ihr Körper begriffen hat, dass das Baby tot ist und es auf natürlichem Weg abgeht."

Solch eine "kleine Geburt" mitzumachen, habe den Vorteil, dass der Abschied bewusst durchlebt würde. Und ein paar Tage Mutterschutz sind allein schon nötig, um zu begreifen, was gerade passiert ist. "Einige Mütter kommen mit einem Baby im Maxi Cosi aus dem Krankenhaus – und andere mit einem leeren Bauch", sagt Natascha. "Das ist die Realität." Es sollte genehmigt sein, ein paar Tage vom Alltag Pause zu machen, wenn der Lebenstraum unter dem Herzen wegstirbt. Natascha dazu: "Ich finde, das wäre das Mindeste."

Moderatorin Masha geht mit Video über Bikinis und große Oberweite viral: "Nicht für die Männer"

Masha ist 25 Jahre alt. Sie ist Moderatorin bei Jam FM. Nach ihrer Kindheit und dem Abi studierte sie in Koblenz Lehramt, begann zu modeln und entschied sich nach einem Unfall, etwas Gewagtes zu tun: Sie warf ihre Zukunftspläne über den Haufen, zog nach Berlin und ging zum Radio.

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