Schon immer gab es einen Typ Mensch, der in der Liebeswelt alles durcheinanderwirbelte, dem Gegenüber den Verstand raubte und gebrochene Herzen hinterließ. Casanova, Bad Boy, Femme Fatales, Vamp – das alles sind Bezeichnungen für ein und dasselbe Phänomen.
Charismatische Personen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Sex-Appeal verströmen, Nervenkitzel versprechen, sich nicht an Regeln halten. Einem ungehemmt nahekommen und doch unerreichbar sind.
Weit weg von der stabilen, gesunden Beziehung, die wir uns offiziell wünschen, stürzen wir uns für sie ins Verderben. Und spätestens, wenn es gilt, die Scherben des Lebens aufzusammeln und alle netten Liebesoptionen endgültig vergrault sind, fragt man sich: Was zur Hölle macht diese Leute so attraktiv, so unwiderstehlich?!
"Das ist die ewige Frage, oder?", sagt Christian Hemschemeier dazu. Er ist Psychologe und Paartherapeut, coacht auch in Online-Kursen. Watson sprach mit ihm über den Sex-Appeal von unbändigen Querulanten.
Prinzipiell, sagt er, ist es noch lange nicht pathologisch, jemanden anziehend zu finden, der unverschämt und zugleich sexy ist: "Ob einem das Sorgen machen sollte oder nicht, kommt ein wenig darauf an, wie ausgeprägt diese Anziehung ist."
Vielmehr läge es in der Natur des Menschen, sich für jemanden zu interessieren, der Aufsehen erregt. "Viele würden wohl sagen, dass sie sich eher zu einer Femme Fatale hingezogen fühlen, als zu einer grauen Maus, weil diese Frauen überraschend und interessant wirken", erklärt Hemschemeier. "Das verspricht Auf- und auch Erregung. Das Prinzip gilt natürlich für alle Geschlechter."
Wir erhoffen uns also von diesen Menschen, dass sie unser Leben aufregender machen. Das sei auch gar nicht schlimm. Im Gegenteil. Tatsächlich bereichern diese wilden Frauen und Männer ihr Umfeld oft, wie Hemschemeier ausführt:
"Allerdings", und hier beginne das Problem, sagt der Psychologe, höre er sehr oft von Klientinnen, "sie fänden 'nichts dazwischen'". Entweder seien die Männer "Arschlöcher" oder "viel zu nett". Wer sich bei diesem Gedanken erwischt, sollte nicht die Qualität der Single-Portale, sondern die eigene Wahrnehmung überprüfen.
Es gäbe durchaus zuverlässige Menschen, die sehr spannend sind. Diese "safe choices" würden von oben genannter Gruppe allerdings oft verschmäht – ein selbstgemachtes Dilemma. Der Therapeut sagt dazu ernüchternd: "Wer lieber Action und sexy Spiele will und kompromissbereite Partner als langweilig empfindet, darf sich nicht wundern, wenn Liebeserfahrungen unglücklich enden."
Aber warum sind "nette" Menschen oft so unsichtbar auf dem Singlemarkt? Hemschemeier glaubt, dass hinter der Beliebtheit der bösen Buben und Mädels ein ganz generelles Problem in unserer Gesellschaft steht, wie er erklärt:
Sobald das Leben und die Liebe beginnen, in ruhigere Bahnen zu geraten und eher konstant und planbar vor sich hin zurauschen, würden diese Menschen "von massiven Zweifeln befallen", sagt er. "So torpedieren sie sich selbst."
Er mahnt, dass diese äußeren Faktoren, die Spannung, die Verlustangst und die Euphorie rund um eine:n aufregende:n Partner:in sehr wenig mit Liebe zu tun hätten. "Das ist alles pseudo-gefühlvoll. Es fühlt sich super intensiv an, aber es geht nicht in die Tiefe", warnt er. "Rebellische Menschen können diese oberflächliche Dramasucht eher erfüllen. Deswegen sind sie sehr gefragt."
Im Prinzip könne man es Bad Boys und Femme Fatales aber nicht einmal vorwerfen, dass sie sich genauso verhielten, wie von ihnen erwartet. "Es ist nämlich interessanterweise nicht so, dass alle Singles auf toxische Personen 'reinfallen'", berichtet er aus der Praxis, "sondern meistens suchen Betroffene ganz aktiv nach Menschen, die ihnen Liebeskummer bereiten werden. Es ist wirklich verrückt."
Dahinter stecken Muster, die im Härtefall therapeutisch aufgebrochen werden können. Zudem säßen viele dem Irrglauben auf, dass der oder die Widerspenstige sich irgendwann ändern würde – durch die Kraft der Liebe.
Es sei ein Urmotiv der Literatur und Kinowelt, auf das Frauen sowie Männer abfahren: Der unzugängliche Mann, der weich wird. Die promiskuitive Frau, die eine feste Beziehung rettet. "Siehe '50 Shades of Grey', siehe 'Pretty Woman'", zählt Hemschemeier auf.
"Das finden Menschen einfach wahnsinnig romantisch. Es wäre ja auch ein Ego-Booster, wenn ausgerechnet sie diejenigen wären, denen die Zähmung am Ende gelingt", sagt der Therapeut und warnt deutlich:
Es ginge darum zu erkennen, warum man diesen Nervenkitzel überhaupt braucht und einen Weg zu finden, ihn an anderer Stelle ins Leben zu lassen. Was an diesem Drama zieht mich an? Wem will ich was beweisen? Wie kann ich diese Energie vielleicht beruflich, sportlich oder kreativ ausleben?
Selbst ein leidenschaftliches Leben zu führen, aber dafür eine stabile Beziehung zuzulassen, "das wäre so viel gesünder und schlauer", betont der Therapeut, denn "ein 'Bad Boy' wird sich niemals ändern..."