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Oktoberfest 2022 und Corona: Wird die Wiesn ein Superspreading-Event?

Sorglos feiern wie zuletzt 2019: Das ist die Hoffnung vieler Wiesn-Besucher:innen dieses Jahr. Wenn sich das mal nicht rächt!
Sorglos feiern wie zuletzt 2019: Das ist die Hoffnung vieler Wiesn-Besucher:innen dieses Jahr. Wenn sich das mal nicht rächt!bild: iStock Editorial / Getty Images Plus
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Oktoberfest 2022: Riesengaudi oder Superspreading-Event in München?

15.08.2022, 10:00
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Es gibt wenig, was in den Wochen vor dem Oktoberfest in München leidenschaftlicher diskutiert wird als der aktuelle Preis für die Maß Bier. Dieses Jahr ist aber alles anders.

In die traditionelle Vor-Wiesn-Debatte mischt sich, neben der Sorge um die finanziellen Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise – nein, das Wiesn-Hendl wird wegen der Gaskrise nicht teurer! – die Angst, sich auf dem ersten Oktoberfest nach Beginn der Pandemie mit dem Coronavirus anzustecken. Oder dass die Wiesn gar zum Superspreading-Event wird und mit Gästen aus aller Welt samt eingeschleppter Covid-Varianten als Brutstätte für neue Virus-Mutationen dienen könnte.

Oktoberfest: 2022 feiert Corona mit

Zu Recht, schließlich ist Abstand halten auf dem weltweit größten Volksfest mit gut sechs Millionen Besucher:innen ein unmöglich einzuhaltendes Gebot. Und dass ein Virus, welches sich hauptsächlich über Aerosole verbreitet, sich in einem gut gefüllten Bierzelt ebenso wohlfühlt wie der bierselige Gast, kann sich jeder selbst ausmalen. Schließlich ist auch die sogenannte "Wiesn-Grippe", die grundsätzlich spätestens nach der ersten Festwoche in der Stadt grassiert, schon lange vor Corona ein wohlbekanntes Phänomen in München gewesen.

Ein Besuch der Wiesn bedeutet für viele pure Lebenslust. Wer will da an Krankheiten denken?
Ein Besuch der Wiesn bedeutet für viele pure Lebenslust. Wer will da an Krankheiten denken? bild: IMAGO / Ralph Peters

Die "Süddeutsche Zeitung" hat den Faktencheck gemacht und festgestellt, dass nach einigen Volksfesten, die dieses Jahr zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie wieder stattfanden, ein messbarer Anstieg der Corona-Infektionen in den jeweiligen Stadt- und Landkreisen festzustellen war. Das Oktoberfest 2022 aus diesen Gründen abzusagen, kommt jedoch für die Stadt München nicht infrage.

"Das Oktoberfest ist empfindlich gegenüber tiefgreifenden Änderungen. Daher kann es das Fest nur ganz oder gar nicht geben."
Wolfgang Nickl, Sprecher des Wirtschaftsreferats der Stadt München, gegenüber watson

"Das Oktoberfest findet statt, so wie man es kennt", sagt Wolfgang Nickl, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Referats für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München, auf Nachfrage von watson. In diesem Jahr finde es fraglos in einem schwierigen Umfeld statt. "Aber das Oktoberfest ist empfindlich gegenüber tiefgreifenden Änderungen. Daher kann es das Fest nur ganz oder gar nicht geben."

Die Gesundheitspolitik habe der Stadt keine rechtlichen Schranken auferlegt, daher habe sie sich nach eingehender Prüfung und Debatte dazu entschieden, das Fest ohne Auflagen oder Zugangskontrollen zu veranstalten.

Bei gutem Wetter strömen Tausende auf die Festwiese. Abstand halten dürfte hier schwierig werden.
Bei gutem Wetter strömen Tausende auf die Festwiese. Abstand halten dürfte hier schwierig werden. bild: / IMAGO / Westend61

Ulrike Protzer, Leiterin der Virologie an der Technischen Universität (TU) und am Helmholtz-Zentrum München, sieht beim Besuch des Oktoberfestes eine Ansteckungsgefahr. "Wenn man sich für die Wiesn entscheidet, muss man ein gewisses Infektionsrisiko in Kauf nehmen." Eine komplette Absage der Wiesn hält sie laut "Süddeutscher Zeitung" jedoch für übertrieben: "Eines Tages muss man zum normalen Leben zurückkehren, und das geht mittlerweile auch, wenn man dabei vernünftig ist."

Professor Dr. Timo Ulrichs, Epidemiologe an der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften Berlin. Studiengangsleiter Internationale Not- und Katastrophenhilfe.
Das erhöhte Risiko für eine Corona-Infektion sei gegeben, erklärt der Infektionsepidemiologe Timo Ulrichs.Bild: Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften Berlin

Auch Timo Ulrichs, Professor an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, plädiert nicht für eine Absage des Oktoberfestes. Dennoch warnt er gegenüber watson vor dem erhöhten Risiko einer Infektion:

"Es ist klar, dass das Risiko einer Infektion (und nachfolgenden Erkrankung) beim Besuch des Oktoberfestes höher ist als in der gewohnten Umgebung. Viele Menschen aus unterschiedlichen (Welt-)Regionen treffen sich, und das Virus hat leichtes Spiel. Maskentragen wäre hilfreich, zumindest bei Wegen und in den Zelten – das lässt sich aber wohl eher schwer durchhalten. Es bleibt zu hoffen, dass die Besucher:innen vollständig geimpft sein werden."

Der Infektionsepidemiologe Ulrichs empfiehlt daher, sich nach dem Oktoberfestbesuch zumindest öfter zu testen – um eine mögliche Infektion frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, sie in der gewohnten Umgebung weiterzugeben.

Ein Booster vor dem Wiesn-Besuch hilft

Ein wenig dramatischer sieht die Situation der Starnberger Klinikchef Thomas Weiler. Er ist überzeugt: "Wir werden die Wiesn bitterböse bereuen." Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte er zu den Gefahren einer Covid-Infektion auf dem Oktoberfest: "Bei der Re-Infektion erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer deutlich längeren und bleibenden Symptomatik, also Long-Covid."

"Leider schützen durchgemachte Omikron-Infektionen nicht vor einer weiteren."
Epidemiologe Timo Ulrichs gegenüber watson

Timo Ulrichs bestätigt diese Aussage zum Teil. Es sei richtig, dass bei jeder Infektion das Risiko eines Long-Covid-Verlaufes gegeben ist. "Eine neuere Studie zeigt, dass das in einem von acht Fällen passieren kann." Doch, so relativiert er im Gespräch mit watson: "Impfung senkt das Risiko von Long-Covid erheblich, also wäre vor diesem Hintergrund zu empfehlen, dass auch jüngere Altersgruppen sich eine Auffrischimpfung abholen."

Der individuelle Immunschutz solle durch eine Auffrischimpfung vor einem Besuch des Oktoberfestes möglichst vollständig sein: "Leider schützen durchgemachte Omikron-Infektionen nicht vor einer weiteren, wegen der immune-escape-Eigenschaften der Omikron-Untervarianten."

Die Virologin Ulrike Protzer rät in der "Süddeutschen Zeitung" dazu, dass "ältere, vorerkrankte und immungeschwächte Menschen", denen Corona besonders gefährlich werden kann, der Wiesn am besten fernbleiben sollten. Der Besuch des Oktobersfestes sei freiwillig, so auch der Sprecher des Münchner Wirtschaftsreferates, Wolfgang Nickl. Doch mit den Folgen einer Corona-Infektion ist man meist nicht allein. Die Gefahr, damit auch andere anzustecken, bleibt. "Wer hingeht, kann sich und anderen zuvor noch etwas Gutes tun und seine Corona-Impfung auffrischen", betont Nickl gegenüber watson.

Das Oktoberfest als Mutationslabor

Gerade eine der besonders schönen Eigenschaften des Oktoberfestes könnte dieses Jahr zu einem Problem werden. Nirgendwo sonst kann man auf 2,20 Metern so viele Nationen so eng beieinander versammeln, wie auf einer klassischen Bierzeltbank. Das freut aber auch die (Corona-)Viren, die Besucher:innen aus aller Welt mitbringen. Wie arg die Folgen eines Oktoberfestes ohne gesundheitliche Auflagen für die Stadt München und für Deutschland hinsichtlich der Infektionszahlen werden, entscheidet aber auch die im Nachgang vorherrschende Corona-Variante.

Die Wiesn lockt nicht nur Gäste, sondern auch Corona-Varianten aus aller Welt.
Die Wiesn lockt nicht nur Gäste, sondern auch Corona-Varianten aus aller Welt.bild: IMAGO / Ralph Peters

Wie groß sieht der Infektionsepidemiologe die Gefahr, dass mit den Wiesn-Besucher:innen aus aller Welt neue Varianten des Coronavirus eingeschleppt werden oder sogar neue Varianten entstehen? "Die Gefahr besteht durchaus, aber diese neuen Varianten müssen ja erst einmal entstehen, und dann gäbe es noch die Möglichkeit, Einreisen aus Virusvariantengebieten zu unterbinden", sagt Ulrichs im Gespräch mit watson. Es könnten jedoch auch unerkannt bisher unentdeckte neue Varianten verbreitet werden. Es empfiehlt sich laut Ulrichs auch hier weiterhin altbekanntes: Ein guter individueller Schutz, sprich das Maskentragen und die Impfung.

Boykott von Milka-Schokohasen: Aktivisten wenden sich direkt an Rewe und Edeka

Schon seit Wochen erinnert in den Supermärkten alles an Ostern. Ostereier und Osterschokolade stehen seit Längerem in den Regalen bereit, locken die Verbraucher:innen und landen in zahlreichen Einkaufswagen. Kurz vor den Osterfeiertagen fordern ukrainische Aktivist:innen nun zwei große Supermärkte dazu auf, Schokolade von Milka zu boykottieren. Das betrifft auch den bekannten Milka-Schokohasen.

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