Du denkst, dass andere darauf achten, wie du aussiehst, was du anhast oder was du sagst? Dass du danach beurteilt wirst? Keine Angst, denn grundsätzlich ist all das ganz normal. Schließlich sind wir als Menschen soziale Wesen und als solche auf die Akzeptanz der Gruppe angewiesen. Doch es gibt auch das psychologische Phänomen der Sozialphobie, bei dem sich Menschen am liebsten vor der Welt verstecken würden.
Watson erklärt dir, wie du erkennst, ob du unter sozialer Angst leidest oder ob du einfach nur schüchtern bist.
Erst wenn sich die Gedanken fast zwanghaft darum drehen, wie man auf andere wirkt und was andere über einen denken könnten, dann wird es pathologisch und damit schädlich, sagt die Kinder- und Jugendtherapeutin Miriam Hoff im Gespräch mit watson: "Bei manchen geht es so weit, dass sie alltägliche Aufgaben nicht mehr verrichten können, sich nicht mehr in die Schule oder den Job trauen, oder keine Einkäufe mehr machen können – spätestens dann sollte man sich professionelle Hilfe suchen."
Hoff bietet unter dem Titel ihres gleichnamigen Buches "Mind is Magic" auch Workshops für junge Menschen zu Themen wie Selbstzweifel, soziale Ängste oder Prüfungsangst an. Mit Selbsthilfe-Tools aus Therapie und Coaching, die dich wieder zurück ins Leben bringen und deine sozialen Skills verbessern.
Soziale Phobie ist eine Krankheit, Schüchternheit dagegen nicht: Diese ist oftmals nichts anderes als eine anfängliche Angst vor neuen Situationen und Personen und damit eine natürliche und oft auch sinnvolle Reaktion, sagt Hoff – denn letztlich schützt uns dieses Gefühl auch vor vorschnellen Handlungen. Ist man "nur" schüchtern, gibt sich das im Laufe der Zeit, vor allem wenn man sich Situationen aussetzt, die anfangs Überwindung kosten, aber mit jeder Wiederholung immer einfacher werden.
Menschen, die unter sozialen Ängsten leiden, meiden es in der Regel, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Soweit noch die Gemeinsamkeit mit zurückhaltenden Menschen, die das auch nicht mögen. Doch bei einer sozialen Phobie gibt es deutliche Unterschiede, weiß Miriam Hoff:
Oft seien sie von der Angst getrieben, sich zu blamieren oder zu versagen, erklärt Hoff weiter. "Dabei gehen sie eigentlich von einem sehr egozentrischen Weltbild aus, da sie der Meinung sind, dass die Welt auf sie schaut und sie beobachtet und bewertet."
Oftmals entwickeln Betroffene durch diese negative Erwartungshaltung auch körperliche Begleiterscheinungen, wie Erröten, Zittern, Schwitzen, Herzrasen bis hin zur Panikattacken. Auch psychosomatische Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Übelkeit oder ein starker Harndrang sind häufige Begleitsymptome.
In Folge dieser Ängste ziehen sich die Menschen oft mehr und mehr aus der Umwelt zurück, was erhebliche negative Folgen für ihren beruflichen und privaten Alltag haben kann. Manche würden darüber sogar depressiv oder abhängig von Substanzen wie Alkohol, Drogen oder Beruhigungsmitteln, erläutert Miriam Hoff.
Oft beginnen soziale Phobien schon in der Kindheit oder Pubertät. In dieser Phase ist die Akzeptanz durch andere entwicklungspsychologisch sehr wichtig. "Gleichzeitig ist das aber auch ein Alter, in dem wir sehr anfällig für Kritik und Bewertung von außen sind, da unser Selbstbild noch sehr schwankend ist und wir erstmal herausfinden müssen, wer wir eigentlich sind. Das geht wiederum nicht im Alleingang, sondern nur durch Identifikation oder Abgrenzung von anderen", sagt Hoff.
Die Menschen in unserem sozialen Umfeld bekommen auf diese Weise viel Macht über uns und unsere Gedanken. Und das kann zum Problem werden: Je jünger wir sind, desto weniger positive Erfahrungen haben wir gesammelt, um mögliche negative Erlebnisse korrigieren zu können.
Die Therapeutin erläutert:
Miriam Hoff erklärt das mit der Evolution: Wir Menschen sind als soziale Wesen auf die Anerkennung unserer Gruppe angewiesen. Denn allein in der Wildnis wäre der Mensch in der Vorzeit nicht überlebensfähig gewesen.
Entwicklungspsychologisch ist es ein wichtiger Schritt, sich im Jugendalter durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Gleichaltrigen zu identifizieren und sich damit von den Eltern zu emanzipieren, sich also in Richtung Selbstständigkeit zu entwickeln.
"Oft gehen wir durch die Welt mit einer 'All eyes on me'-Haltung. Wir glauben, wir seien der Nabel der Welt und alle hätten nichts anderes zu tun, als sich über unser Aussehen oder unseren IQ Gedanken zu machen", sagt Miriam Hoff. Die Sozialpsychologie nennt diese Überschätzung der Aufmerksamkeit für die eigene Person den "Spotlight-Illusion-Effekt".
Die Wahrheit sei jedoch: Den meisten Menschen sei es schnurzegal, wie wir herumlaufen oder was wir sagen, ergänzt die Therapeutin. "Das ist einerseits eine ernüchternde, andererseits aber auch sehr hilfreiche Erkenntnis, denn sie befreit von der egozentrischen Brille."