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Rassismus in Deutschland: "Fascholand" zeigt die größten Probleme auf

ARCHIV - 22.03.2025, Berlin: Ein Schild mit der Aufschrift «Nazis Raus» ist bei einer Gegendemonstration zu einer rechtsextremistischen Demonstration am Markgrafendamm zu sehen. (zu dpa: «Antisemitism ...
Der Rechtsruck in Deutschland ist deutlich spürbar.Bild: dpa / -
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"Fascholand": Auf den Spuren des Faschismus in Deutschland

Canberk Köktürk weiß, wie es ist, aufgrund der Herkunft diskriminiert zu werden. Aus einer migrantischen Sicht nimmt er die Lage in Deutschland unter die Lupe und schaut sich an: Wie steht es um den Rechtsruck in Deutschland? Mit watson hat er über sein neues Buch "Fascholand" gesprochen.
31.07.2025, 14:3601.08.2025, 10:07
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Watson: Du beschreibst "Fascholand" als eine Art Ermittlungsakte zur Lage in Deutschland. Würdest du sagen, du bist in erster Linie Autor – oder doch eher Detektiv?

Canberk Köktürk: Ich glaube, die Arbeit ist gar nicht so unterschiedlich. In beiden Fällen geht es darum, Zusammenhänge zu erkennen. In meinem Buch bin ich sozusagen Ermittler in eigener Sache. Klar, ich bin Autor – aber ich wäre gern Detektiv, allerdings eher im filmischen Sinne. Nicht im klassischen, polizeilichen. Ich bin mit Krimis groß geworden, das Genre hat mich schon immer fasziniert. Also bin ich wohl ein Autor, der mit detektivischem Blick arbeitet.

Was genau hast du ermittelt?

Ich wollte den Zeitgeist einfangen. Die gesellschaftliche, mediale und politische Faschisierung, die gerade stattfindet – als Konsequenz der letzten 30 Jahre. "Fascholand" ist eine Bestandsaufnahme dieses Moments. Wir leben in einem gesellschaftlichen Clusterfuck, wenn man so will. Und ich wollte herausfinden, was der gemeinsame Nenner ist – vor allem in Bezug auf Unterdrückung.

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Bild: ullstein verlag

Der Untertitel deines Buches ist: "Wir sind hier immer noch in Deutschland." Ein Satz, der im Buch sehr häufig fällt und je nach Kontext eine andere Bedeutung bekommt. Was bedeutet dieser Satz für dich?

Für mich ist das ein hochinteressanter Satz – allein schon grammatikalisch. Er ist im Präsens formuliert, das "immer noch" deutet jedoch auf Vergangenheit hin, bedeutet aber gleichzeitig, dass es auch in die Zukunft weist. Er führt also etwas fort – und stellt gleichzeitig infrage, ob es so bleiben soll. Ich beschäftige mich im Buch viel mit dieser Ambivalenz. Für mich steht der Satz für das, was in Deutschland schiefläuft: dieses Beharren auf dem Status quo, dieses Verhindern von Fortschritt durch regressive Kräfte. Und am Ende landet man dann oft bei Rechtsextremismus, bei Gatekeeping, bei Ausgrenzung.

"Natürlich habe ich Angst, dass Nazis mich verfolgen oder schlimmeres – aber ich fürchte auch, dass sich die sogenannten progressiven Menschen ertappt fühlen."

Den Satz hört man ja auch häufig von Deutschen, wenn sie sich ironisch über ihr Land aufregen – man beispielsweise mal wieder nicht mit Karte zahlen kann.

Diese Selbstironie ist typisch deutsch. Man ärgert sich über das eigene Land – bis dann ein Anlass wie eine Fußball-EM kommt, und plötzlich bricht der Patriotismus durch. Aber meistens wird der Satz verwendet, wenn man sich über irgendetwas aufregt. Und manchmal wird er eben auch rassistisch genutzt. Zum Beispiel wurde uns im Fußballverein verboten, unsere Muttersprachen zu sprechen – Türkisch, Kurdisch, Arabisch. Dann hieß es: "Wir sind hier in Deutschland. Hier spricht man Deutsch." Das ist sprachliche und kulturelle Unterdrückung.

"Fascholand" ist Canberk Köktürks erstes Buch.
"Fascholand" ist Canberk Köktürks erstes Buch.Bild: Ullstein Verlag / Otto Caputo

Ein klares Beispiel für Alltagsrassismus. In deinem Buch schreibst du, dass dich "nett" gemeinter Rassismus mehr stört als offensichtlicher. Warum?

Der offene, aggressive Rassismus ist für mich eine feste Ideologie. Leute, die so denken, werde ich persönlich nicht umstimmen können. Das braucht strukturelle Ansätze, Unterstützung aus der weißen Dominanzgesellschaft und Zeit. Der sogenannte positive Rassismus hingegen kommt von Menschen, die sich selbst als weltoffen sehen, aber bei bestimmten Themen nicht reflektiert sind. Dann kommen Fragen wie: "Warum sprichst du so gut Deutsch?" – das signalisiert: Du bist nicht wirklich Teil von uns. Das nervt mich, weil ich all die Erwartungen erfüllt habe – gute Sprache, gute Ausbildung – nur um dann festzustellen: Das reicht offenbar nicht.

Ist das internalisierter Rassismus?

Nein, internalisierter Rassismus ist die schwierigste Form – weil sie in uns allen steckt. In mir, in dir. Das ist ein Ergebnis kolonialer und imperialer Strukturen, tief verwurzelt in der eurozentrischen Kultur. Das aufzulösen, ist ein langer Prozess. Aber genau dieser internalisierte Rassismus sorgt dafür, dass Medien und Politik bis heute so weiß sind.

Du schreibst, ohne die Beteiligung der Medien wäre der Aufstieg rechtsextremer Parteien in den letzten zehn Jahren nicht denkbar gewesen. Was meinst du damit?

Die Medien haben rechten Parteien eine Bühne gegeben – aus Kalkül. Es geht um Klicks, Quoten, Auflagen. Und das führt dazu, dass rechte Narrative normalisiert werden. Wenn Olaf Scholz zum Beispiel sagt: "Wir müssen im großen Stil abschieben", und das dann auf eine Titelseite kommt, verschiebt sich der Diskurs nach rechts. Wenn das über Jahre passiert, dringt es in unseren Alltag ein – in Gespräche mit Freund:innen, Familie, am Arbeitsplatz. Dadurch wird rechte Ideologie legitimiert. Das ist das eigentliche Problem. Und manchmal fühlt sich das wirklich hoffnungslos an.

Im Buch sagst du, dass Medien zunehmend Angst vor der Politik haben, obwohl es umgekehrt sein sollte. Wie viel Angst hattest du beim Schreiben von "Fascholand"?

Ich hatte keine Angst im klassischen Sinne vor Politiker:innen. Natürlich habe ich Angst, dass Nazis mich verfolgen oder schlimmeres – aber ich fürchte auch, dass sich die sogenannten progressiven Menschen ertappt fühlen. Und dann stehe ich dazwischen. Dieses Buch ist eben keine einseitige Anklage. Ich versuche zu erklären, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Dazu gehört auch, dass ich zum Beispiel vermeintlich progressive Politiker:innen kritisiere. Wenn Habeck sagt: "Asylbewerber, die arbeiten dürfen, können bleiben – die anderen müssen gehen" – dann frage ich: Wie reagiert darauf die grüne Wählerschaft? Da ist eine Angst, auch in der Berichterstattung. Angst zieht sich durch das ganze Buch. Nicht Wut, sondern Angst.

"Fascholand" zeichnet ein sehr düsteres Bild von Deutschland. Gab es bei deiner Recherche trotzdem Dinge, die dir Hoffnung machen?

Es gibt viele Leute da draußen, die gute Arbeit leisten: in der Politik – selten, aber es gibt sie –, in den Medien, Aktivist:innen. Wenn diese Menschen es schaffen, zusammenzufinden, besteht Hoffnung. Dann können wir diesen Trend vielleicht stoppen, der sich schon so lange durchzieht. Aber ganz ehrlich: einen konkreten Punkt, der mich jeden Abend ruhig einschlafen lässt, den gibt es nicht. Den müssen wir erst schaffen.

Du schreibst: "Es sollte nicht unsere Aufgabe sein, für die Deutschen Rassismus zu reflektieren." Trotzdem tust du genau das in "Fascholand".

Ich meinte damit vor allem den Rassismus im Alltag. Wenn wieder jemand einen rassistischen Ausrutscher hat – das kostet Kraft. Ich kann nicht in jedem Meeting oder auf jeder Party politische Bildungsarbeit leisten. Für meine Ermittlungen war es notwendig, Rassismus zu reflektieren, aber im Alltag ist das nicht meine Aufgabe. Das kostet einfach zu viel Energie. "Mental Load" nennt man das heute.

Du bist in deinem Buch auf der Suche für den Grund der aktuellen Lage in diesem Land. Hast du Schuldige gefunden?

Ich suche keine Schuldigen. Schuld ist eine Richterfrage. Ich bin kein Richter. Ich bin Ermittler, ich kann Verdächtige nennen. Und davon gibt es viele, in der Politik, in den Medien. Ich kann nicht sagen: Die AfD ist allein schuld. Sie bekommt regelmäßig eine Bühne im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und die Union übernimmt rechte Narrative. Wenn Merz von "Paschas" redet oder von "Massenvergewaltigung", dann spricht er mit der Stimme der AfD. All das hängt strukturell miteinander zusammen, all das ist "Fascholand". Ich brauchte einen Begriff dafür. Wenn ich nur auf Einzelne schaue, bleibe ich bei Schlagzeilen hängen. Aber wir brauchen strukturelle Lösungen – auf allen Ebenen. "Fascholand" versucht, zwischen diesen Ebenen Brücken zu bauen.

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