Im Juli geschah bei dem Traditionsunternehmen Rügenwalder Mühle Historisches.Bild: imago stock&people / HOFER
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31.08.2020, 12:0628.09.2020, 13:37
Der Appetit auf fleischlose Leckereien
wächst: Der Wurstwarenhersteller Rügenwalder Mühle aus dem
niedersächsischen Bad Zwischenahn verzeichnete in den vergangenen
Monaten teils Umsatzzuwächse von bis zu 100 Prozent bei seinen
fleischlosen Alternativ-Produkten.
Im Juli geschah bei dem Traditionsunternehmen sogar Historisches. Erstmals in seiner 186-jährigen Geschichte macht die Rügenwalder Mühle mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Fleischalternativen als mit klassischem Wurstaufschnitt oder Teewurst.
Auch der Wettbewerber Wiesenhof aus Visbek bei Vechta stellt fest,
dass der Markt für vegetarische und vegane Produkte in diesem Jahr
herausragend wächst. "Der Bruzzler Veggie zum Beispiel liegt
gegenüber dem Vorjahr mit über 44 Prozent Absatzzuwachs deutlich im
Plus", sagt eine Sprecherin.
Und auch der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé steigerte im ersten
Halbjahr 2020 seinen Umsatz mit pflanzenbasierten Produkten um 40
Prozent. Gerade hat er in seinem Heimatmarkt eine vegane Alternative
zu Thunfisch auf den Markt gebracht. "Vuna" auf der Basis von Erbsen-
und Weizenprotein und mit natürlichen Aromen soll bald auch in
Deutschland verkauft werden.
Fleischersatz-Produkte sind keine Nischenprodukte mehr
Schon 2018 und 2019 verzeichneten Nahrungsmittel auf Pflanzenbasis
ein starkes Wachstum, wie aus einer im vergangenen Jahr vorgestellten
Studie des Investorennetzwerks FAIRR-Initiative hervorgeht.
Demzufolge machen Fleischalternativen bisher zwar nur einen kleinen
Anteil am weltweiten Umsatz aus, sie wachsen aber
überdurchschnittlich im Vergleich zum konventionellen Fleischsektor:
Dieser legte zuletzt um sechs Prozent zu, die fleischlosen
Alternativen um 25 Prozent im vergangenen Jahr.
Größter Markt in Deutschland seien bislang die pflanzlichen
Milchalternativen, sagt der Kommunikationsleiter des Vereins ProVeg,
Alex Grömminger. Dieser werde auf rund 10 Prozent geschätzt, mit
stark steigender Tendenz. Der Marktanteil von pflanzlichen Wurst- und
Fleischalternativen liege noch darunter. "In den kommenden Jahren
wird dieser Markt mit zweistelligen Zuwachsraten im mittleren Bereich
weiter kräftig zulegen", schätzt Grömminger.
Fleischlose Burger oder vegane Wurst sind damit keine Nischenprodukte
mehr, sondern bei der Masse der Verbraucher angekommen.
Alle Studien
gingen davon aus, dass 10 bis 40 Prozent der tierischen Produkte
durch alternative Proteinquellen ersetzt werden, sagt Godo Röben,
Mitglied der Geschäftsleitung bei der Rügenwalder Mühle: "Es gibt
jetzt ein wahnsinniges Wachstum. Und es gibt keinen
Lebensmittelhersteller, der das Thema nicht aufgreift." Jeder
Zulieferer und jeder Maschinenhersteller stelle sich auf diese
Marktveränderung ein.
Regionalität beim Sojaanbau wird immer wichtiger
Aus Sicht des Verbandes für Alternative Proteinquellen (BalPro),
einer Interessenvertretung von rund 70 Unternehmen aus der
Lebensmittelbranche, muss nun auch die Politik Weichen stellen. Denn
es sei wünschenswert, dass auch die Wertschöpfungskette möglichst
stark regionalisiert werde, sagt BalPro-Vorstandsmitglied Sebastian
Biedermann. "Wir müssen hier auch den Anbau von Eiweißpflanzen
ermöglichen, damit das Ganze auch effizient und ökologisch möglich
ist." Noch spielt zum Beispiel der Anbau von Soja in Deutschland nur
eine kleine Rolle.
Beim Sojaanbau wolle Rügenwalder Mühle künftig verstärkt auf
regionale Produktion setzen, sagt der Vorsitzende der
Geschäftsleitung, Michael Hähnel. Seit diesem Frühjahr baut das
Unternehmen mit einem Partner eigenes Soja in Deutschland an. Nach
der Ernte im September soll es veredelt und in den vegetarischen und
veganen Produkten verwendet werden. Ist das Pilotprojekt erfolgreich,
sei geplant, im nächsten Jahr zehn Prozent des Sojabedarfs aus
heimischer Herstellung zu decken und diesen Anteil kontinuierlich zu
steigern.
Der Boom pflanzenbasierter Lebensmittel dürfte einige Gründe haben.
Die Klimadebatte spiele ebenso hinein wie die jüngste Diskussion über
die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, sagt Christian
Vagedes von der Veganen Gesellschaft Deutschland: "Fleisch und andere
Massentierhaltungsprodukte schädigen das Klima; mit 18 Prozent sogar
deutlich mehr als der gesamte Straßen- und Flugverkehr." Auch die
Corona-Krise habe die Menschen zum Nachdenken gebracht, glaubt
ProVeg-Sprecher Grömminger: "Es besteht ein inzwischen
unbestreitbarer Zusammenhang zwischen unserem Ernährungssystem und
dem Risiko für Pandemien, wie wir sie gerade erleben."
(hau/dpa)
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