Uwe Schmidt-Seffers findet deutliche Worte. "Ich finde, ihr solltet euch schämen", sagt der Pastor der Gemeinde Nienhagen bei Celle in einer ganz besonderen Videonachricht. Adressat seiner Botschaft ist die Lebensmittelkette Edeka.
Denn die wirbt anlässlich ihres 100. Geburtstages deutschlandweit auf großflächigen Plakaten mit einem Slogan, der nicht nur bei dem Pastor auf Kritik stößt.
Vor allem unter Landwirten ist die Werbeaktion umstritten. Für sie ist die Werbung Ausdruck einer Preispolitik, die auf dem Rücken der Landwirte ausgetragen wird.
Bereits Ende Januar blockierten in Folge der Werbekampagne Hunderte Traktoren das Edeka-Zentrallager in Neuenkruge im Ammerland, auch der Bauernverband und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) schalteten sich ein und übten Kritik am Konzern.
Jenseits des Edeka-Streits war zuletzt nach anhaltenden Protesten der Bauern eine Debatte über die Lebensmittelpreise in Deutschland entbrannt. Am Montag gab es sogar zu einem Lebensmittelgipfel im Kanzleramt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte mit Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels über deren Preispolitik diskutiert. Auslöser waren Beschwerden der Agrarwirtschaft über die im europäischen Vergleich sehr niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland.
Um Kritik an Dumpingpreisen und Solidarität mit den Landwirten geht es auch dem Pastor aus Nienhagen, als er am Sonntag gegen 17 Uhr das Protestvideo aufnimmt. Die Kamera hält ein befreundeter Landwirt, den Schmidt-Seffers vor Jahren konfirmiert hat, erzählt der Pastor gegenüber watson.
Im Video bringt er seinen Ärger über die Edeka-Werbung in seiner 6500-Seelen-Gemeinde zum Ausdruck, in der er seit 25 Jahren Pastor ist. Er kritisiert nicht nur den Konzern, sondern greift auch zur Spraydose und übersprüht das Plakat kurzerhand mit dem Schriftzug: "Bauern haben faire Preise verdient."
Der Pastor hat mittlerweile mit seinem Protestvideo einen kleinen Internet-Hit gelandet – das Video wurde hundertfach geteilt.
Gegenüber watson verteidigt der Pastor sein auf den ersten Blick pastorenuntypisches Handeln: "Natürlich ist es eine kalkulierte Aktion", sagt er.
Kirche dürfe auch mal provozieren. "Wenn Kirche nicht bereit ist, zu provozieren, dann werden wir nicht gehört", sagt Schmidt-Seffers. Auch Jesus sei schließlich ein exzellenter Provokateur gewesen.
Dabei beginnt Schmidt-Seffers Videobotschaft zunächst versöhnlich. Er lobt darin den ortsansässigen Edeka-Markt in Nienhagen für die freundlichen Mitarbeiter und den Betreiber dafür, dass dieser die Gemeinde und Verbände vor Ort unterstütze. "Meine Frau und ich, wir kaufen gerne bei Edeka ein", sagt der Pastor. Es gebe regionale Produkte, Bier aus Celle, Fleisch aus der Region. So weit, so friedlich.
Auf das Lob folgt schließlich das Aber – und das hat es in sich: "Aber was ihr nicht verdient habt, ist ein Applaus für diese Aktion, die ihr hier gemacht habt", kritisiert der Pastor und wird schärfer im Ton: "Was haben eure Werbetreibenden geraucht?"
Am Schluss seiner Sprühperformance spricht der Pastor aus Nienhagen eine Einladung aus. "Wenn ihr den Mut habt", richtet er einen Appell an den Edeka-Konzern, "dann kommt ihr nach Nienhagen und wir reden miteinander".
Tatsächlich meldet sich ein Konzernverantwortlicher am Montagabend bei Schmidt-Seffers und verspricht, vorbeizukommen, um sich an einen Tisch zu setzen. "Die wissen mittlerweile auch, dass ihre Kampagne völlig verunglückt ist", sagt Pastor Schmidt-Seffers. Auch Edeka bestätigt gegenüber watson, dass man mit dem Pastor Kontakt aufgenommen und sich zu einem persönlichen Gespräch verabredet habe.
Bereits Ende Januar hatte sich Edeka Minden-Hannover mit Vertretern der Landwirte getroffen, um die Wogen zu glätten. "Die derzeit sehr sensible Situation in der Landwirtschaft haben wir unterschätzt", machte Edeka-Vorstandssprecher Mark Rosenkranz bei diesem Treffen deutlich. Es sei mit der aktuellen Marketingkampagne nie Absicht gewesen, Landwirte und Erzeuger zu verärgern. Auch das umstrittene Plakat soll einer neuen Kampagne weichen.
In den sozialen Medien erhält der Graffiti-Pastor indes viel Zuspruch für seine besondere Form der Kritik an Dumpingpreisen in der Lebensmittelindustrie. Allerdings könnte die Aktion ein juristisches Nachspiel haben. Auf watson-Nachfrage teilt die Polizeiinspektion Celle mit, dass eine Polizeistreife bereits am Montag vor Ort gewesen sei und ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet habe.
"Mit mir hat die Polizei noch nicht gesprochen", sagt Pastor Schmidt-Seffers gegenüber watson. Konsequenzen fürchtet der Pastor nicht: "Letztlich ist es ein großes Stück Papier. Aber wenn was kommt, nehme ich das in Kauf."
(ts)