Nicht nur in England ist der Ärger über das Nationalteam derzeit groß. Auch viele Menschen in Deutschland dürften aktuell nicht gut auf die Three Lions zu sprechen sein.
Denn nicht wenige hatten im Vorfeld der EM auf England als Europameister gesetzt – ohne zu ahnen, dass sich das Team von Trainer Gareth Southgate mit biederem Fußball durch die Gruppenphase quält. Jetzt sind die Tipps eingeloggt, zurücknehmen geht in der Regel nicht mehr.
Doch noch gibt es Hoffnung für all die, die England vorne gesehen haben: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Three Lions pünktlich zum Start der K.o.-Spiele ihr Potenzial endlich auf den Rasen bringen. Zumal Expert:innen wie Gary Lineker beim letzten Gruppenspiel gegen Slowenien (0:0) eine spielerische Steigerung wahrgenommen haben wollen.
Woran hakt es aktuell beim einst großen Turnierfavoriten England? Und was muss passieren, damit Jude Bellingham, Harry Kane und Co. ihren Ansprüchen gerecht werden?
Dafür hat watson bei Uli Hebel nachgefragt. Er ist Kommentator bei Dazn und macht mit seinem Bruder Joachim Hebel – ebenfalls Kommentator – den Podcast "Klick & Rush", in dem sie sich intensiv mit dem englischen Fußball beschäftigen.
Für Uli Hebel kommen die bislang mauen Auftritte der Engländer alles andere als überraschend.
"Ich habe gefühlte 70 Prozent der Länderspiele unter Southgate kommentiert – und habe immer herausgearbeitet, dass ich von der Herangehensweise und den Strukturen selten überzeugt war", antwortet Hebel auf Anfrage von watson.
Im englischen Spiel fehle es derzeit "an so ziemlich allem". Gegen den Ball agiere das Team "passiv und überhaupt nicht gestaffelt", analysiert der Dazn-Kommentator. "Am Ball fehlen klare Strukturen und Abläufe. Einzelne Spieler scheinen gar nicht zu wissen, was genau sie zu tun haben." Dann wird Hebel deutlich:
Und tatsächlich entzündet sich der Großteil der Kritik an Trainer Gareth Southgate und seiner Taktik. Viele können nicht verstehen, wie es sein kann, dass der wertvollste Kader des Turniers mit so begnadeten Offensivspielern wie Harry Kane, Phil Foden und Bukayo Saka gerade einmal zwei EM-Tore zustande bekommen hat.
ZDF-Experte Christoph Kramer warf dem England-Coach deshalb vor, keinen ersichtlichen Plan zu haben, und auch der langjährige BBC-Moderator Gary Lineker kritisierte Southgate deutlich.
Im Podcast "The Rest is Football", den Lineker zusammen mit den Ex-Profis Alan Shearer und Micah Richards betreibt, äußert er den Vorwurf, Spitzenspieler wie Jude Bellingham würden auf dem Platz zu vielen "verlorenen Sachen" hinterherjagen. Die von Southgate für sie vorgesehenen Rollen würden sowohl Bellingham als auch Foden Probleme bereiten, sie seien nicht optimal für ihre Spielerprofile.
In Bezug auf den aktuellen England-Kader ist oftmals von einer "goldenen Generation" die Rede. Denn schon lange waren die Three Lions nicht mehr so gut besetzt wie jetzt. Bei den vergangenen Turnieren schnitt England zwar stets gut ab – Vierter bei der WM 2018, Zweiter bei der EM 2021, Viertelfinalaus bei der WM 2022 –, für einen Titel reichte es dennoch nie. Überhaupt konnte die englische Männer-Nationalmannschaft nach dem Weltmeistertitel 1966 nie einen zweiten Titel gewinnen.
Damit es doch noch was wird mit dem EM-Sieg 2024 in Deutschland, fordert Uli Hebel ein taktisches Umdenken bei Southgate und seinem Team. "Southgate war immer gut, der Mannschaft eine Balance zu geben. Eine Rückbesinnung und ein aggressiveres Herangehen im Pressing würde England bei diesem Turnierbaum weit bringen", erklärt er.