Sport
WM 2022

WM 2022: Warum England ein Favorit ist – aber Trainer Southgate um den Job bangt

Gareth Southgate, headcoach England, talks to the team with Harry KANE, England 9 Luke Shaw, England 3 Raheem Sterling, ENG 10 Jude Bellingham, Eng 8 in the UEFA Nations League 2022 match ENGLAND - GE ...
Unter Trainer Gareth Southgate (Mitte) glänzte England bisher nicht mit spielerischen Elementen. Bild: www.imago-images.de / imago images
WM 2022

WM 2022: Warum England zu den Favoriten gehört – aber ein Trainerproblem hat

Bei den vergangenen Turnieren ging es für England ins Halbfinale und Finale. Wie gut die Three Lions in diesem Turnier aber wirklich sind, erklärt Kommentator und England-Experte Uli Hebel im Interview mit watson.
20.11.2022, 14:5621.11.2022, 12:02
Mehr «Sport»

watson: Uli, nach dem WM-Halbfinale 2018 und dem EM-Finale im vergangenen Jahr ist das WM-Endspiel für England in diesem Jahr Pflicht, oder?

Uli Hebel: Wenn man rein auf die Turnierergebnisse schaut und die Qualität im Kader sieht, dann definitiv: Ja. Aber wenn man sich mit der Mannschaft auseinandersetzt, kann man das Ganze realistischer sehen.

zur Person
Uli Hebel ist seit 2016 als Kommentator für Dazn und Sky im Einsatz. Für den Streamingdienst begleitete er jahrelang den englischen Fußball, aktuell ist er vor allem bei Bundesliga-Partien und Boxkämpfen zu hören. Für Sky kommentiert der 34-Jährige weiterhin Spiele in der englischen Liga. Zudem betreibt er gemeinsam mit seinem Bruder Joachim den Podcast "Klick & Rush", der sich um die Premier League dreht.

Wie sieht die realistische Betrachtung der Mannschaft aus?

Aus meiner Sicht gab es in den ganzen knapp sechs Jahren unter Trainer Gareth Southgate keine Entwicklung. Es gab zahlenmäßig defensiv gute Phasen und er ließ intensiv an Standardsituationen arbeiten, das kommt ihnen in Turnieren immer entgegen. Aber bei der WM 2018 und der vergangenen EM findest du so gut wie keine guten Spielsequenzen. Die Tore, die gefallen sind, waren mehrheitlich Standards oder ein Zufallsprodukt. Aber: Wer gewinnt, hat am Ende recht.

Daher hat er nie etwas an seinem Stil geändert?

Er hat sich beim vergangenen Turnier einen Co-Trainer an die Seite geholt, der ihn in Sachen Spielprinzipien auf den neuesten Stand bringt. Ich kann mich aber trotzdem an kein überzeugendes Länderspiel erinnern. Es gab lediglich Sequenzen, in denen die Mannschaft einfach individuell zu gut war für den Gegner.

"Aber in allen meinen Aufzählungen fehlen fußballtrainerspezifische Qualitäten."
England-Experte Uli Hebel über Trainer Gareth Southgate

Southgate steht nach sechs Jahren Amtszeit bei 26 Siegen in 49 Spielen. Das ist auch keine berauschende Bilanz.

Er kam nach einer chaotischen Phase als eine Art beruhigendes Element in den englischen Verband (FA). Er ist ein guter Kommunikator und schafft es offenbar, eine Gruppe über längere Zeit bei Laune zu halten. Und er hat es hinbekommen, ein Land, das politisch tief gespalten ist, in diesen Turnierwochen zu vereinen und eine gute Stimmung zu kreieren. Aber in allen meinen Aufzählungen fehlen fußballtrainerspezifische Qualitäten.

Daher wird schon länger spekuliert, dass Thomas Tuchel nach der WM sein Nachfolger werden könnte.

Ich kann ihn mir definitiv als Nationaltrainer vorstellen. Für Southgate bedeutet das, denke ich, dass das Halbfinale im Turnier nicht mehr reicht. Es geht dann vermehrt auch um die Art und Weise, wie er spielen lässt und bestimmte Fehler werden ihm nicht mehr verziehen.

Hast du ein Beispiel?

Er kommt ins Halbfinale und wechselt zweimal falsch. Das größte Problem im englischen Verband ist, dass es aktuell auch ein Machtvakuum gibt. Niemand ist so stark, um ihn einfach zu entlassen. Aber wenn die Mannschaft jetzt keinen spielerischen Schritt nach vorn macht und er zu abwartend spielen lässt, wird die Entlassung ihn einholen.

In der diesjährigen Nations League stieg das Team ohne Sieg in der Gruppe mit Deutschland, Ungarn und Italien als Letzter ab. Die "Daily Mail" schrieb danach. "Wir haben drei Probleme: die Abwehr, das Mittelfeld und den Angriff." Steht es so schlimm um das Team?

Nein, die Mannschaftsteile einzeln betrachtet sind gut. Der Sturm ist mit Harry Kane, Bukayo Saka, Marcus Rashford und Raheem Sterling absolute Weltklasse. Das Mittelfeld hat einen richtigen Härtetest auf Top-Niveau noch nicht bestanden, zudem fehlt etwas die Torgefahr und Kreativität. Dennoch gehören die Einzelnen zu den besseren Spielern in Europa.

Die Torgefahr hat besonders Jude Bellingham mit neun Treffern in 22 Spielen für den BVB bisher unter Beweis gestellt.

Er ist noch nicht so richtig ins Team gewachsen, aber ich kann mir vorstellen, dass die WM sein großer Durchbruch auf dem internationalen Niveau wird. Dann sieht man, dass er persönlich und sportlich alles mitbringt.

England Training Session and press conference, PK, Pressekonferenz - Al Wakrah Sports Club Stadium - Thursday November 17th England s Jude Bellingham during a training session at the Al Wakrah Sports  ...
Jude Bellingham könnte bei England eine Schlüsselrolle einnehmen. Bild: www.imago-images.de / imago images

Für die Defensive war die Nominierung vom vielfach kritisierten Harry Maguire ein großes Thema, der seit Monaten in einem Formtief steckt und bei Manchester United kaum spielt.

Es ist immer die große Frage, wie die Öffentlichkeit Dinge diskutiert und was Realpolitik ist. Wir alle kennen die Memes, aber ihm wird auch übel mitgespielt. Ich habe 90 Prozent der Länderspiele gesehen und das letzte Turnier verfolgt: da war Maguire der Beste. Southgate hat seine "Lieutenants", wie ich sie nenne, auf die er zählt und die immer spielen.

Dazu zählen wohl auch Torhüter Pickford, Mason Mount und Raheem Sterling.

Genau. Und dass er diese Achse hat, ist gar nicht so schlecht. Das Nationalteam ist ein besonderes Umfeld und da gilt es auch auf Dinge wie die Teamchemie zu achten. Bislang hat er aber nicht geklärt, ob er im 4-3-3-System spielen lässt, dann ist die Offensive okay, aber die Defensive entblößt, weil das Mittelfeldzentrum überfordert ist. Oder spielt er mit einer Fünferkette und dann passierte bislang nach vorn wenig.

England hat mit Spielern wie Bellingham, Rice, Rashford, Mount, Foden, Saka und den verletzt fehlenden James und Chilwell grandiose Zukunftsperspektiven. Kann dieses Versprechen einer goldenen Generation daher erst frühestens 2024 eingelöst werden?

Es ist nicht nur diese eine Generation und die nächste steht auch schon bereit. Die englischen Nachwuchs-Nationalmannschaften gewinnen seit Jahren regelmäßig Turniere und auch bei den Klubs sieht es nicht anders aus. Aber auch Frankreich, Argentinien und Deutschland haben ähnlich talentierte Generationen. Man macht es sich immer zu einfach, eine einzelne rauszugreifen. Es muss zudem auch immer jemand da sein, der mit der Mannschaft arbeiten kann. Aber der könnte ja mit Thomas Tuchel am Horizont zu sehen sein.

FC Bayern: Trio intern extrem umstritten

Die erste titellose Saison seit zwölf Jahren nimmt für den erfolgsverwöhnten FC Bayern langsam aber sicher Gestalt an. Nach dem peinlichen Pokal-Aus gegen den FC Saarbrücken in der zweiten Runde ist nun auch die Meisterschaft endgültig futsch.

Zur Story