Annalena Baerbock (Grüne) hat während ihres Wahlkampfes viele Fehler gemacht. Da gab es Probleme mit einem aufgehübschten Lebenslauf, da gab es vergessene Steuerzahlungen und Meldungen über Nebeneinkünfte. Ihr Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" wurde von einem sogenannten Plagiatsjäger förmlich zerpflückt.
Sie verortete einen Naturpark aus ihrem Bundesland Brandenburg in einem falschen Ort. Und war letztenendes nicht ausreichend auf den harten Wahlkampf ihrer Gegner Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) vorbereitet. Doch offenbar reichte es ihr nun damit. Keine Fehler mehr, keine Flüche in ein noch laufendes Mikrofon, wie es ihr beim Bundesparteitag der Grünen passierte ("Scheiße"). Bei der "ARD-Wahlarena" wollte sie punkten, gut vorbereitet sein, mit Fakten glänzen.
Um 20.15 Uhr begann die Sendung, die die ARD aus Lübeck heraus sendete. 65 Bürgerinnen und Bürger durften anwesend sein, die Kanzlerkandidatin mit Fragen löchern. Das ist das Konzept der Arena: Nicht Journalistinnen und Journalisten stellen die Fragen, sondern eben die Bevölkerung. Und die Themenvielfalt war massiv. In 75 Minuten hatte Baerbock nicht einmal Zeit, einen Schluck Wasser zu trinken. Die Aufregung, die ihr zu Beginn noch ins Gesicht geschrieben war, sie verpuffte innerhalb von Minuten.
Tempolimit 130? Pflegenotstand? Sicherheit? Alltagsrassismus? Verbraucherschutz, Tierwohl und Atomwaffen? Energieversorgung oder Corona und die Folgen für Kinder, Künstlerinnen und Künstler oder auch Impfskeptiker? Selbst das Rentensystem hatte einen Platz in der Fragerunde gefunden – und ausgerechnet diese Frage wurde von einem jungen Mann gestellt, 27 Jahre alt ist er.
Wer das Wahlprogramm der Grünen gelesen hat, der merkte schnell, welche Unterlagen Baerbock zur Vorbereitung auf den Abend nutzte. Klar, es wäre auch peinlich geworden, hätte die Kanzlerkadidatin ihr eigenes Programm nicht auf dem Plan gehabt. Ein Fehler, den beispielsweise CDU-Kandidat Armin Laschet im ARD-Sommerinterview gemacht hatte.
Baerbock gab sich souverän. Kannte ihr Programm, kannte die wissenschaftlichen Fakten. Den "Eisbrecher", wie Moderatorin Ellen Ehni Frage Nummer eins nannte, gab ein Mann zum Besten, der im Außendienst arbeitet. Ob Baerbock als Kanzlerin wirklich das Tempolimit 130 festlegen möchte, wollte er wissen. "Ja", sagte sie. "Das ist das, wofür ich mich starkmachen werde." Und dabei gehe es nicht zwangsläufig nur um den Klimaschutz. Auch das Thema Verkehrssicherheit spiele eine große Rolle. Und außerdem gelte in vielen europäischen Ländern ja auch bereits ein solches Limit.
Sie gab sich bürgernah, blieb nicht starr an ihrem Pult stehen, sondern ging auf jeden Frager, jede Fragerin zu. Wollte auf Augenhöhe mit den Menschen reden. Und versprach auch einigen ihrer Gesprächspartner, dass sie Nummern austauschen, um weiter in Kontakt zu bleiben.
Was die Grünen ändern wollen, wenn sie denn Deutschland nach der Bundestagswahl am 26. September regieren sollten, das nennt deren Kandidatin in ihren Antworten meist recht konkret.
Das alles ist natürlich nur ein Teil des Grünen-Wahlprogramms. Auch die aktuelle Corona-Lage wurde intensiv in der "Wahlarena" diskutiert. Und Baerbock hat wohl auch gelernt, ihren Wahlkampf aggressiver zu führen: Spitzen bekamen etwa Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ab – oder CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn. Auch, als es um den Pflegenotstand ging, der in der Pandemie seinen Höhepunkt gefunden hatte, schoss die Kanzlerkandidatin gegen die aktuelle und seit 16 Jahren regierende CDU.
"Man kann nicht mit dem Finger schnipsen und plötzlich sind die Pflegekräfte da", sagte sie. Man habe bereits vieles auf den Weg bringen wollen, schon vor längerer Zeit. "Jetzt liegt es in der Schublade von Jens Spahn." Doch es müsse eben auch gehandelt werden. "Jetzt, in der Pandemie ist die Zeit, es besser zu machen."