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"Stern TV": RTL begeht großen Fehler bei heftigem Betrugsfall

Steffen Hallaschka führt durch "Stern TV".
Steffen Hallaschka führt durch "Stern TV".Bild: RTL / Stefan Gregorowius
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"Stern TV" deckt heftigen Betrug auf – RTL begeht großen Fehler

22.06.2023, 09:56
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Die "Stern TV"-Reporterin Sophia Maier rennt mit Mikro einer Frau hinterher, die schließt die Tür. "Sie können mich hier nicht einsperren, ich will doch nur mit Ihnen sprechen", hört man Maier durch die Glastür. Maier steht in der Praxis einer inzwischen verurteilten Betrügerin.

Die bayrische Heilpraktikerin Renate G. hat mit einer komplett unwirksamen Zuckerlösung namens BG-Mun Krebspatient:innen um Zehntausende Euro erleichtert. "Gefährliche Scharlatanerie" nennt die Onkologin Jutta Hübner das in der "Stern TV"-Sendung am Mittwochabend. Das Landgericht Ingolstadt hatte vergangene Woche G. zu drei Jahren und ihren Komplizen Ulrich B. zu sechs Jahren und neun Monaten Haft wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt. Beide gehen in Revision.

Opfer wendet sich aus Verzweiflung an "Stern TV"

Eines der Opfer, Susanne Hartung, hatte sich 2019 an "Stern TV" gewandt. "Die Verzweiflung spielt eine große Rolle", sagt die inzwischen an Krebs Verstorbene damals. "Sie greifen nach jedem Strohhalm."

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Auf der Suche danach stieß sie in einer Facebook-Gruppe auf die Heilpraktikerin. Und die versprach das Blaue vom Himmel, so die "Stern TV"-Recherche. Ihr Mittel könne Hepatitis, Aids und Krebs heilen. Wenige Wochen, nachdem Hartung begann, sich BG-Mun zu spritzen, verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Weder H. noch G. äußern sich zu den Vorwürfen.

Kampf gegen die Scharlatanerie

"Der Kampf gegen diese Scharlatanerie hat Sabine viel Kraft gegeben und dass das aufgedeckt wurde, könnte man als Sabines Vermächtnis bezeichnen", sagt Witwer Helmut Hartung. "Stern TV" arbeitet präzise heraus, wie die Verzweiflung Menschen in die Arme des betrügerischen Duos trieb. Die Onkologin Hübner erzählt, "jede Woche" habe sie Patient:innen, denen sie pseudomedizinische Behandlungen ausreden müsse. Sophia Maier war mit versteckter Kamera in G.s Praxis. So hat "Stern TV" die Ermittlungen erst losgetreten.

Die Reporterin gibt sich als Freundin einer Krebspatientin aus, die nach einem Wundermittel sucht. Dort wedelt G. mit einem Stab vor Maiers Händen herum, um herauszufinden, welche Nahrungsergänzungsmittel der Freundin helfen würden. Die Heilpraktikerin behauptet, BG-Mun könne Krebszellen "von innen zerstören", dass die Pharmalobby sich gegen das Mittel verschworen und die Charité es erprobt habe. Alles falsch und die Charité gibt an, nie etwas damit zu tun gehabt zu haben.

Ethisch grenzwertige Berichterstattung

Leider wird in der Sendung der Klarname der Pressesprecherin gezeigt. In Zeiten einer zunehmend gewaltbereiten verschwörungsideologischen Szene grob unverantwortlich der Quelle gegenüber. Auch sonst ist das Vorgehen von Maier und der "Stern TV"-Redaktion fragwürdig. Denn auch Straftäter:innen haben Persönlichkeitsrechte. "Stern TV" nennt beide beim vollen Namen und zeigt G. vor Ihrem Haus in einer Kleinstadt.

Genau diese boulevardeske Berichterstattung nutzten G.s Verteidiger im Prozess: "'Stern TV' sollte mich verblendet haben", schildert Sandra Kloiber die bisher erfolglose Strategie. Die Medizinstudentin sagte als Zeugin im Prozess aus. Ihre Mutter wäre dem Duo ebenfalls beinahe auf dem Leim gegangen.

"Ich kann mir nichts Verwerflicheres vorstellen. Mir fällt nichts ein, was einen Menschen schlechter machen könnte", sagt sie über H., der die Lage ihrer Mutter ausnutzen wollte. H. hat nach Ansicht des Gerichts den Vertrieb von BG-Mun organisiert und sich die Masche ausgedacht. Deshalb auch die deutlich höhere Haftstrafe.

"Ein wichtiges Signal, dass Unrecht klar benannt wird", sagt die Onkologin Hübner über das Urteil. Sie kenne viele solcher Fälle, aber wenige, in denen es zu Verfahren kommt: "Die meisten Opfer sind zu schwach, um sich zu wehren." Ein Strafprozess ist für die Betroffenen oft eine erneute Zumutung, so war es auch in diesem Fall.

Unwürdiger Prozess

"Es war wirklich die reinste Freakshow", sagt Zeugin Kloiber, die vor Gericht wohl mehrfach vom Richter vor der Verteidigung in Schutz genommen werden musste. Witwer Helmut Hartung habe sich als "eiskalter Ehemann" bezeichnen lassen müssen.

Im Zeugenstand musste er sehr private Fragen zu seiner Ehe beantworten. Susanne Hartung wurde unterstellt, sie habe vor ihrem Tod in einer "Parallelwelt" gelebt. Damit wollten die Anwälte den Betrugsvorwurf entkräften, so die "Stern TV"-Darstellung. An die Öffentlichkeit gewandt habe sie sich aus einem "Vernichtungswillen" heraus.

Am Ende war diese Verteidigungsstrategie erfolglos und hat Helmut Hartung "sehr, sehr belastet". Er glaubt zwar nicht, dass die Zeit alle Wunden heile. "Man lernt, damit zu leben", sagt Hartung. Durch das Urteil erhofft er sich, etwas mehr mit seinem Verlust abschließen zu können.

Kein "Tatort" am Sonntag im TV – das wird stattdessen gezeigt

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