Intime Einblicke in Beziehungen weltweit: Was bedeutet "Liebe" für euch?
Jeder, der einmal verliebt war, kennt das Gefühl, dass nur dieser eine Mensch infrage kommt. Schicksalshaft fühlt es sich an. Aber: Was, wenn nicht das Herz darüber entscheidet, wen wir lieben, sondern unser Umfeld? Unsere Kultur?
Diese Frage stellte sich der kroatische Fotograf Davor Rostuhar, als er sich mit Andela verlobte. Gemeinsam beschlossen sie daraufhin, eine Weltreise zu machen und Liebespaare in allen möglichen Ländern zu ihrer Beziehung und den Gefühlen gegenüber ihrem Partner zu befragen.
Das Ergebnis hielten sie in einem Buch fest, welches zeigt: Liebe gibt es wirklich überall. Aber nicht immer sieht sie so aus, wie wir sie in Filmen und Serien darstellen. Davor und Andela begegneten Menschen, die eine Puppe liebten, Menschen, die in wechselnden Beziehungen lebten und Paare, die ihre Beziehung auch gegen den Willen der Gesellschaft verfolgten.
Für watson fragten wir den Fotografen, was er bei seiner Reise über die Liebe gelernt hat, warum wir es im Westen manchmal mit der Romantik übertreiben und stellen fünf Paare mitsamt ihren Geschichten aus dem Buch vor.
Der erste Schritt, um ehrliche Ansichten über die Liebe zu hören? Nicht direkt bewerten. So simpel das klingt, umso schwieriger fällt es den meisten Menschen. "Uns fiel auf, dass konservative Menschen oft sehr argwöhnisch sind, was nicht-normative Liebesformen betrifft, gleichzeitig verurteilen progressive Leute häufig die traditionellen Formen von Beziehungen", berichtet Davor.
Indien
Aber immer, wenn wir ein Lebensmodell bewerten, ignorieren wir dabei "den enormen Einfluss, den die Natur und die Gesellschaft darauf hat, mit wem wir uns zusammentun und warum", sagt Davor. Im Kontext ihrer Umgebung machen ihre Liebesbeziehungen oft sehr viel Sinn. Davor: "Wir sollten viel öfter einfach zuhören, wie andere Menschen Liebe betrachten, anstatt ihre Sicht der Dinge zu verurteilen."
Besonders das Thema Romantik würde sehr unterschiedlich betrachtet. Bei uns, in Europa und Nordamerika, habe die romantische, schicksalshafte Liebe, wie in Hollywood dargestellt, einen Stellenwert erreicht, der sehr ungewöhnlich wäre.
Iran
"Auch wenn Liebe überall auf der Welt existiert, hat es nirgendwo eine derart zentrale Bedeutung für den Selbstwert und Sinn des Lebens, wie wir sie ihr geben", stellte Davor bei seinen Reisen fest. Seine Theorie: Der Glaube an die wahre Liebe sei fast eine Ersatz-Religion geworden.
"Unsere westliche Welt ist sehr extrem, wenn wir über Liebe sprechen. Wir haben die Liebe überhöht und auf ein Podest gestellt, das früher den Göttern vorbehalten war, an die viele nicht mehr glauben", sagt er im Gespräch mit watson.
Saudi-Arabien
Dennoch ist auch er ein Romantiker. Er glaubt, dass er seine Frau Andela auch in einer anderen Kultur geliebt hätte, selbst wenn sie vielleicht aufgrund äußerer Umstände nie ein Paar geworden wären.
"Wenn wir in eine andere Kultur hineingeboren wären, hätten unsere Eltern vielleicht darüber entschieden, wer unser Ehepartner wird. Vielleicht hätten wir niemals über Gefühle gesprochen oder in unserer Sprache nicht einmal ein Wort für die Liebe gehabt", erklärt er. "Vielleicht hätte ich einen Harem gehabt oder Andela hätte auch noch alle meine Brüder geheiratet – Gott sei Dank, habe ich gar keine... Aber das grundlegende Gefühl, das wir füreinander empfinden, die Kraft, die uns so zueinander hinzieht, die wäre vermutlich trotzdem da gewesen."
Namibia
Die zahlreichen Liebesgeschichten, die der Fotograf dokumentiert hat, reichen von Menschen, die sich selbst geehelicht haben, bis zu Kindern, die überzeugt sind, dass sie ihren Spielkameraden auch als Erwachsene noch lieben werden. Es sind Geschichten von Menschen, die ihren bettlägrigen Partner weiter liebevoll durchs Leben begleiten oder einfach nur zufrieden sind, dass ihr Partner sie jeden Tag ernährt.
"Wenn wir lieben, besänftigt das die dunklen Seiten in uns, wir geben der Hoffnung eine Chance und sehen Licht auch in dunklen und gewalttätigen Umgebungen", sagt Davor. Das sei das verbindende Glied, das er überall beobachtet hat. Die Zuneigung von Menschen zueinander sei überall auf der Welt eine Bereicherung. "Durch Liebe ist es möglich, Brücken über die breiten Kluften zu bauen, die uns trennen. "
Kroatien
Seine eigene Liebesgeschichte sei durch die Weltreise und die zahlreichen Gespräche mit anderen Liebenden bereichert worden und gewachsen. "Wir wissen jetzt, dass unsere Liebe zu großen Teilen durch Biologie, Genetik, Kultur, Gesellschaft und unsere persönliche Biografie geprägt wurde", sagt Davor, "aber auch, dass unsere Liebe eine Entscheidung war, das Resultat unseres freien Willens."