Seit Anfang Juni ist die Netflix-Eigenproduktion "Awake" zu sehen. In dem Science-Fiction-Thriller mit Gina Rodriguez, Ariana Greenblatt und Frances Fisher wird den Menschen nach einem globalen Ereignis die Fähigkeit zu schlafen geraubt. Das hat schnell verheerende Auswirkungen – es kommt zu Konzentrationsschwierigkeiten, Halluzinationen und schließlich zu Tumulten und Ausschreitungen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht die Ex-Soldatin Jill, die sich und ihre beiden Kinder vor der Schlaflos-Apokalypse schützen, hinter die Gründe der Situation kommen will – und ums Überleben kämpfen muss. In die Top-10 der deutschen Netflix-Charts hat es der Streifen trotz einiger Kritiken ebenfalls schon geschafft.
Doch wie realistisch sind die gezeigten Ereignisse, die durch Schlaflosigkeit ausgelöst sein sollen, wirklich? Die Schlafexpertin Dr. Verena Senn, Neurobiologin und Head of Sleep Research bei Emma – The Sleep Company, ordnet die Wichtigkeit von Schlaf im Zusammenhang mit "Awake" auf Anfrage der Agentur "Hoschke & Consorten" ein.
Zunächst stellt Frau Dr. Senn fest, dass es gar kein mysteriöses Ereignis wie in "Awake" geben muss, damit Menschen ganz plötzlich die Fähigkeit zu Schlafen verlieren können. "Es gibt tatsächlich eine extrem seltene Erkrankung, die tödliche familiäre Schlaflosigkeit. Sie wird vererbt und tritt meistens im Alter zwischen 30 und 70 Jahren auf."
Die Symptome der Erkrankung seien vielfältig: Neben der Schlaflosigkeit können laut Senn kognitive Beeinträchtigungen, der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, Gewichtsverlust, Schwierigkeiten bei der Bewegungskoordination, Bluthochdruck, Schwankungen der Körpertemperatur und übermäßiges Schwitzen auftreten. Die Schlafexpertin weiter:
Ein weitaus höheres Sterberisiko gehe allerdings von Schlafmangel aus. "So sind beispielsweise etwa 20 Prozent aller schweren Verkehrsunfälle auf Übermüdung zurückzuführen."
In "Awake" geht alles ganz schnell – den meisten Menschen wird es bald unmöglich, ihre Arbeit zu verrichten, sie werden gewalttätig oder halluzinieren. Das alles seien durch intensiven Schlafentzug realistische Folgen, wie Senn weiter ausführt. Als Beleg zieht sie eine Studie des Instituts für Psychiatrie an der Sungkyunkwan University School of Medicine (Seoul) heran, bei der die Auswirkungen von Schlaflosigkeit und belastenden Lebensereignissen auf Wut untersucht wurden.
Es wurden dazu Gruppen an Teilnehmern gebildet, abhängig davon, ob Schlaflosigkeit oder persönliche Krisen in der Vergangenheit vorhanden waren. Das Ergebnis: "Die Wut war bei Personen, die unter Schlaflosigkeit litten, ausgeprägter als bei der Gruppe mit gesundem Schlaf. Diejenigen, die nach belastenden Ereignissen unter Schlaflosigkeit litten, zeigten in allen Wutkategorien höhere Werte als typische Schläfer ohne vergleichbare Erfahrungen."
Eine weitere Studie des Instituts für Psychiatrie der Universität Oxford legt zudem nahe, dass bereits leichte Schlafstörungen "zu einer zwei- bis dreifach erhöhten Wahrscheinlichkeit führen, Halluzinationen zu entwickeln. Bei schwerer Schlaflosigkeit hat sich die Wahrscheinlichkeit vervierfacht", so Senn. Wut und Halluzinationen scheinen also direkt mit Schlafstörungen und -entzug einherzugehen.
Unter anderem versuchen die Menschen in "Awake" schließlich die negativen Begleiterscheinungen ihrer Schlaflosigkeit mit Medikamenten einzudämmen und konzentriert zu bleiben. Auch hier gab es ein real existierendes Vorbild: "Das im Film verwendete Medikament weist Ähnlichkeiten zum Wirkstoff Modafinil auf. Dies ist ein wachhaltender Arzneistoff, der die Müdigkeit vermindert, die Aufmerksamkeit erhöht, die Tagesschläfrigkeit verringert und die Stimmung verbessert", sagt Dr. Senn.
In Europa ist das Medikament zur Behandlung von Narkolepsie zugelassen, allerdings zeigen Studien, dass Modafinil körperlich und geistig abhängig machen kann. Senns Fazit dazu auch deshalb:
Schließlich legt der Film noch eine andere Lösung für das Problem Schlaflosigkeit nahe – künstlich herbeigeführte Bewusstlosigkeit könnte den natürlichen Schlaf ersetzen. Doch das stimme so nicht ganz, wie Dr. Verena Senn erläutert. Der Unterschied zwischen Bewusstlosigkeit und Schlaf sei, dass man beim Schlafen bewusste Erfahrungen sammeln, also träumen kann.
Dabei sei Schlaf auch eine Form der Bewusstlosigkeit, nur eben mit besonderen Eigenschaften, wie verschiedenen Schlafphasen oder der Möglichkeit, schnell wieder aufzuwachen. "Dies ist bei keiner anderen Bewusstlosigkeit zu finden. Die Narkose beispielsweise löst eine dem Tiefschlaf ähnliche Hirnaktivität aus, allerdings in anderen Hirnarealen. Außerdem lassen sich Betroffene nicht so leicht aufwecken", vergleicht Dr. Senn.
Dass Schlaf überlebenswichtig ist, zeigt also "Awake" sehr richtig. Aber nicht nur die Fähigkeit einzuschlafen, sondern auch die Qualität des Schlafes ist von entscheidender Bedeutung. Das heißt, dass alle Phasen des Schlafzyklus durchlaufen werden sollten:
Wie und ob in "Awake" das Problem der plötzlichen, globalen Schlaflosigkeit gelöst wird, kann auf Netflix nachgeschaut werden.
(cfl)