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Medizinstudierende im praktischen Jahr: "Halten es psychisch einfach nicht aus"

Engagiert sich für ein besseres PJ: die angehende Ärztin Florentine Kleemann.
Engagiert sich für ein besseres PJ: die angehende Ärztin Florentine Kleemann.Bild: instagram / fleurbardot
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"Am Ende des Tages wollen alle gute Ärzte haben": Warum das Praktische Jahr besser werden muss und davon alle profitieren würden

11.01.2022, 10:58
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Wer in Deutschland Ärztin oder Arzt werden will, braucht Durchhaltevermögen und gute Noten: Nach dem Bestehen des anspruchsvollen Aufnahmetests folgt ein langes und noch anspruchsvolleres Studium für die Medizinstudentinnen und -studenten, das mit dem Praktischen Jahr und dem letzten Staatsexamen endet. Dieses Praktische Jahr (PJ) sollte eigentlich ein Highlight für die Studierenden sein, in dem sie all die praktischen Fertigkeiten lernen, die sie im Arztberuf künftig anwenden müssen. Doch viele sind von dieser Erfahrung bitter enttäuscht, wie bereits der Medizinstudent Timo aus Sachsen-Anhalt für watson berichtete.

Statt möglichst viel in diesem Praktischen Jahr zu lernen, würden die Studierenden als billige Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten eingesetzt, während der Pandemie oft auch auf der Corona-Station, erzählte Timo. Für den anstrengenden Vollzeitjob gebe es auch höchstens eine Aufwandsentschädigung, die meist unter dem Mindestlohn liege. Auf diesen Bericht folgte eine hitzige Diskussion zwischen Menschen, die die Forderungen der "zukünftig reichen Ärzte" überzogen fanden und solchen, die dagegen hielten. Das Praktische Jahr polarisiert – Grund genug für watson, da einmal genauer hinzuschauen. Ist die Qualität des Praktischen Jahres in Deutschland wirklich so schlecht und wenn ja, warum?

Das Praktische Jahr (PJ)
Das PJ ist der letzte von insgesamt drei Teilen des Medizinstudiums. Diesem vorangegangen sind im Studium bereits Vorklinik und Klinik. Wenn das Praktische Jahr erreicht ist, sind die ersten zwei Examen bereits geschafft und die erworbenen theoretischen Kenntnisse sollen innerhalb eines Probejahres in der Praxis angewandt werden.

Das Praktische Jahr muss man sich erst einmal leisten können, sagt die angehende Ärztin Florentine Kleemann, die auf Instagram unter dem Namen fleurbardot zu finden ist. Dort informiert sie aus medizinischer Sicht über Corona-Themen und engagiert sich für ein besseres PJ. Sie sagt im Gespräch mit watson: "Es ist ja nicht so, dass im Studium die Mehrheit der Studierenden aus wohlhabenden Haushalten kommen oder aus einer Ärztefamilie. Das sind nur diese ganz klassischen Klischees."

Die Medizinstudentin, die selbst kurz vor dem PJ ist, schmerzen solche hasserfüllten Kommentare, auch wenn sie sie inzwischen gewohnt ist: "Das zeigt mir, dass viele Leute in der Gesellschaft noch nicht verstanden haben, womit der Arztberuf einhergeht und mit welcher Arbeitsbelastung." Gerade während der Corona-Pandemie hörte sie oft Kommentare wie: 'Jetzt heult nicht rum, ihr habt euch doch den Beruf so ausgesucht, da muss man auch damit umgehen können.'

"Das PJ ist für mich die letzte Chance, wirklich guten persönlichen Kontakt zu Patientinnen und Patienten zu bekommen."
Medizinstudentin Florentine Kleemann gegenüber watson

Das PJ ist wichtig, um ein guter Arzt zu werden

"Das PJ ist für mich die letzte Chance, wirklich guten persönlichen Kontakt zu Patientinnen und Patienten zu bekommen und zu lernen: Wie ist das wirklich, was ich theoretisch gelernt habe?", sagt Florentine. In der Realität werde man im Praktischen Jahr aber aufgrund der Gegebenheiten im Gesundheitssystem wie extremen Personalmangel und finanzieller Knappheit von vielen Kliniken aber oft ausgenutzt und die Lehre bleibe auf der Strecke.

"Wenn ich natürlich drei Monate nur Blut abnehme, dann habe ich von dem Wahlfach nichts gehabt."
Sergiu Doniga, Erfinder des Zertifikats "Faires PJ", gegenüber watson

"Wenn man nur benutzt wird für Blutabnahmen oder das Ausfüllen des Abschlussdokuments, also die Epikrise, und mehr ein Gehilfe ist, als tatsächlich gelehrt zu bekommen, wie man als Arzt später arbeiten muss, dann finde ich das schon schwierig." Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sagt auf Anfrage von watson zu den Vorwürfen: "Auch Tätigkeiten wie Blutabnehmen dienen dem Ausbildungsziel."

"Faires PJ" als Qualitätssiegel

Einfache Tätigkeiten wie Blutabnehmen sind auch nach Sergiu Donigas Überzeugung eine Fertigkeit, die Studenten lernen müssen – auch wenn es keinen Spaß macht. Er ist Arzt und Geschäftsführer bei Ethimedis, einem Karrierenetzwerk für Ärztinnen, Ärzte, Medizinstudierende und Kliniken in Deutschland. Zusammen mit der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (BVMD) erfand er 2018 außerdem das Zertifikat "Faires PJ", das 13 Kriterien umfasst.

"Am Ende des Tages wollen alle gute Ärzte haben."
Florentine Kleemann, Medizinstudentin, gegenüber watson

Das Zertifikat soll als Qualitätssiegel für Kliniken dienen, damit Medizinstudentinnen und -studenten von vornherein sehen, welche Rahmenbedingungen sie im Praktischen Jahr erwarten. Der Facharzt für Augenheilkunde wendet im Gespräch mit watson jedoch ein: "Wenn ich jetzt natürlich drei Monate nur Blut abnehme und die anderen Facetten des Fachbereichs nicht kennenlerne, dann habe ich von dem Wahlfach nichts gehabt." Stattdessen sollte es am besten eine Rotation in den verschiedenen Fachabteilungen der Klinik geben, um möglichst viel zu lernen: von der Ambulanz bis zum OP.

Die beiden Gründer des "Faires PJ" Zertifikat: Sergiu Doniga (li.) und Jonas Kohl (re.)
Die beiden Gründer des "Faires PJ" Zertifikat: Sergiu Doniga (li.) und Jonas Kohl (re.)privat

Florentine sagt, ihr und auch den anderen sei die Qualität der Lehre eigentlich viel wichtiger als Geld. Ihr Fokus sei, für Menschen da zu sein und die bestmögliche Behandlung anzubieten. "Das kann ich aber nur, wenn ich die bestmögliche Ausbildung bekomme.". Doch die Bedingungen dieses Ausbildungsteils im Medizinstudium stimmen derzeit für viele Studentinnen und Studenten nicht. Dies zeigen auch viele PJ-Berichte auf der Ethimedis-Website.

Das Praktische Jahr: Vollzeitarbeit ohne Mindestlohn

Ein häufiger Vorwurf ist die geringe Bezahlung im Praktischen Jahr. Denn obwohl Geld nicht das wichtigste ist, müssen die Studierenden ein Jahr lang finanziell über die Runden kommen. Das Gehalt im PJ ist laut Gesetz an das Bafög gekoppelt, eine Mindestgrenze gibt es nicht, dafür einen Maximalbetrag. Aktuell beläuft sich dieser laut Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit auf 752 Euro. Zu dieser Lohngrenze zählen auch Sachleistungen, die Studierende erhalten. Warum es eine Lohn-Obergrenze gibt? Der Wettbewerb der Kliniken um die besten Köpfe im PJ solle nicht über die Höhe der finanziellen Zuwendungen, sondern über die Qualität der Ausbildung geführt werden, beantwortet das Bundesministerium die Frage von watson nach den Gründen für die schlechte Bezahlung.

"Vielerorts ist die Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr völlig unzureichend, zum Teil werden die Studierenden mit kostenloser Mittagsverpflegung oder Unterkunft abgespeist."
Pauline Graichen, Vorsitzende des Sprecherrates der Medizinstudierenden im Marburger Bund, gegenüber watson

Auch, warum es keinen Mindestlohn für Studierende im Praktischen Jahr gibt, kann der Sprecher des Bundesministeriums für Gesundheit beantworten: "Das Praktische Jahr (PJ) ist Bestandteil des Medizinstudiums und dadurch gekennzeichnet, dass die Studierenden in dieser Zeit im Status von Studierenden bleiben und gerade nicht zu Auszubildenden im arbeitsrechtlichen Sinne werden."

Ein bisschen Verständnis hat Sergiu Doniga für diese Argumentation sogar.

"Man muss beachten, dass das PJ immer noch ein Praktikum ist, ein Teil des Studiums, welches dazu dient, das theoretische Wissen in praktisches Handeln umzusetzen. Aber es ist skurril, eine Lohn-Obergrenze zu setzen. Eigentlich müsste der Gesetzgeber viel mehr reglementieren und kontrollieren. Und das nicht nur in Bezug auf die Vergütung, sondern vor allem auch auf die Qualität der Ausbildung."

Der Marburger Bund, der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands, befürwortet eine Verbesserung für Medizinstudierende im PJ: "Vielerorts ist die Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr völlig unzureichend, zum Teil werden die Studierenden mit kostenloser Mittagsverpflegung oder Unterkunft abgespeist", sagt Pauline Graichen, Vorsitzende des Sprecherrates der Medizinstudierenden im Marburger Bund auf Anfrage von watson. Medizinstudierende seien daher oft dazu gezwungen, ihren Lebensunterhalt – zusätzlich zu einem Praktischen Jahr in Vollzeit – durch andere Tätigkeiten zu finanzieren. Dadurch würden insbesondere finanziell weniger leistungsfähige Studierende in ihren Ausbildungschancen auf unverantwortliche Weise benachteiligt.

Kliniken dürfen ihre Studenten oft nicht bezahlen

Die Medizinstudentin Florentine Kleemann kennt diese Diskussion und die finanziellen Probleme der Kliniken: Die schlechte Bezahlung könne man den Kliniken oft noch nicht einmal vorwerfen. "Das ist einfach ein Fehler im System. Wenn das Geld nicht da ist, kann man es den Leuten nicht zahlen, so gerne man möchte", sagt sie. Den meisten sei es ihrer Kenntnis nach auch "extrem unangenehm, dass sie nur eine Suppe oder so anbieten können und nicht mal 450 Euro" als Bezahlung. Aber denen seien "teilweise die Hände gebunden, finanziell gesehen."

Auch die Charité, eine der größten Universitätskliniken Europas, gibt auf Nachfrage von watson an, Studentinnen und Studenten nichts für das Praktische Jahr zu bezahlen, weil es "Teil des Studiums der ärztlichen Ausbildung" ist. Und das, obwohl die "Aktivitäten der PJler und PJlerinnen auf den Stationen sehr geschätzt werden" und zu den Anforderungen gehört, "sich unter realen Arbeitsbedingungen den Aufgaben als künftige Ärztin beziehungsweise künftiger Arzt zu stellen."

Das Universitätsklinikum Charité umfasst in Berlin einige akademische Lehrkrankenhäuser.
Das Universitätsklinikum Charité umfasst in Berlin einige akademische Lehrkrankenhäuser.Bild: iStock Editorial / katatonia82

Das Universitätsklinikum Ulm wiederum erstattet eine PJ-Aufwandsentschädigung in Höhe von 649 Euro brutto monatlich. "Aufgrund der Corona-Pandemie erhalten die PJ-Studierende derzeit außerdem 151 Euro brutto monatlich mehr, also insgesamt 800 Euro", teilt Nina Schürer, stellvertretende Leiterin des Klinikums, gegenüber watson mit. Das UKU gehört damit nach eigenen Angaben zu denjenigen Kliniken in Deutschland, die aktuell eine der höchsten Aufwandsentschädigungen bieten.

"Die Krankenhäuser sagen jetzt: 'Okay, wir zahlen nur 200 Euro, aber zusätzlich zahlen wir noch einen Bücher-Gutschein im Wert von 400 Euro.'"
Sergiu Doniga, Gründer von "Faires PJ", gegenüber watson

Laut Gesundheitsministerium variiert die Höhe der gewährten Geld- und Sachleistungen unter den Universitätskliniken und Lehrkrankenhäusern und erfolgt auf freiwilliger Basis. Doch ganz so freiwillig ist das nicht immer: Gerade Lehrkrankenhäusern dürfen den Medizinstudenten oft gar kein Geld bezahlen, erklärt Sergiu Doniga die Sachlage.

"Uns liegen Informationen vor, dass es Universitäten gibt, die den Lehrkrankenhäusern vorgeben, wie hoch die Vergütung für die PJ-ler maximal sein soll. Wenn Lehrkrankenhäuser dies missachten, droht die Aberkennung des Status als Lehrkrankenhaus. Das möchte natürlich kein Lehrkrankenhaus riskieren."

Diese absurde Regelung habe dazu geführt, dass die Lehrkrankenhäuser im Kampf um gute Studentinnen und Studenten erfinderisch wurden, berichtet er:

"Die Krankenhäuser sagen jetzt: 'Okay, wir zahlen nur 200 Euro, aber zusätzlich zahlen wir noch einen Bücher-Gutschein im Wert von 400 Euro und noch dies und das im Wert von 300 Euro, damit die das umgehen. Es ist politisch und rechtlich sehr, sehr heikel."

"Das ist einfach ein unglaubliches Lern- und Arbeitspensum"

Der Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKGEV) verweist darauf, Studenten könnten sich in den Krankenhäusern als Hilfskräfte im Pflegedienst engagieren. Dazu können sie – zusätzlich zum PJ – einen Arbeitsvertrag mit einem Krankenhaus abschließen. Und hier gelte auch der Mindestlohn." Auf Nachfrage bei Sergiu Doniga, Mitgründer von "Faires PJ" Zertifikats, der selber das PJ absolvierte, entgegnet dieser lachend: "Ob das zeitlich möglich wäre? Hier stellt sich die Frage: Wie viel Zeit braucht der Mensch zum Schlafen?"

Florentine Kleemann sagt, sie glaube nicht, dass sich jemand von außerhalb vorstellen könne, wie intensiv das Medizinstudium und vor allem das Praktische Jahr sei. "Das ist einfach ein unglaubliches Lern- und Arbeitspensum. Und klar, man hat sich das ausgesucht. Aber das begrenzt auch die Möglichkeit, parallel noch irgendwas beruflich zu machen."

"Es gibt Studierende, die gehen dann in der Woche arbeiten und am Wochenende wieder arbeiten. Das ist einfach körperlich totaler Mist."
Medizinstudentin Florentine Kleemann gegenüber watson

Einige junge Menschen sind jedoch trotz der immensen Belastung darauf angewiesen, neben ihrem Studium zu arbeiten, um sich zu finanzieren. Zu Sergiu Donigas Studienzeiten gab es gar keine PJ-Vergütung und er musste während seines Medizinstudiums kellnern: "Nach meinem PJ bin ich Freitagnachmittag um 17 Uhr in die Bar und habe bis morgens um sechs gearbeitet, um am Samstag und Sonntag mittags aufzustehen und mich für mein PJ vorzubereiten", erzählt er watson. "Eine adäquate Vergütung sollte dafür sorgen, dass man das nicht machen muss, dass man sich auf sein Studium konzentriert."

Auch Florentine Kleemann kennt das von Kommilitonen und Kommilitoninnen: "Es gibt Studierende, die gehen dann in der Woche arbeiten und am Wochenende wieder arbeiten", erzählt sie watson. "Das ist einfach körperlich totaler Mist. Ich meine, das Wochenende soll ja dafür da sein, um vielleicht noch mal nachzulesen, wenn man irgendwas nicht richtig verstanden hat und auch um mal runter zu kommen, aber das geht dann einfach nicht."

Mehr Transparenz könnte die Lösung sein

Eine Veränderung dieses Missstands kann nach Überzeugung des Gründers von "Faires PJ-Zertifikat" deshalb nur funktionieren, "wenn man Transparenz schafft und nicht, indem wir die Kliniken an den Pranger stellen". Doniga schlägt vor, dem Markt die Steuerung zu überlassen. "Wenn ich als Klinik sage, ich biete keine Vergütung an, besitze kein PJ-Curriculum, ein PJ Mentor ist für meine Klinik ebenfalls nicht notwendig genau wie PJ-Unterricht und neben mir ist eine Klinik, die aber all diese Punkte zusichert, dann muss ich damit rechnen, dass die besseren Medizinstudenten da hingehen und ich mit dem Rest arbeiten muss", erklärt er seinen Ansatz.

Somit würden diejenigen mit guten Bedingungen entsprechend belohnt und die mit schlechten Bedingungen bestraft. Dies ist beispielsweise auch das Ziel, dass das Logbuch von "Faires PJ" verfolgt: Dort können Medizinstudentinnen und -studenten Daten über die Arbeitsbedingungen in ihrer Klinik eintragen: Gibt es ein PJ-Curriculum? Wie sind die Arbeitszeiten, die Fehlzeiten, das Gehalt und die Lehre? Derzeit sind über 2500 Klinken mit dem Logbuch erfasst, zwischen 200 und 300 haben bereits ein "Faires PJ"-Zertifikat erworben.

"Das ist eine wahnsinnig gute Methode, um seinen Mentor erst mal damit zu konfrontieren: Wie ist denn meine PJ-Ausbildung? Ich kann das selber monitoren und sagen: Bin ich auf Kurs? Bin ich zufrieden oder nicht?", erklärt Doniga. Ein weiterer Vorteil sei es, dass man am Ende des Tertials seinen Logbericht auch ausdrucken und als PJ-Zeugnis dem Chef zum Unterschreiben geben könne. "Damit habe ich auch eine Möglichkeit, die Ausbildung aktiv zu steuern und Prozeduren und Routinen auch aktiv einzufordern."

Vom PJ-Logbuch sowie dem Zertifikat profitiert man aber nicht nur selbst, sondern auch andere Medizinstudentinnen und -studenten. Diese könnten das Dokument nutzen, um zu schauen, was sie in der jeweiligen Klinik im PJ erwarte und was für sie am besten passe. Denn es gibt laut Doniga mittlerweile auch viele Kliniken, die wirklich gute Rahmenbedingungen böten. Nur würden die von den PJlern nicht bemerkt, wenn eine Übersicht fehle.

Klinikalltag für Medizinstudierende: Kein Spind und kein Kittel

Bei den Rahmenbedingungen des Praktischen Jahrs ist es nicht nur das geringe Gehalt, das die Studierenden stört. Es fängt schon bei Kleinigkeiten an, wie die Studentin Florentine Kleemann berichtet:

"Die ganze Studierendenschaft hat dafür gekämpft, dass wir einen Spind und einen Arztkittel von der Klinik gestellt bekommen. Das ist das Mindeste, was man erwarten würde. Aber das wird in vielen Kliniken nicht gemacht. Es gibt in Deutschland sehr, sehr viele Kliniken, die einen sozusagen als billige Arbeitskraft benutzen 'müssen'. Und das ist ja nicht Sinn und Zweck davon. Am Ende des Tages wollen alle gute Ärzte haben."

Und das, obwohl die Kliniken auf die Unterstützung der Medizinstudentinnen und -studenten angewiesen sind: "Ich glaube, wenn man von heute auf morgen die PJler wegstreichen würde, könnten das die Kliniken tatsächlich nicht kompensieren. Die PJ-Studierenden sind für die von ihnen übernommenen Aufgaben in der Klinik fest eingeplant und somit eine unerlässliche Arbeitskraft", lautet die Einschätzung von Sergiu Doniga.

Medizinstudierende demonstrieren für ein Praktisches Jahr zu fairen Konditionen.

Eine Konsequenz davon, dass diese grundlegende Ausbildung im Praktischen Jahr häufig nicht passiert, sieht Florentine Kleemann darin, dass viele Medizinstudentinnen und -studenten wegen der schlechten Arbeitsbedingungen wegziehen: "Gerade im PJ ist es super attraktiv, ins Ausland zu gehen. Man wird voll eingebunden im Team, man kriegt extrem gute Lehrer, man kriegt ein supergutes Gehalt." Viele würden dann nach ihrer praktischen Erfahrung einfach bleiben.

"Wenn man wenigstens die gute Lehre hätte, würde man glaube ich auch verhindern, dass viele ins Ausland gehen."
Florentine Kleemann gegenüber watson

Zum Beispiel in Österreich oder in der Schweiz. Dort sei die Bezahlung besser und die Medizinstudenten seien quasi wie ein Unterassistent des Teams und bekämen auch Verantwortung übertragen. Außerdem sei die Lehre und die Unterstützung viel besser, in dem beispielsweise eine Unterkunft für die Studierenden zur Verfügung gestellt werde. "Das ist natürlich absolute Utopie und finanziell gesehen ist es auch in Deutschland nicht umsetzbar. Aber wenn man wenigstens die gute Lehre hätte, würde man, glaube ich, auch verhindern, dass viele ins Ausland gehen", sagt Kleemann im Gespräch mit watson.

Krankentage werden von den freien Tagen abgezogen, Urlaub gibt es nicht

Neben der schlechten Lehre und schlechter Bezahlung sorgt vor allem bei den Studenten für Verärgerung, dass sie oft keine Krankentage haben und diese von ihren freien 30 Tagen abgezogen werden. Das Gesundheitsministerium begründet dies damit, dass es sich beim PJ um Studienzeit handelt. Somit sind auch die vorgesehenen Fehltage keine Urlaubstage in einem arbeitsvertraglichen Sinne. "Sinn und Zweck der Beschränkung der Fehltage ist es vielmehr, sicherzustellen, dass das Ausbildungsziel erreicht wird, indem die Studierenden für eine Mindestzahl an Tagen im PJ anwesend sein müssen", äußert sich der Sprecher des Ministeriums gegenüber watson.

"Irgendwann kommt der Tag, an dem man die volle Verantwortung hat und da muss man dann auch seelisch stabil sein."
Angehende Ärztin Florentine Kleemann gegenüber watson

Dafür hat die junge Medizinstudentin kein Verständnis, gerade wenn man als Studierender auf der Corona-Stationen arbeiten muss und sich infiziert: "Das kann es ja auch irgendwo nicht sein, dass man für 'n Appel und 'n Ei Corona-Patienten pflegt und dann selber erkrankt, das wird einem selber dann auch noch angekreidet", sagt sie im Gespräch mit watson und erklärt, warum diese freien Tage so wichtig sind, die "sich alle so gut es geht bis zum Ende aufsparen" aus Angst vor einer längeren Erkrankung. "Aber man braucht die freien Tage eigentlich, um die Zeit zu nutzen, um für das dritte Staatsexamen zu lernen", sagt Kleemann.

Doch wird "die zulässige Anzahl an Fehltagen überschritten, muss der Ausbildungsabschnitt wiederholt werden", wie das Bundesministerium für Gesundheit auf Anfrage von watson angibt. Offiziell heißt es dort, dass laut Verordnung Fehlzeiten aufgrund von Corona-Quarantäne nicht mit den 30 Tagen verrechnet würden: "Damit können durch COVID-19 verursachte Fehltage wieder unabhängig von den regulären Fehltagen berücksichtigt werden", heißt es als Antwort an watson. Die Frage bleibt offen, ob diese Regelung auch in den Krankenhäusern Anwendung findet. "Tagtäglich werden wir mit dieser Problematik konfrontiert! Ein Missbrauch der Regelung ist absolut nicht zielführend", erzählt Doniga gegenüber watson.

Viele Medizinstudierende sind psychisch überfordert

Die von vielen Medizinstudierenden geäußerte Kritik am Praktischen Jahr in Deutschland habe auch nichts mit Jammern zu tun, findet Florentine Kleemann:

"Es ist einfach ein wichtiger Abschnitt im Medizinstudium, wenn nicht sogar der Wichtigste. Man muss alles anwenden, was man einmal gelernt hat und ein Jahr lang quasi auf Probe Ärztin sein. Und dann möchte man das natürlich auch gut machen und nicht körperlich, psychisch total am Ende sein und bangen, dass man überhaupt zum Dritten Staatsexamen zugelassen wird, weil man eigentlich schon so viele Kranktage hat."

Denn "irgendwann kommt der Tag, an dem man die volle Verantwortung hat und da muss man dann auch seelisch stabil sein." Und da sieht Kleemann ein großes Problem. "Es gibt viele, die halten es psychisch einfach nicht aus, wenn diese Belastung plötzlich auf sie einprasselt." Gerade angesichts des Ärztemangels "sind das wieder Leute, die gehen verloren im System und dann dreht man sich irgendwie im Kreis."

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