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WM 2022: Die große Lüge der Klimaneutralität und wie Katar sie umschifft

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Das Stadion mit dem Namen Stadium 974 ist modular und soll auf- und abbaubar sein. Bild: www.imago-images.de / imago images
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Die WM 2022 und die große Lüge der Klimaneutralität: Wie Katar diese galant umschifft

18.11.2022, 17:00
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Eine Fußballweltmeisterschaft in einem Wüstenstaat zu veranstalten, in dem es bis dato keine nennenswerte Infrastruktur gibt, was Stadien, Trainingsstätten und Unterkünfte angeht? Das wirkt auf den ersten Blick wie kein besonders nachhaltiges Konzept. Doch obwohl letztendlich acht Fußballstadien gebaut wurden, von denen auch noch sieben klimatisiert werden müssen, und es täglich bis zu 160 Pendelflüge von und in umliegende Emirate geben soll, bezeichnet der Ausrichter Katar die WM 2022 als klimaneutral.

Und auch Fifa-Präsident Gianni Infantino beteuerte im Juni: "Die Fifa trägt ihren Teil dazu bei, dass die Weltmeisterschaft in Katar 2022 klimaneutral ist." Es wäre die erste jemals – ausgerechnet im Wüstenemirat.

"Es stellt sich die Frage, was die Bewohner Dohas nach Ende der Weltmeisterschaft mit drei riesigen Stadien in ihrer Stadt anfangen sollen."

Das ist nur schwer zu glauben, finden viele. Watson hat mit Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe über die vermeintliche Nachhaltigkeit bei dieser WM gesprochen.

Thomas Fischer ist Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe.
Thomas Fischer ist Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe.bild: Heidi Scherm

In Katar werden verschiedene Kompensationsmaßnahmen ergriffen, um den massiven Energieverbrauch und den damit einhergehenden Ausstoß von CO₂ auszugleichen. Es sei jedoch bereits der falsche Ansatz, wenn man diese Emissionen vorher willentlich in Kauf nimmt, erklärt Thomas Fischer: "Das Credo lautet: Unvermeidbare Emissionen kompensieren, vermeidbare Emissionen vermeiden. Das ist aber bei der WM in Katar nicht der Fall." Und weiter: "Man kann die WM in Katar nicht guten Gewissens als klimaneutral bezeichnen."

WM 2022: Umwelthilfe kritisiert zu viele Stadien auf engem Raum

In insgesamt acht Stadien werden die WM-Spiele ausgetragen. Acht Stadien mit einer Kapazität von bis zu 80.000 Zuschauern in einem Land, das nur etwa halb so groß wie Mecklenburg-Vorpommern ist: Diese Rechnung geht kaum auf. Thomas Fischer ist überzeugt: "Es ist ein Überangebot von Stadien."

"Die Stadien sind sehr modern und effizient. Aber das steht natürlich in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, diese Stadien zu bauen", erklärt er weiter. Das Prestige-Stadion in Doha, das Stadium 974, das aus 974 recycelten Containern besteht, soll nach der Weltmeisterschaft in Katar abgebaut werden und danach in Afrika wieder aufgebaut werden. Der Energie-Aufwand, der durch den Auf- und Abbau entsteht, ist jedoch kaum als nachhaltig zu bewerten.

Und überhaupt: Braucht es acht Stadien? Allein vier Stadien gibt es in Katars Hauptstadt Doha, diese sind teilweise nicht einmal 10 Kilometer, also eine Autofahrt von knapp 15 Minuten im Stadtverkehr, voneinander entfernt. Es stellt sich die Frage, was die Bewohner Dohas nach Ende der Weltmeisterschaft mit vier beziehungsweise drei riesigen Stadien in ihrer Stadt anfangen sollen.

In Katar spielte Fußball zuvor keine große Rolle, es gab keine Fankultur, wie man sie aus anderen Ländern kennt. Aus diesem Grund mussten Ressourcen aktiviert werden, um Stadien und überhaupt eine Infrastruktur für Straßenverkehr und beispielsweise Hotels aufzubauen. Neben den Stadien wurden auch Trainingsstätten und -gelände für die Mannschaften komplett neu gebaut.

WM 2022: Chaotische Infrastruktur für Fans

Doch selbst die neu gebauten Hotels und Trainingsstätten bieten nicht genug Platz. Täglich wird es bis zu 160 Pendelflüge zwischen den benachbarten Emiraten und Katar geben, da Katar selbst nicht über genügend Unterkünfte für die Teams und die Touristen verfügt.

"Die Lösung mit den Pendelflügen ist nicht überraschend, da Qatar Airways einer der Sponsoren der WM ist. Katar möchte sich selbst und seine Wirtschaftsunternehmen in den Vordergrund stellen und präsentieren", sagt Thomas Fischer. Es wäre umweltfreundlicher gewesen, den Verkehr mit Zügen, E-Bussen oder E-Autos zu organisieren. Die Kurzstreckenflüge seien eine umweltschädliche Option. Laut Carbon Market Watch machen die An- und Abreisen zum und vom Turnier sogar mehr als die Hälfte der ausgestoßenen Emissionen aus.

WM 2022: Katar pflanzt Bäume "für das Gewissen"

Zehntausende Bäume, Sträucher und Rasen sollen in Katar als Ausgleich für die durch die Fußball-WM entstandenen Emissionen gepflanzt werden. Fischer bewertet diese Maßnahme kritisch:

"Das Anpflanzen von Bäumen ist ein Scheck, der in der Zukunft eingelöst wird. Heute gepflanzte Bäume werden erst in Jahrzehnten nennenswerte Mengen CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen. Das CO₂, das heute ausgestoßen wird, wirkt sofort. Unumkehrbarer Kipppunkte des Klimas könnten bereits in wenigen Jahren erreicht werden."

Es ist zudem fraglich, was mit den Setzlingen in einigen Jahrzehnten sein wird. Durch den Klimawandel kommt es heute bereits zu Dürren, starken Hitzeperioden und Überschwemmungen.

Sandstorm in the desert of Qatar, Middle East
Sandstürme und Trockenheit in Katar werden den Baum- und Strauchsetzlingen das Überleben vermutlich schwer machen.Bild: Anna Opoleva

Erschwerend kommt hinzu, dass Katar kaum über Grundwasser und auch wenig Oberflächenwasser verfügt. Das meiste Wasser, das in Katar gebraucht wird und mit dem auch die Setzlinge gegossen werden sollen, ist Meerwasser. Das wird jedoch erst durch aufwendige Entsalzungsverfahren gewonnen. Dieses Vorgehen wiederum erfordert viel Energie, die ausschließlich aus fossilen Energieträgern bezogen, die Katar so reich gemacht haben.

"Nichts anderes als ökologischer Ablasshandel"
Thomas Fischer, Deutsche Umwelthilfe

"Das CO₂, das heute ausgestoßen wird, wirkt sofort", mahnt Fischer von Deutschen Umwelthilfe. Die meisten Kompensationsmaßnahmen, die getroffen würden, wirken erst in der Zukunft, oftmals eben erst in mehreren Jahrzehnten. "Das ist nichts anderes als ein ökologischer Ablasshandel", bilanziert Fischer.

Fossile Energien statt Solarenergie: "Katar ist Selbstversorger"

In Katar herrschen theoretisch beste Bedingungen, um nachhaltige Energie durch Solarpanels zu produzieren. Durchschnittlich scheint die Sonne in der katarischen Hauptstadt Doha rund neun Stunden pro Tag. Zum Vergleich: In Deutschland ist es nur circa die Hälfte mit durchschnittlich 4,6 Sonnenstunden. Trotzdem verlässt sich Katar weitgehend auf klimaschädliche, fossile Energieträger. Thomas Fischer erklärt, wieso:

"Solarenergie wird kaum genutzt, weil Öl und Gas vor Ort massenhaft vorhanden sind. Katar ist einer der größten Lieferanten für Erdöl und somit Selbstversorger. Und solange ihnen das Öl nicht ausgeht und nichts anderes vorgeschrieben wird, nutzen sie es auch. Das ist dort die Sichtweise."

WM 2022: Getränke in Einweg-Plastikbechern

Ein weiterer großer Kritikpunkt, auf den Fischer hinweist, ist das Verwenden von Einweg-Plastikbechern. Selbst bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wurden bereits Mehrwegbecher verwendet. Im heißen Wüstenklima Katars werden die Zuschauer viel trinken müssen. "Das ist so offensichtlich unökologisch: Da kann man nicht behaupten, es sei eine umweltfreundliche Veranstaltung. Das ist sie einfach nicht."

Trotz allem bestehen die katarischen Verantwortlichen darauf, dass das Turnier klimaneutral sei. "Kein anderes Land hat so intensiv mit seinen Bürgern zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass nach der FIFA-Weltmeisterschaft ein nachhaltiges Erbe hinterlassen wird", heißt es in einem offiziellen Statement.

Katar ist nicht die erste Weltmeisterschaft, die in der Kritik steht. Auch in Brasilien und Südafrika wurden einige Stadien neu und nur für den Zweck der Fußball-WM gebaut. Waren frühere Turniere also wirklich klimafreundlicher?

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"In Brasilien gibt es zumindest eine Fußballkultur. Das Maracanã-Stadion wurde damals saniert und das war sicherlich sinnvoller als das, was in Katar geschehen ist. In Brasilien wurde nicht alles neu gebaut und viele Stadien sind heute noch voll. In Katar kommen kaum 1.000 Leute zu einem Ligaspiel zusammen", erklärt Thomas Fischer.

In Zukunft müsse noch stärker darauf geachtet werden, sportliche Großereignisse wirklich klimaneutral abzuhalten. Eine sinnvolle Möglichkeit, zukünftige Großveranstaltungen klimafreundlicher zu gestalten, wäre beispielsweise, dass sich mehrere Länder zusammenschließen und so die Kosten teilen. Die Austragungsorte sollten in Grenznähe liegen und somit könnten die Transportwege kurz gehalten werden.

Die nächste Weltmeisterschaft findet 2026 tatsächlich in drei Ländern statt: Mexiko, Kanada und die USA werden die Gastgeber sein. Bestehende Infrastruktur müsse genutzt und vermeidbare Emissionen eben tatsächlich: vermieden werden.

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