Erst ausgenutzt, nun zur Arbeit gezwungen? Pfleger über geplantes Pandemie-Gesetz in NRW
Noch nie wurde der Notstand von medizinischem Fachpersonal so deutlich wie aktuell in der Corona-Krise: Vor allem Pflegekräfte machen zahlreiche Überstunden, sind oft unterbezahlt und verfügen teilweise nicht einmal über Atemmasken oder Schutzkleidung.
Nordrhein-Westfalen ist mit einer besonders hohen Zahl von Corona-Fällen deutschlandweit am stärksten betroffen. Um für zukünftige medizinische Krisen gewappnet zu sein, will Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) deswegen am Donnerstag ein neues Pandemie-Gesetz durch den Landtag bringen.
Pfleger und Ärzte in NRW könnten "zwangsrekrutiert" werden
Ein Teil des Gesetzes sieht vor, dass medizinisches Personal in Notlagen zur Arbeit verpflichtet werden kann. Laut Laschet gehe es darum, das Land in einer Krise handlungsfähiger zu machen.
Dass allerdings systemrelevante Berufe, die während solcher Zeiten besonders wichtig sind, von den Folgen des Gesetzesentwurfs getroffen werden könnten, ist bereits in Kritik geraten, auch vonseiten der SPD-Opposition in NRW: Die "Zwangsrekrutierung" von medizinischem Personal müsse aus dem Gesetzentwurf herausgestrichen werden, sagte Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty am Dienstag dem Radiosender WDR 5.
Diese Korrekturen hatte die Opposition gefordert. Die SPD hatte angekündigt, dem Gesetz nur zustimmen, wenn Zwangsverpflichtungen von medizinischem Personal gestrichen würden. Auch Rechtsexperten hatten bei diesem Punkt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit geäußert.
Die Fraktionsspitzen von CDU, FDP, SPD und Grünen verhandelten seit Mittwochnachmittag über Korrekturen an dem Gesetz. Es soll am Donnerstag in einer Landtags-Sondersitzung verabschiedet werden. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) möchte eine möglichst einstimmige Verabschiedung im Landtag erreichen. Die AfD wurde nicht an den Verhandlungen beteiligt. (Stand, 8. April, 19.30 Uhr)
Was halten Pfleger und Pflegerinnen von dem Gesetzesentwurf? Watson hat mit möglichen Betroffenen, die in Krankenhäusern arbeiten, gesprochen.
"Einerseits bedankt man sich bei uns – andererseits wollen sie uns zur Arbeit zwingen"
Dorothee Schmidt ist Wohnbereichsleitung und Altenpflegerin im Johannes Stift Bochum. Ihrer Meinung nach zieht das Gesetz die allgegenwärtige Solidarität ins Lächerliche:
Zudem finde ich es etwas widersprüchlich, dass es aktuell so viel Solidaritätsbekundung gibt, gleichzeitig aber über so ein Gesetz gesprochen wird. Einerseits bedankt man sich für unsere Arbeit, andererseits wird uns unterstellt, dass wir nicht arbeiten wollen und gezwungen werden müssen. Wenn ich in dieser Lage einen freien Tag brauche, wird das einen guten Grund haben. Da kann es doch nicht sein, dass ich dann mit einem Gesetz in Konflikt gerate."
"Plötzlich soll Zwangsarbeit möglich sein?"
Ein Pfleger aus Düsseldorf, der gerne anonym bleiben möchte, kann nicht nachvollziehen, wie dieser Gesetzesentwurf überhaupt entstehen konnte:
Eine Mutter beispielsweise, die frisch entbunden hat, in Elternzeit ist und die schönste Phase ihres Lebens erlebt, soll dann verpflichtet werden? Und was ist mit allen anderen? Ein Privatleben zu haben ist wohl unmöglich.
Wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben! Sonst wären wir Roboter. Unglaublich, was die Politiker sich wieder haben einfallen lassen! Das macht mich sprachlos und wütend. Wie kann es sein, dass so ein Gesetz überhaupt besprochen wird? Menschenwürde und Menschenrechte werden wohl kleingeschrieben.
Und dann für einen Hungerlohn arbeiten..."
"Uns das Anrecht auf freie Tage zu nehmen, erzeugt Frust"
Linda Meiß ist Altenpflegerin im Johannes Stift Bochum. Beim Epidemie-Gesetz ist sie zwiegespalten:
Entsprechend ist es wichtig, dass bei uns genug Personal da ist, das sich in so einer Situation um sie kümmert. Allerdings sollte hier keine Arbeitsverpflichtung eingebracht, sondern auf die Absprachen innerhalb einer Einrichtung vertraut werden. Dann könnte man etwa mal ein paar freie Tage verschieben, um auszuhelfen. Uns aber über einen gewissen Zeitraum das Anrecht darauf ganz wegzunehmen, ist überhaupt nicht förderlich und sorgt für Frust. Bei mir und meinen Kollegen."
"Die Attraktivität unseres Berufs würde weiter geschmälert werden"
Ein Pfleger aus Düsseldorf befürchtet, dass eine Verpflichtung, in Krisenzeiten zu arbeiten, das Berufsbild nicht verbessert. Den Personalmangel würde das wahrscheinlich auf Dauer nicht lösen.
Risikogruppen, die auch in der Pflege arbeiten, sollten bei solchen Entscheidungen eher außen vor gelassen werden. Schließlich spielt auch unsere Gesundheit und Sicherheit eine genauso große Rolle wie die anderer Menschen.
Auch wenn der Gedanke nachvollziehbar ist, finde ich es generell falsch, Menschen zu irgendwas zu zwingen. Zwangsverpflichtungen hätten zudem den Nachteil, dass sie die Attraktivität dieses Berufs weiter schmälern würden."