Weltweit wird mit Hochdruck an einem Impfstoff gegen das Coronavirus geforscht. Mit jedem neuen Tag tauchen neue Meldungen dazu auf. Mal heißt es, einen Impfstoff gebe es noch in diesem Jahr, dann wieder erst im nächsten oder sogar erst im übernächsten.
Und nicht nur das: Mal ist ein Lebendimpfstoff am besten, mal ein toter, mal ein genbasierter. Vermischt mit Begriffen wie mRNA oder Spikeproteinen entsteht so eine Vielzahl verwirrender Informationen.
Doch bei all der Verwirrung ist eine Sache klar: Ein Impfstoff wäre der sicherste Weg, die Corona-Pandemie einzudämmen. Gerade deshalb ist es sinnvoll, sich einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu verschaffen.
Zunächst sollte eins klar sein: Es wird noch dauern, bis ein Impfstoff großflächig eingesetzt werden kann. Die meisten Fachleute rechnen mit gut einem bis anderthalb Jahren. Der Grund dafür ist, dass alle Impfstoffe in klinischen Studien gründlich geprüft werden müssen. Grundsätzlich läuft der Prozess von der Entstehung eines Impfstoffs bis zur Massenproduktion folgendermaßen ab:
Entscheidend ist die klinische Erprobung an Freiwilligen. Dabei zeigt sich, wie der Wirkstoff im menschlichen Körper wirkt. Unterteilt wird dieser Prozess in drei Phasen, in denen Wirksamkeit, Sicherheit und Dosierungsstufen des Medikaments geprüft werden. Derzeit werden die klinischen Phasen häufig parallel durchgeführt, um in der aktuellen Notsituation schneller Ergebnisse zu erzielen. Zudem kann sich die Dauer einer Phase von Land zu Land unterscheiden. Je nach Dringlichkeit kann das Verfahren beschleunigt werden.
Sind diese Phasen durchlaufen, folgt ein Zulassungsverfahren der jeweils zuständigen Behörde. Für Europa wäre das etwa die Europäische Arzneimittelagentur, für die USA die Food and Drug Administration.
Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es derzeit 83 Impfstoff-Projekte (Stand: 23. April). Das klingt erstmal viel, doch nur wenige von ihnen befinden sich schon in der heißen Entwicklungsphase. Wir geben einen Überblick über diejenigen, deren Impfstoffe aktuell an Menschen getestet werden. Eine Übersicht, nach Ländern geordnet:
Derzeit arbeitet eine Vielzahl chinesischer Institute sowie Pharmaunternehmen an einem Corona-Impfstoff. Da die ersten Covid-19-Fälle in China bekannt wurden, ist das wenig überraschend. Insgesamt werden dort bereits drei Stoffe an Menschen getestet.
Einen davon entwickelte das Bejing Institute of Biotechnology zusammen mit dem Pharmaunternehmen CanSino Biologics. Bei dem Corona-Mittel handelt es sich um den Lebendimpfstoff Ad5-nCoV (Adenovirus Typ 5 Vector). Bereits am 18. März startete dort die erste Phase. Um Sicherheit und Wirksamkeit zu prüfen, wurde der Wirkstoff 108 gesunden Freiwilligen zwischen 18 und 60 verabreicht.
Parallel dazu läuft Phase 2, die am 12. April mit 500 Versuchspersonen startete. Phase 1 soll voraussichtlich im Dezember 2020 abgeschlossen sein, Phase 2 im Januar 2021.
In Shenzhen wurde auf Grundlage einer Analyse des Virus-Genoms ein Mini-Gen konstruiert. Verabreicht sorgt es dafür, dass antigenspezifische T-Zellen aktiviert werden, was zu einer Immunität führen soll. Der Impfstoff LV-SMENP-DC wird derzeit an 100 erwachsenen Probanden in der ersten klinischen Phase getestet. Am 31. Juli 2020 soll die Studie abgeschlossen sein. Wann Phase 2 startet, hat das Institut noch nicht mitgeteilt.
Bereits seit Ende Januar arbeitet das chinesische Pharmaunternehmen an einem Impfstoff aus inaktivierten Viren. Getestet wurde der Stoff bereits an Rhesusaffen und Nagern. Dabei sollen die Tiere wohl genug Antikörper produziert haben, um das Virus einzudämmen.
Positiv: Es kam dabei nicht zur Bildung von infektionsverstärkenden Antikörpern. Denn im Körper kann ein Impfstoff auch zu einer Überreaktion führen, die die Krankheit verstärkt. Seit dem 14. April wird das Mittel in einer Studie an gesunden Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren getestet.
Tausende Tote, ein Präsident, dessen Krisenmanagement mehr Krise als Management ist und ein völlig überlastetes Gesundheitssystem: Die Corona-Pandemie stellt die Vereinigten Staaten auf eine Belastungsprobe sondergleichen. Entsprechend arbeiten auch dort Forscher mit aller Kraft an einem Impfstoff.
So hat etwa die amerikanische Firma Moderna Inc. den genbasierten RNA-Impfstoff MRNA-1273 hergestellt. Dieser codiert das Spike-Protein des Covid19-Erregers, eingekapselt in eine Hülle aus Lipid-Nanopartikeln. Vereinfacht gesagt soll er den Körper dazu bringen, ungefährliche Virusproteine zu produzieren. Der Körper kann dadurch einen Immunschutz aufbauen.
Für die Testphase teilte das Unternehmen 45 gesunde Testpersonen in drei Gruppen ein. Unter ihnen befinden sich Männer und nicht schwangere Frauen im Alter von 18 bis 55 Jahren. Insgesamt bekamen sie zwei Injektionen im Abstand von 28 Tagen. Nach der zweiten Impfung werden die Versuchspersonen ein Jahr lang beobachtet.
Die US-Firma arbeitet ebenfalls an einem genbasierten Impfstoff. Der DNA-Plasmid-Impfstoff INO-4800 zeigte laut Hersteller bei Tierversuchen bereits vielversprechende Ergebnisse.
Am 6. April starteten klinische Phase-1-Tests mit 40 gesunden, menschlichen Probanden. Innerhalb von vier Wochen erhielten sie zwei Dosen des Impfstoffs. Zum Spätsommer sollen erste Ergebnisse folgen. Eine Million Dosen kann die Firma bis Ende des Jahres für Studien und Notfälle herstellen.
Auch hierzulande wird an einem Impfstoff geforscht. Besonders interessant war es, als die Tübinger Biotech-Firma CureVac in die Schlagzeilen geriet, weil sich Präsident Trump angeblich das Vorrecht auf einen Impfstoff sichern wollte, an dem das Unternehmen arbeitet.
Was Trumps Vorhaben allerdings wenig nachvollziehbar macht: Die Firma kündigte an, die erste klinische Testphase erst im Juni zu beginnen. Andere sind da einen Schritt weiter.
Das Mainzer Unternehmen hat vom Paul-Ehrlich-Institut am 22. April die Genehmigung bekommen, den zusammen mit der US-Firma Pfizer entwickelten Impfstoff BNT162 klinisch zu prüfen. Dabei handelt es sich um einen genbasierten Impfstoffkandidaten.
Eine erste klinische Studie soll in Zusammenarbeit mit Pfizer und der chinesischen Firma Fosun Pharma mit rund 200 gesunden Freiwilligen im Alter von 18 bis 55 Jahren durchgeführt werden. Verläuft diese erfolgreich, soll eine weitere folgen, an der auch Versuchspersonen aus den Risikogruppen teilnehmen sollen.
Kaum ein Impfstoff-Projekt dürfte aktuell so bekannt sein wie das der Universität Oxford. Sarah Gilbert, ihres Zeichens Professorin der renommierten Einrichtung, sagte der britischen Zeitung "The Times", dass ein dort entwickelter Impfstoff bereits diesen September zur Verfügung stehen könnte.
Dabei handelt es sich um einen Lebendimpfstoff. Die englischen Forscher starteten bereits eine Phase-1-Studie. Nebenher bereiten sie eine Phase-3-Studie zur Wirksamkeit mit 5000 Freiwilligen vor. Die Ergebnisse dazu könnten bereits im Herbst vorliegen. Das indische Serum Institut will zeitgleich den Impfstoff produzieren.
Je nachdem, wie die Untersuchung verläuft, könnte der Stoff also tatsächlich bereits im Herbst verfügbar sein. Um Gilberts ambitionierten Zeitplan einzuhalten, muss aber alles gut gehen.
Es ist schwer zu sagen, wer der Gesellschaft als erstes einen Impfstoff zur Verfügung stellt. Zwar machen alle Unternehmen Angaben dazu, wann die Tests abgeschlossen werden, das bedeutet aber nicht, dass diese auch erfolgreich verlaufen und es nicht zu Verzögerungen kommt.
"Es gibt immer ein Risiko. Auch wenn Tierstudien gut verlaufen, gibt es keine Garantie, dass ein Impfstoff auch beim Menschen wirkt. Um das herauszufinden, sind nun mal die klinischen Studien da", sagt der Schweizer Immunologe Martin Bachmann gegenüber watson. Er arbeitet derzeit ebenfalls an einem Impfstoff und setzt dabei auf ein Verfahren mit virenähnlichen Partikeln.
Interessant ist, dass im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie seitens der Forscher immer wieder ein starker Optimismus zu beobachten ist. Auch Bachmann kündigt an, dass sein Impfstoff bereits diesen Oktober verfügbar sein könnte. Die erste klinische Studie dazu soll jedoch erst im Juni starten. Danach müssen noch weitere Folgen. Normalerweise vergehen Wochen, bis die Schweizer Aufsichtsbehörde Swissmedic klinische Studien mit Impfstoffen zulässt. Durch die Dringlichkeit der aktuellen Lage soll das Zulassungsverfahren allerdings verkürzt werden.
Auch der Wettbewerbsdruck könnte bei den optimistischen Meldungen seitens der Forscher eine Rolle spielen. "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich überhaupt nicht der Erste mit einem fertigen Impfstoff sein möchte", sagt Bachmann. "Andererseits denke ich mir aber auch: Gut, wenn die Forscher aus Oxford schneller als wir sind, dann soll das so sein", ergänzt der Immunologe.
Doch unabhängig davon sei in erster Linie wichtig, dass es überhaupt irgendwann einen Impfstoff gibt.
In diesem Artikel verwenden wir auch Material unseres Schweizer Kollegen Daniel Huber. Den Text findet ihr hier.