Aktuell verbreiten sich Falschinformationen zum Coronavirus teilweise schneller als der Erreger selbst. Und die werden nicht ausschließlich von Verschwörungstheoretikern verbreitet, sondern auch von Medizinern oder Wissenschaftlern.
Das Problem: Ein Doktortitel macht falsche Aussagen zwar nicht wahr, dafür aber glaubwürdiger.
Prominentes Beispiel wäre der Mediziner und Politiker Wolfgang Wodarg (SPD), der unter anderem behauptete, dass das neuartige Coronavirus nicht schlimmer als vergangene Grippewellen sei. Das ist aber nicht richtig, weil es bisher weder einen Impfstoff noch flächendeckende Immunität gibt. Wie gefährlich Sars-Cov-2 ist, zeigten bereits Bilder aus Italien, den USA oder Spanien.
Obwohl Wodargs Aussagen bereits einige Monate zurückliegen, sind falsche, teilweise abstruse Aussagen zum Coronavirus präsenter denn je. Ein offener Brief, den die Nichtregierungsorganisation Avaaz veröffentlichte, soll ein Zeichen gegen diese setzen und Unternehmen wie Facebook und Twitter zum Kampf gegen Falschmeldungen bewegen. Eine Reihe renommierter Wissenschaftler unterzeichneten ihn, darunter auch Virologe Christian Drosten.
In der aktuellen Folge des NDR-Podcasts "Coronavirus Update" äußert sich Drosten dazu und erklärt, wie gefährlich Falschinformationen sein können und warum ein akademischer Grad kein Garant für Glaubwürdigkeit ist.
Derzeit scheint es, als lasse sich die Verbreitung falscher Aussagen in den sozialen Medien nicht mehr kontrollieren. Laut Drosten ließen sich diese kaum noch zusammenfassen. Und die Falschmeldungen kommen nicht selten "von Personen, die sich auf eine medizinische Ausbildung berufen", sagt Drosten. Häufig seien Ärzte und Professoren dabei, die "irgendeinen Quatsch in die Welt setzen und denen man aufgrund ihrer akademischen Qualifikationen glaubt".
Dafür braucht es nicht mal einen echten Doktortitel, wie es Psychologin Lydia Bennecke im Februar im Gespräch mit watson erklärt hatte:
Ob getroffene Aussagen richtig sind, ist da egal. Das macht die Sache so gefährlich.
Schlimm ist, dass vermeintliche Experten sich häufig ohne fundiertes Wissen äußern. Laut Drosten sei es etwa so, dass sich ein Professor irgendwo in die Öffentlichkeit stelle und etwas sage, ohne selbst Experte auf diesem Gebiet zu sein. "Was ich so höre von scheinbaren Fachleuten, entbehrt jeder Grundlage. Das sind Allgemeinplätze, die nicht über eine oberflächliche Kenntnis von Studentenlehrbuchwissen hinausgehen", betont der Virologe.
Um das Ganze zu verdeutlichen, erklärt Drosten, dass er sich als Virologe nicht zu einem bakteriologischen Thema äußern würde. Für Außenstehende seien Viren und Bakterien dasselbe, für Wissenschaftler wie Drosten nicht.
Besonders gefährlich: Mit ihren Aussagen stärken die Wissenschaftler gefährlichen Verschwörungstheoretikern den Rücken. Was dabei herauskommt, zeigte bereits der "Chefredakteur" des "Nachrichtenportals" "KenFM" – die Anführungszeichen sind gewollt. Unter anderem behauptete er, dass Bill und Melinda Gates über Gelder, die sie an die Weltgesundheitsorganisation fließen lassen, ihre eigenen Interessen in der Welt durchsetzen wollen. Dafür finanzieren sie die WHO mit einem Anteil von rund 80 Prozent. Knapp daneben: es sind 9,76 Prozent.
Und dennoch kriege Drosten ein Echo in Form von Anschuldigungen zu spüren. Doch auch Ideen werden ihm zugesandt. Allerdings auf Basis eben jener Verschwörungstheorien. "Da muss man sagen, dass ist so weit entfernt von jedweder Rationalität, dass ich es nicht mal schaffe, diese Ideen zu beantworten."
Zum Ende stellt Drosten nochmal klar, dass er ausgewiesener Spezialist ist und sich deshalb so regelmäßig zu dem Coronavirus äußert. Denn sein Fachwissen sei der einzige Grund, warum er in der Öffentlichkeit stehe. "Nicht, weil ich besonders schlau bin oder besonders gut reden kann. Sondern weil ich genau an diesen Viren arbeite."
(tkr)