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Interview

Psychologin über Hochstapler – "Sie nutzen Höflichkeit der Menschen aus"

Informationen lassen sich fälschen
Wenn man sich nur offiziell genug anmelden tut kann man Anzeige umgehen
Wann hinterfragt man schon, ob der Arzt eventuell gar kein Arzt, sondern ein Betrüger ist? (Symbolbild)Bild: Getty Images/iStockphoto
Interview

Psychologin über Hochstapler: "Meist nutzen sie die Höflichkeit der Menschen aus"

05.02.2020, 17:42
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Ein Mann aus Bayern gab sich mehrere Jahre lang als Arzt aus und brachte Frauen übers Internet dazu, sich selbst mittels abgeschnittenen Stromkabeln und Metalllöffeln Stromstöße zu verpassen. Alles im Rahmen einer angeblichen Studie. Seinen Titel genauso wie das Experiment selbst hinterfragten die Opfer nicht. Im Januar wurde der Mann zu elf Jahren Haft verurteilt.

"Hochstapler wie der aus dem genannten Beispiel oder auch Gert Postel, der sich über mehrere Jahre als Chefarzt ausgab, haben da ein leichtes Spiel", sagt die Kriminalpsychologin Lydia Benecke gegenüber watson.

Sie arbeitet als freie Beraterin für die Kriminalpolizei und schrieb unter anderem das Buch "Wie meine Internet-Liebe zum Albtraum wurde: Das Phänomen Realfakes", das sich mit Liebesbetrügern im Internet beschäftigt. Im Gespräch erklärt sie, welche Eigenschaften Hochstapler auszeichnet und warum es keine Schande ist, auf sie reinzufallen.

watson: Was macht einen Hochstapler aus?

Lydia Benecke: Laut Studien brauchen erfolgreiche Lügner zwei Eigenschaften: Sie müssen stark von sich überzeugt und zudem angstfrei sein. Sie dürfen keine Angst davor haben, entlarvt zu werden. Denn wirkt jemand selbstsicher und entspannt, vertrauen wir ihm.

Kürzlich gab sich jemand als Arzt aus, um in einer Pseudo-Studie Frauen unter Strom zu setzen. Da braucht es doch mehr als ein selbstbewusstes Auftreten.

Hier nutzte der Hochstapler einen anderen Mechanismus: Autorität. Wenn jemand vorgibt, er hätte in irgendeiner Form Autorität wie etwa einen Doktortitel, löst er in vielen Menschen ein gewisses Vertrauen aus. Das nutzen betrügerisch agierende Straftäter aus. Seien es Menschen, die sich als Polizisten ausgeben oder etwas prominenter: Gert Postel.

Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke.
Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke.Bild: Manfred Esser

Wenn sich also jemand wie Gert Postel als Doktor ausgibt, hinterfragen wir das häufig nicht?

Genau. Hochstapler nutzen da die Höflichkeit der Menschen aus. Denn viele trauen sich nicht, den Stand einer Person zu hinterfragen – was an sich logisch ist. Wer würde es denn prüfen, wenn jemand etwas Beeindruckendes über sich erzählt? Viele würden einem Menschen erstmal nicht zutrauen, sich etwas bloß auszudenken.

Wer ist Gert Postel?
Postel gab sich nach seiner Ausbildung als Postbote jahrelang als Oberarzt aus. Er fälschte dazu auch Urkunden. 1997 wurde er schließlich ertarnt und in Leipzig zu vier Jahren Haft verurteilt.

Das kommt doch ganz auf die Person an. Manche sind bestimmt anfälliger für Lügengeschichten als andere.

Natürlich gibt es individuelle Persönlichkeitsunterschiede. Manch einer ist skeptisch und manch anderer nicht. Allerdings sind viele Menschen manipulierbar, wie Statistiken belegen. Ansonsten würden auch nicht so viele auf Hochstapler reinfallen. Die Opfer sind nicht ausschließlich Menschen, die besonders naiv sind. Mechanismen wie beeindruckende Geschichten erfinden, Autorität ausstrahlen oder ein Wohlfühlgefühl vermitteln, wirken bei Menschen generell.

Was ist denn die Motivation von Betrügern?

Es gibt viele Motivationen. Oft ist es Habgier. Und da gibt es ganz viele Möglichkeiten, dieser nachzukommen. Sei es etwa der Enkel-Trick oder Love-Scamming. Also übers Internet Liebesbeziehungen aufbauen und die Person emotional von sich abhängig zu machen, um schließlich mittels dramatischer Geschichten Geld zu verlangen. Manchmal vermischt sich aber auch Habgier mit sexuellen Interessen.

Catch him if you can
Von sich überzeugt sein und angstfrei: Diese zwei Eigenschaften brauchen Hochstapler (Symbolbild).Bild: Getty

Das müssten Sie genauer erläutern.

Nun, ich betreue häufig Sexualstraftäter. Einige von ihnen kontaktierten Minderjährige übers Internet und manipulierten sie solange, bis sie ihnen erotische Bilder von sich zusendeten. Diese nutzten sie dann zur Erpressung. Ob bei solchen Geschichten oder beim Love-Scamming, oft schämen sich die Opfer in derlei Fällen besonders. Dabei muss sich niemand dafür schämen, Betrugsopfer zu sein.

Trotzdem stellt sich die Frage, wie es dazu kommt.

Wir denken nicht in jeder Alltagssituation daran, dass uns jemand belügen könnte. Es wäre ungesund, die ganze Zeit allen Menschen gegenüber misstrauisch zu sein. Das Schlimme daran ist, dass Hochstapler genau diese Erkenntnis ausnutzen. Manchmal, um sich finanziell zu bereichern, manchmal, um Bestätigung zu erfahren.

Inwiefern?

Schauen wir uns etwa Menschen mit dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom an. Dabei geben sie vor, dass Nahestehende, etwa ihre Kinder, schwer krank sind. Ziel ist dabei, sich selbst aufzuwerten. Schließlich kann sich jemand etwa als aufopferndes Elternteil ausgeben. Das wird von der Gesellschaft honoriert. Aufmerksamkeit und Aufwertung sind Motive, die Menschen, die anders ticken, nur schwer nachvollziehen können.

Oft betonen Menschen auch, dass sie ja Gutes tun.

Es gibt natürlich viele Formen von Selbstbetrug. Ich hatte zum Beispiel mal jemanden in Behandlung, der in einer Drückerkolonne war. Dieser bekam innerhalb seines Unternehmens positives Feedback, wenn er besonders viel verkaufte. Dann hörte er, dass er besonders leistungsstark, klug und geschickt sei.

Und Anerkennung kann süchtig machen.

Genau. Dadurch rückte der Nachteil der Opfer in den Hintergrund. Am Ende zählte nur noch die Bewunderung der Kollegen. Andere relativieren ihr Verhalten, in dem sie sagen: "Wer auf mich reinfällt, ist selber schuld." Oder bei finanzieller Ausbeute: "Das bisschen Geld tut dem Menschen schon nicht weh.“"

Kann es denn auch sein, dass wir aufgrund einer psychischen Erkrankung zum Betrügen gezwungen werden?

Gezwungen sind die allermeisten nicht. Schauen wir uns etwa Menschen mit sexuellen Tötungsfantasien an. Einige leben diese in Taten aus, viele andere bleiben in Internetforen und wollen explizit niemals solche Fantasien in die Tat umsetzen. Die Täter sind typischerweise in ihrer Persönlichkeit extrem gewissenlos.

Das zeichnet ja auch psychopatische Tendenzen aus.

Genau, wie etwa bei Ted Bundy. Der hatte sexuelle Tötungsfantasien und war zudem psychopatisch, sprich, er hatte kaum Schuldgefühl, Mitgefühl oder Angst. Und da er diese Emotionen nicht empfand, gab es nichts, was ihn davon abhielt, diese Fantasien umzusetzen. Es gibt allerdings viele Menschen da draußen, die Vergewaltigungs- oder Tötungsfantasien haben, die diese aber nicht umsetzen. Da ist es dann das wahrnehmbare Gewissen, das sie abhält. Eine Entscheidung gegen seine Taten hätte aber auch Ted Bundy treffen können. Nur weil ihm die emotionale Hemmung fehlte, sah er es schlicht nicht ein, auf die Verwirklichung der Fantasien verzichten zu wollen.

Gilt das auch für den Fall mit der Strom-Studie?

Bei der Geschichte muss man vorsichtig sein. Ihn als Sadisten oder Psychopathen zu bezeichnen, wäre ohne psychologisches Gutachten ein Fehler. Er war ja überrascht, als ihm die versuchte Tötung vorgeworfen wurde. Da denke ich an einige Fälle zurück, die die Konsequenzen schönredeten, um ihr Gewissen nicht zu belasten.

Wie kann man sich denn vor so jemanden schützen?

Gibt sich ein Hochstapler viel Mühe mit seiner Täuschung, ist es schwer, herauszufinden, ob diese Person lügt. Aber prinzipiell kann man sagen, dass es keine Schande ist, die Qualifikationen einer Person zu hinterfragen. Im aktuellen Fall wäre es eine Möglichkeit gewesen, zu fragen, an welcher Uni der Versuch durchgeführt wird und da anzurufen und nachzufragen. Auch bei Finanzen oder anderen Dingen lohnt es sich nochmal nachzufragen. Die meisten Menschen haben kein Problem damit, ihre Qualifikationen transparent zu machen. Jemand, der nichts zu verbergen hat, wird gerne bereitwillig Auskunft geben.

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