Fragt man Großbritannien nach Klischees über Deutsche, so wird man sicherlich oft etwas von "Fleiß" oder, weniger positiv konnotiert, von "Arbeitswut" zu hören bekommen. Umso erstaunlicher, dass unsere Freunde auf der Insel nun eine typisch deutsche Tradition ausgemacht haben wollen, die zumindest auf den ersten Blick eher das Gegenteil von arbeitswütig zu sein scheint.
Die BBC hat einen eigenen, langen Artikel verfasst, in der den Lesern fasziniert von einer angeblich deutschen Eigenart berichtet wird – von der die meisten von uns vermutlich nicht wussten, dass diese so typisch für uns sein soll.
Es handelt sich um das Konzept: Feierabend. "Wie 'Feierabend' den Deutschen hilft, sich vom Arbeitstag zu trennen", lautet die Überschrift, die das deutsche Wort im Original beinhaltet.
"Ein deutsches Wort zeigt uns, wie wichtig es ist, die Verbindung (zwischen Arbeit und Freizeit, Anm.) zu trennen, und könnte uns sogar helfen, einen Teil unserer Freizeit zurückzugewinnen", heißt es in dem Artikel der BBC. Mit dem deutschen Wort ist der beliebte Begriff "Feierabend" gemeint. Erste Erkenntnis also: Dieses Wort gibt es auf Englisch offenbar nicht.
"'Feierabend' hat zwei Bedeutungen", erklärt der Software-Entwickler Christoph Stengel den staunenden britischen Lesern. "Erstens ist es der Moment, in dem man für den Rest des Tages aufhört zu arbeiten – dann ist es natürlich ein gutes Gefühl. Zweitens ist es der Teil des Tages zwischen der Arbeit und dem Schlafengehen."
Obwohl es überraschend erscheine, dass die Deutschen, die oft als harte, effiziente Arbeiter stereotypisiert würden, ihre Freizeit so schätzten, sei das Konzept "Feierabend" dennoch Ausdruck einer sehr kapitalistischen Mentalität, stellt der BBC-Artikel daraufhin unerbittlich fest.
Denn die Unternehmen holten mehr Produktivität – und damit mehr Wert – aus ihren Arbeitskräften heraus, wenn den Arbeitnehmern nach der Arbeit klare Ruhezeiten zugestanden würden. Nix mit deutscher Feierkultur also – laut BBC-Analyse ist auch der Feierabend wieder nur Ausdruck germanischen Arbeitseifers. Wie sagt das viel zitierte alte deutsche Sprichwort? "Wer saufen kann, kann auch arbeiten."
Das Konzept, wie sie es respektvoll nennen, könne helfen, eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen. Die sprichwörtliche Life-Work-Balance. Feierabend bedeute, sich mit seiner Familie, seinen Freunden oder seinen Hobbys verbunden zu fühlen, lässt die BBC den StartUp-Manager Gene Gerrienne zu Wort kommen: "Die Deutschen haben gerne eine klare Aufteilung zwischen Arbeitszeit und 'Me Time'." Bei der Arbeit seien sie so effizient wie möglich, deshalb könnten sie auch vollkommen abschalten, wenn der Computer aus sei.
Spannend ist nicht nur, was in dem Artikel steht, sondern auch, welche Einblicke in Sitten und Gewohnheiten er gibt: Das Konzept der Trennung zwischen Arbeit und Privat scheint für die Briten völlig kurios zu sein.
"Feierabend" sei aber nicht einfach nur das deutsche Wort für Work-Life-Balance, analysiert die BBC weiter. Am wichtigsten sei, dass das Konzept des Feierabends anerkenne, dass Arbeit Anforderungen an eine Person stelle, von denen regelmäßige Entlastung erforderlich sei. Mit anderen Worten: Mach mal Pause. In Großbritannien ist diese Erkenntnis demnach noch nicht so verbreitet oder gesellschaftlich akzeptiert.
Haben die Briten also jetzt ein lockereres Bild von uns Deutschen? Nein, keineswegs. Der Artikel zitiert Gerrienne nochmal. "Ich denke, der größte Vorteil von Feierabend besteht darin, dass man die Kontrolle über sein Leben hat und bewusste Entscheidungen trifft, anstatt dem Leben die Kontrolle über einen selbst zu überlassen." Darum also geht es den Deutschen letztlich – Kontrolle. Auf ein lässigeres Image bei Briten müssen wir also weiter warten.
(om)