Die Bundeswehr schrumpft, die Anzahl der Bundeswehrrekrut:innen steigt, die Bundeswehr soll verschlankt werden, das Personal aber aufgestockt – die vergangenen Wochen war die Berichterstattung zum deutschen Militär umfangreich, in Teilen aber verwirrend.
Was stimmt jetzt? Rennen junge Leute der Armee derzeit tatsächlich die Tür ein? Oder haben die Streitkräfte mit Personalmangel zu kämpfen? Und was bewegt junge Menschen dazu, die Armee als Arbeitgeber auszusuchen?
Watson fasst zusammen und sprach mit einer jungen Soldatin über ihre Entscheidung, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten und ihre Erfahrungen mit dem Militär.
Milena (Name geändert) ist Anfang Zwanzig und kommt aus Bayern. Im Januar 2022 hat sie bei der Bundeswehr eine Ausbildung begonnen und sich für 15 Jahre verpflichtet. Sie soll später für Funkelektronik zuständig sein, im Dienstgrad eines Feldwebels. Vorher arbeitete sie in der Automobilbranche als technische Produktdesignerin.
Eine Arbeit am PC ohne körperlichen Ausgleich, noch dazu in wirtschaftlich wackeligen Zeiten. Für Milena war das Stress pur. "Zweimal war ich kurz vorm Burnout", berichtet sie, "das ging nicht mehr." So landete sie bei der Bundeswehr:
Damit ist sie eine von 18.775 Männern und Frauen, die 2022 den Dienst bei der Truppe antraten. Ein Anstieg von rund zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie die Bundeswehr auf Anfrage des Nachrichtendienstes dpa erklärte.
Der Ukraine-Krieg, der im Februar 2022 begann und noch länger anzudauern scheint, hat junge Menschen offenbar nicht vom Dienst an der Waffe abgeschreckt. Auch Milena hat keine Sorge vor einem Einsatz in einer Kriegssituation. Sie sagt:
Trotz des aktuellen Zuwachses an Rekrut:innen ist die Bundeswehr jedoch noch weit entfernt von der Bewerberzahl vor der Corona-Pandemie. Im Jahr 2019 hatten 20.170 Männer und Frauen den Dienst bei der Bundeswehr aufgenommen.
Mit zwei Ausnahmen: Frauen und Minderjährige. So lag der Frauenanteil 2022 mit 17 Prozent leicht über dem Vor-Corona-Niveau (15 Prozent), ebenso wie der Anteil Minderjähriger, der von 8,5 Prozent im Jahr 2019 auf 9,4 Prozent zulegte.
Minderjährige dürfen laut Verteidigungsministerium zwar keinen Dienst leisten, "der den selbstständigen Gebrauch der Waffe fordern könnte". Davon abgesehen ist es aber auch 17-Jährigen nach entsprechender Prüfung erlaubt, als Soldat:in in die Armee einzutreten.
Ihr Geschlecht habe bislang keine Rolle bei der Bundeswehr gespielt, sagt Milena zum Thema Frauen im Dienst. Sie habe weder innerhalb noch außerhalb der Truppe Probleme erlebt, nur weil sie weiblich sei. "Im Gegenteil, ich habe auch viele Chefinnen. Der weibliche Hauptfeldwebel in meiner Abteilung hat sogar drei Kinder. Das lässt sich vereinbaren", sagt sie gegenüber watson.
Bislang ist Milena mit ihrem Arbeitgeber zufrieden. Doch anscheinend sehen das nicht alle Kamerad:innen so. Denn obwohl die Zahl der Rekruten stieg, schrumpft das Personal der Bundeswehr insgesamt dennoch.
Mehr als 19.500 Soldat:innen seien 2022 aus der Bundeswehr ausgeschieden, berichtete die "Neue Osnabrücker Zeitung" unter Berufung auf Angaben des Verteidigungsministeriums – das übertrifft die Zahl der 18.775 Neueinstellungen also um mindestens 725.
Mehr als 4.200 Soldat:innen quittierten 2022 ihren Dienst sogar vorzeitig. Ursachen hierfür seien unter anderem eine dauernde Dienstunfähigkeit, aber auch ein Abbruch noch zu Beginn des Dienstes während der sechs Monate dauernden Probezeit .
Diese Probezeit ist für Milena schon vorbei. Sie hat vor, bei der Bundeswehr zu bleiben. Mit den negativen Seiten des Dienstes hat sie sich arrangiert, sagt sie:
Zudem hätten viele Menschen Klischees über das Militär im Kopf, die auch nerven können. In ihrer Freizeit sagt sie daher manchmal nicht sofort, wer ihr Arbeitgeber ist. "Man weiß halt nie, wie das Gegenüber darauf regiert", sagt sie. "Aber eigentlich habe ich bislang keinen Hass, sondern nur neugierige Fragen erlebt. Der Klassiker ist: 'Kannst du dann schießen?!"
Die Antwort ist: Ja, das alles wird in der Grundausbildung gelehrt. Allerdings ist Milenas Alltag derzeit deutlich unspektakulärer, als sich die meisten das Soldat:innenleben vorstellen. Sie sagt: "Ich sitze momentan die meiste Zeit über Büchern und lerne für meine Prüfungen."
Politisch betrachtet, ist nicht nur bei Berufsanfängern, sondern auch an den höchsten Stellen im Personalbereich der Bundeswehr Bewegung. So will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) laut "Bild"-Informationen etwa 160 von 370 Stellen in der Führungsriege streichen.
Auch das Ministerium selbst soll im Zuge der Reformpläne verschlankt werden. Von fünf bis sechs statt zwanzig Mitarbeiter:innen in den Büros der Staatssekretäre ist derzeit die Rede. Ob sich das bewahrheitet und wie es dann weitergeht, wird sich wohl in den kommenden Monaten zeigen. Mehrere Personalbesprechungen sollen dafür eingeplant sein.
Diese Verschlankung bezieht sich aber vor allem auf die oberen Führungsetagen. Das politisch gesteckte Ziel der Bundeswehr ist ansonsten deutlich auf Wachstum ausgerichtet: 203.000 Soldat:innen sollen bis 2031 im Dienst sein. Derzeit sind es im militärischen Bereich 183.050.
"Nach jahrzehntelangem Personalabbau will die Bundeswehr wieder wachsen. Und sie muss es auch", schreibt die Bundeswehr selbst auf ihrer Website: "Denn ohne ein deutliches Plus an qualifizierten Soldatinnen und Soldaten kann sie ihrem breiten Aufgabenfeld nicht gerecht werden."
Um aber gegen den, eben schon erwähnten, jährlichen Schwund anzukommen und mehr Streitkräfte einzustellen, müssten jedes Jahr 21.000 neue Rekruten den Wehrdienst antreten. Und möglichst wenige austreten. Ob das realistisch ist, da sind einige Politiker:innen skeptisch.
So hält die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) dieses Ziel für unerreichbar, wie sie in einem Gespräch mit Zeitungen der Funke Mediengruppe verriet. Die Herausforderung beim Personal sei bei der Bundeswehr angesichts zurückgehender Bewerbungen und einer hohen Abbrecherquote bei den Rekruten "noch größer als beim Material".
Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt, auf dem dringend Personal gesucht werde, sei die Bundeswehr stark unter Druck, sagte Högl weiter. Schließlich werden auch in anderen Branchen und Bereichen Fachkräfte händeringend gesucht.
Zurück in den zivilen Arbeitsmarkt? Milena kann sich das momentan nicht vorstellen, sagt sie: "Ich habe nicht das Gefühl, dass der mir mehr bieten könnte, als mein derzeitiger Job. Für mich passt es gerade einfach."
(mit Material der dpa und afp)