Abstand halten hat sich als wirksames Mittel gegen die Übertragung des Coronavirus bewährt: Mindestens 1,5 Meter, besser noch 2 sollten es sein, um dem Krankheitserreger zu entgehen, der einem sonst beim Sprechen, Husten oder Niesen entgegengeschleudert werden könnte.
Nun lässt sich dieser Abstand nicht in jeder Lebenslage einhalten: Im Zug beispielsweise kommt es trotz Hygienemaßnahmen der Deutschen Bahn immer wieder zu Situationen, wo man Ellbogen an Ellbogen mit seinem Nachbarn sitzt oder steht.
Im Idealfall müssten die Fernzüge dünner besetzt sein, um das Infektionsrisiko zu senken. "Alle Reisenden müssten einen freien Sitz neben sich haben", sagt auch Epidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin im Gespräch mit watson.
Der Mundschutz trägt dazu bei, dass die Mitreisenden weniger Aerosol, also kleinste Tröpfchen, die mit Viren behaftet sein könnten, in die Umgebung abgeben. Im Gegensätzen zu den Klimaanlagen in Flugzeugen können die in Fernzügen die Viren nicht aus der Luft filtern. "Die Filteranlagen in ICE-Zügen sind in der Regel nicht virendicht", sagt Ulrichs. "Allerdings ist der Luftraum in Großraumwagen sehr viel größer als in Flugzeugkabinen, und auch die Verweildauer ist geringer als auf Flugreisen, sodass das Risiko kalkulierbar ist."
Das Aerosol kann sich im ICE also besser verteilen als im Flieger und ist deswegen geringer konzentriert, zumindest im Großraumwagen. "In Abteilen, die möglicherweise mit sechs Personen vollbesetzt sind, ist der gemeinsame Luftraum sehr viel kleiner als in Großraumbereichen", erklärt der Epidemiologe. "Deshalb sollte man lieber letztere aufsuchen."
Wenn diese allerdings entgegen aller Erwartungen voll besetzt sind, steigt das Ansteckungsrisiko möglicherweise dennoch. Zur Sicherheit fordern die Grünen, dass die Bahn extra Waggons für Risikogruppen einrichtet. "Das dürfte sehr schwer umsetzbar sein", meint Ulrichs. "Sinnvoller wäre, das Maskentragen in den Zügen konsequent zu überprüfen und bei Zuwiderhandlung die Reisenden aus den Zügen zu entfernen, gegebenenfalls mithilfe der Bundespolizei."
Damit es gar nicht erst so weit kommen muss, plädiert Ulrichs dafür, dass die Fahrgäste umsichtig und verantwortungsbewusst reisen:
Die Bahn selbst hat eine technische Lösung gefunden, um die Abstände zwischen Fahrgästen möglichst einzuhalten. "Wir schaffen mehr Kapazität und damit zugleich mehr Platz für Abstand und sicheres Reisen", bestätigt ein Sprecher der Deutschen Bahn gegenüber watson. "Aktuell sind unsere ICE- und IC-Züge durchschnittlich rund 20 bis 30 Prozent ausgelastet." Die Bahn achte bereits im Buchungsprozess verstärkt darauf, dass die Züge möglichst gleichmäßig besetzt sind und halten im ganzen Zug ausreichend Sitzplätze ohne Reservierungen vor.
Dass nicht neben jedem reservierten Sitzplatz ein Platz freigehalten wird, wie Ulrichs es vorschlägt, hat einen spezifischen Grund:
Jeder Kunde habe aber mithilfe der grafischen Sitzplatzreservierung die Möglichkeit, sich seinen Wunschsitzplatz zu reservieren.
Seit vergangener Woche hat die Bahn außerdem eine neue Auslastungsanzeige eingeführt, so der Sprecher weiter.
Die Auslastungsanzeige bietet zumindest eine erste Orientierung, wie voll der angestrebte Zug ist. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass sich der Zug bis zum Fahrtantritt nicht doch noch mehr füllt, als bei der Buchung angezeigt wurde. Wie die Bahn solche Situationen in Zukunft lösen möchte – dazu hat sie sich auf Anfrage von watson nicht geäußert.
Dennoch bewertet Epidemiologe Ulrichs die hygienischen Maßnahmen der Bahn insgesamt positiv: "Das Konzept ist gut und die derzeitigen Auslastungen gestatten eine weitgehende Umsetzung der Hygieneregeln."
Wichtig sei nun, dass alle Reisenden diszipliniert sind und gut kooperieren, denn: "Bahnfahren ist zurzeit mühsamer und anstrengender als gewohnt. Unbeschwertes Bahnfahren wird nach Impfstoffeinführung wieder möglich sein."
(ak)