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Aktuelle Umfrage zeigt: 65 Prozent der Ungeimpften bleiben hartnäckig

Anti vaccination concept. Woman fist with no vax written.
Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums bleibt die Mehrheit der befragten Ungeimpften dabei: Geimpft wird nicht.Bild: iStockphoto / No-Mad
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65 Prozent der Ungeimpften bleiben hartnäckig – Experte: "Wichtig, die psychischen Bedürfnisse zu kennen"

28.10.2021, 17:5428.10.2021, 19:48
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Sprunghaft ansteigende Inzidenzwerte, höhere Infektionszahlen als im Oktober 2020, als noch kein Impfstoff in Sicht war: Das ist die aktuelle Situation in Deutschland.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnte in der "Augsburger Allgemeinen" vor einer Überlastung deutscher Krankenhäuser durch ungeimpfte Corona-Kranke: "Das Pflegepersonal der Intensivstationen und die Ärzte arbeiten längst am Anschlag", sagte er. "Viele haben die Arbeit im Intensivbereich aufgegeben – auch, weil sie es Leid sind, sich für die Unvernunft von Impfgegnern abzurackern", sagte er der Zeitung.

Dass er vor fast genau einem Jahr, Mitte November 2020, ebenso vor einer Überlastung des Gesundheitssystems warnte, wirft angesichts der aktuellen Impfquote von gut 66 Prozent vollständig Geimpfter in Deutschland umso mehr ein Schlagschlicht auf die andere Gruppe – die der Ungeimpften. Denn auf die kommt es jetzt an. Montgomery sagt, es müsse "alles in unserer Macht Stehende" versucht werden, um die Impfraten zu erhöhen. "Wer sich jetzt nicht impfen lässt, obwohl er es machen könnte, riskiert sein Leben und das seiner Mitmenschen", warnte der Weltärztepräsident.

Mitten in diese prekäre Lage platzt die aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, von der das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Donnerstag berichtete. Demnach wird sich die große Mehrheit der bislang Ungeimpften voraussichtlich nicht mehr davon überzeugen lassen, sich in der kritischen Phase der vierten Corona-Welle gegen das Virus impfen zu lassen. "Auf keinen Fall" wollen sich in den kommenden zwei Monaten zwei Drittel (65 Prozent) mit einem Vakzin immunisieren lassen. 23 Prozent tendierten in der bisher größten Befragung von Ungeimpften zu "eher nein". Nur zwei Prozent der Befragten wollten sich "auf jeden Fall" noch impfen lassen. Die restlichen zehn Prozent gaben sich unentschlossen und hielten eine spätere Impfung "eher" für möglich.

Daran können wohl auch drastische Aufrufe wie die von Frank Ulrich Montgomery nichts ändern: 89 Prozent der Befragten gaben an, es habe keinerlei Einfluss auf die eigene Impfbereitschaft, wenn die Intensivstationen erneut an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Nur fünf Prozent lasse dieser Umstand darüber nachdenken, die eigene Bereitschaft zu einer Impfung zu erhöhen.

Auch von der Politik in Aussicht gestellte Lockerungen, ab einer bestimmten Impfquote alle Corona-Beschränkungen aufzuheben, sehen 86 Prozent ohne Einfluss auf ihre Entscheidung. 75 Prozent würden sich auch nicht durch Belohnungen für Geimpfte beeinflussen lassen. Derartige Anreize könnten sogar kontraproduktiv sein: Denn 18 Prozent gaben an, dass durch Prämien ihre Impfbereitschaft abnehmen würde.

Die kleine Typologie der Ungeimpften

Thomas Martens, Professor für Pädagogische Psychologie an der Medical School in Hamburg, erstaunen diese Umfrageergebnisse nicht. Er hat in seiner "kleinen Typologie der Ungeimpften aus psychologischer Sicht" 15 verschiedene Typen von Ungeimpften klassifiziert. Darunter beispielsweise der Trotzige, der auf Druck mit Widerstand reagiert. Der Wissenschaftsleugner, der nur glaubt, was er sehen kann. Und der Verschwörungstheoretiker, der nur Informationen aus seiner Blase zur Kenntnis nimmt.

Gerade diese Typen von Menschen seien es, bei denen mehr Druck durch Maßnahmen, Zwang und vermeintliche Belohnung einfach nicht ziehen. Sie würden sich einfach nichts vorschreiben lassen und dann auf stur schalten. Professor Martens interpretiert im Interview mit watson die Umfrageergebnisse so:

"Die Antwort, sich "auf keinen Fall“ impfen zu lassen, könnten sicherlich verschiedene Idealtypen gegeben haben. Etwa der Typ 'Uninformiertheit' genauso wie der Typ 'Unsicherheit' oder der Typ 'Reaktanz' (Trotz) und natürlich eine Mischung von unterschiedlichen Motivationen."

Für den Psychologen sind drei Faktoren entscheidend, um die Impfunwilligen zu überzeugen: Vertrauen, eine klare und einheitliche Politik sowie die persönliche Freiheit. Denn es zeigt sich, "dass viele Menschen ihren persönlichen Entscheidungsfreiraum behaupten möchten. Weitere Zwangsmaßnahmen würden deshalb den Typ 'Reaktanz' (Trotz) weiter ansteigen lassen. Ich finde es deshalb fundamental, dass jeder Mensch eine freie Entscheidung für oder gegen eine Impfung treffen kann", so Prof. Martens weiter. Den Menschen mehr Freiheit zu lassen, beispielweise mit der Entscheidung, welchen Impfstoff sie spritzen lassen, kann gerade beim Typ 'Reaktanz' helfen.

Die weiteren Umfrageergebnisse der Forsa-Studie bestätigen die Einschätzung des Motivationsforschers. Maßnahmen, die die Nicht-Geimpften stärker unter Druck setzen, wirken sich häufiger negativ als positiv auf die Impfbereitschaft aus. Das gilt beispielsweise für eine generelle Anwendung der 2G-Regel im Freizeitbereich, für eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz oder für die Selbstzahlung von Corona-Tests. Selbst leicht zugängliche Impfangebote ohne Termin stoßen auf Ablehnung unter den Befragten. Man bekommt bei Betrachtung der Umfrageergebnisse einen Eindruck davon, wie sehr die aktuelle Situation von Ungeimpften von Befindlichkeiten geprägt ist.

Martens warnt jedoch im Gespräch mit watson davor, ungeimpfte Menschen vorschnell zu verurteilen, denn "die zugrunde liegenden Motivationen können ja ganz unterschiedlich sein, wie die unterschiedlichen Idealtypen zeigen sollen". Und weiter: "Es ist deshalb wichtig, die psychischen Bedürfnisse und psychologischen Ausgangslagen zu kennen und auf dieser Grundlage allen Menschen ein maßgeschneidertes Infomationsangebot zu machen." Möglicherweise könnte das helfen, die Impfverweigerer überhaupt erst wieder für Kommunikation zugänglich zu machen.

Mehr Informationen von Vertrauenspersonen wie Hausärzten

Helfen könnten Informationsbögen in verschiedenen Sprachen, beispielsweise mit spezifischen Informationen zum Nutzen von Booster-Impfungen für Genesene. Damit diese auch akzeptiert werden, müssten sie von einer Vertrauensperson vermittelt werden, erklärt Martens. "Das können Familie oder Freunde sein, aber eine besondere Verantwortung kommt hier auf die Hausarztpraxen zu", erklärt Psychologe Martens gegenüber watson. Diese könnten als vertrauensvoller Ansprechpartner etwa zu Gesundheitsrisiken durch die Impfung vertieft beraten. Damit die ohnehin chronisch überlasteten und gestressten Hausärzte die notwendige Zeit dafür finden können, fordert Martens, die Beratungspauschale von 20 Euro spürbar anzuheben.

Martens fordert außerdem, die Handlungsbarrieren noch niedrigschwelliger zu gestalten. Zwar gibt es bereits Aktionen wie Impfbusse oder Impfungen in den öffentlichen Verkehrsmitteln, doch er sieht noch Potential nach oben:

Etwa könnten für Booster-Impfungen schon konkrete Impftermine verschickt werden, die Fahrt zur Impfstation sollte umsonst sein oder die Impfangebote sollten gleich vor Ort gemacht werden.

Wichtig sei es vor allem, dass die Corona-Maßnahmen einheitlich und klar umgesetzt würden. Martens sieht die bisherige, oft widersprüchliche und chaotische Corona-Politik kritisch. Er warnt vor einem weiteren Vertrauensverlust in die Maßnahmen der Bundesregierung und fordert "eine klare Kommunikation über die Bundesländer hinweg, aber auch Irrtümer zuzugeben, die Kommunikationsfehler der Vergangenheit aufzuarbeiten und die Grenzen des aktuellen Wissens transparent darzustellen."

Wie wichtig es werden könnte, die letzten Ungeimpften doch noch möglichst rasch zum Umdenken zu bewegen, zeigt ein Kommentar von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mit Blick auf das Frühjahr 2022: "Klar ist aber, dass die meisten Ungeimpften von heute bis dahin entweder geimpft, genesen oder leider verstorben sind, denn das Infektionsgeschehen mit schweren Verläufen betrifft vor allem Impfverweigerer."

(mit Material der afp und dpa-afxp)

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